Moore gehören zu den wenigen Landschaften Norddeutschlands, die im Winter gleichermaßen verzaubern wie im Sommer. Das Wittmoor – gelegen im Dreieck von Norderstedt, Duvenstedt und Lemsahl-Mellingstedt – entfaltet seine mystische Ausstrahlung in der stillen Jahreszeit sogar noch verlässlicher als in den Monaten, die ich nicht vorbeiwünsche.
Ich glaubte mein Leben lang, der Schrecken des norddeutschen Winters läge in der Kürze des norddeutschen Sommers. Nun weiß ich es besser. Selbst die größte Hitzewelle lässt sich nicht speichern. Jedenfalls nicht in meinem System. Ich kann den Sommer nicht konservieren wie Marmelade. Und meinetwegen könnte kurz nach Silvester so langsam mal der Frühling beginnen.
Andererseits: im Frühling, vor allem sonntags bei Ausflugswetter, kann es im Wittmoor durchaus mal zu Völkerwanderungen kommen. Immerhin ist das Naturschutzgebiet von Wohngebieten umgeben. Als Geheimtipp, wie einige einschlägige Hamburg-Seiten behaupten, erweist sich die (wahlweise kleine oder große) Rundwanderung nicht immer.
Sonnabends – wenn alle anderen ihre Einkäufe erledigen – sieht die Sache schon besser aus. An Winterwochentagen sowieso. Auf weiten Heideflächen, in Birkenwäldchen und am Ufer des Großen Sees vermisst man – jedenfalls für den Moment – den Sommer überhaupt nicht.
Das Wittmoor ist ein Hochmoor. In seinem See könnten weder Fische noch Krebse, Muscheln oder Schnecken überleben. Denn Hochmoore sind mindestens (bis doppelt) so sauer wie Zitronen (dem ph-Wert nach könnte man mit dem Wasser die Armaturen des Badezimmers entkalken).
Die Säuren sind es auch, die alles, was im Moor versinkt, so prima konservieren. Huminsäure verhindert die Zersetzung. Gerbsäure festigt das Gewebe. Luftdicht verschlossen können Dinge oder Lebewesen hunderte, ach was tausende (!) Jahre überdauern. Daher waren Moore schon bei den Germanen beliebte Opferplätze.
Ins Wittmoor kam das Grauen allerdings viel später. Nazis errichteten hier eines der ersten Konzentrationslager im Land. Kommunisten, SPD-Mitglieder, Homosexuelle, Transvestiten oder überhaupt Menschen, die anders waren, sollten in der Abgeschiedenheit mit harter Arbeit „umerzogen“ werden. „Lieber Gott, mach mich stumm, dass ich nicht nach Wittmoor kumm“, wurde in den 1930er Jahren zum geflügelten Wort. Dass solche Zeiten nie wieder kommen sollten, liegt eigentlich auf der Hand. Bzw. auch in unseren Genen. Möchte man meinen.
Offenbar können gewisse Menschen kollektive Erfahrungen ebenso wenig speichern (= nutzen) wie ich die Wärme des Sommers. Manchmal möchte ich verzweifeln über die Bräsigkeit selbsternannter „Protestwähler“. Dagegen hilft mir nur: rausgehen.
Gut gegen Kälte wie auch Nazis: Rausgehen
Wir haben im vergangenen Jahr an so vielen Demos (gegen Rechts, für Menschlichkeit etc…) teilgenommen wie zuletzt zu Studienzeiten. Und das tut nicht nur gut, weil man aktiv wird, sondern auch weil man erlebt, dass die Ewiggestrigen eben doch in der Minderzahl sind. Und der Widerstand ist groß und bunt und breit und vielfältig.
Rausgehen scheint beinahe immer eine gute Lösung. Man kann zwar den Sommer nicht konservieren. Den Herbst nicht anhalten. Den Frühling nicht herbeizaubern. Man kann aber den Winter überstehen. Und manchmal glitzert so ein Wintertag ja auch wie ein kleiner Diamant.
Falls das Wittmoor nicht in Deiner Nähe liegt: das Pietzmoor in Schneverdingen und das Dosenmoor in Neumünster sind ebenfalls kleine Fluchten wert.
Liebe Stefanie, Sonne und Raureif sind eine wunderschöne Winter-Komi. Da vermisse ich den Sommer nicht (allzu sehr…). Hab‘ ein gutes Neues Jahr! Ulrike
Moin Stefanie,
so ehrlich kann das Jahr beginnen und dafür danke ich Dir. Es braucht schon ein wenig Mut, Stellung zu beziehen gegen den rechten und hasserfüllten Trend. Braun darf nur das Moor und der Acker sein:-) Und da ist Braun auch ein Inbegriff für Leben und für Entwicklung, also genau gegenteilig zu rechten Rotten.
Ich möchte noch ein weiteres Moor ergänzen, das Schülper Moor, dessen Fund zu einem der wichtigsten Ausstellungsstücke des Landesmuseums in Schleswig geworden ist: http://weites.land/schuelper-moor-grosses-moor/
Lieber Gruß und einen tollen Start ins Jahr- und der Frühling kommt schon noch 🙂
Ach, Kai, das sind ja tolle Nebelfotos aus dem Schülper Moor (Nebel ist überhaupt so toll). Euch auch einen sehr guten Start ins Neue! Und liebe Grüße, Stefanie
Wenn es auch die Welt nicht kann – ich kann es doch, das konservieren! Mir fällt nach einem sonnenreichen Sommer der Winter deutlich leichter.
Aber in meiner Nähe ist auch kein größeres Moor zum Ausgleich 😉 Nur ein paar ganz kleine, aber die sollte ich wohl mal ansteuern in den nächsten Tagen…
Und nur Mut – die Sonne scheint, und bald kommen bestimmt schon die ersten Schneeglöckchen hervor. Blätter hab ich heute schon gesichtet!
Schneeglöcken! (Gibt eben doch Dinge, die im Winter toll sind).
Die Begeisterung für Moore teile ich ebenfalls! Glücklicherweise findet sich im näheren und weiteren Kieler Umland noch das eine oder andere hübsche Hochmoor (oder das, was davon übrig ist)! Gerne würde ich einmal das Schleswig-Holstein von vor 200 oder 300 Jahren sehen, als noch bedeutend größere Teile des Landes von Moor und Heide bedeckt waren.
Deinem Statement gegen Rechtsaußen ist nichts hinzuzufügen.
Ich wünsche dir und dem Blog ein erfolgreiches Jahr 2019 mit hoffentlich vielen neuen Lesern!
Beste Grüße,
Patrick
Vielen Dank, Patrick. „Größere Teile des Landes von Moor und Heide bedeckt“, klingt wie Klein-Schottland. Hach!
Hallo Stefanie,
Moore haben tatsächlich ihre eigene Mystik, die speziell im Herbst und Winter ganz besonders hervortritt. Wenn die Birken ihr Laub abgeworfen haben,die hellen Stämme und das lange herabhängende Reisig wieder im Blick sind, machen sich die kühleren Zeiten recht gut. Alte Gräserbüschel am Boden trumpfen auf.
Ob Dunst und Tautropfen im Herbst oder wie bei dir heute die wunscherschöne Szenerie mit Raureif und überfrorenen Wasserfläche, zusammen mit Stille und möglichst etwas Sonnenschein ist das herrlich, sich dort aufzuhalten.
Aufgrund seiner wohnviertelnahen Lage kann ich mir insofern lebhaft vorstellen, dass es dort schon des Öfteren zu kleinen Völkerwanderungen kommt …
Keine so schöne jüngere Vergangenheit, wenn ich an die Verfolgung denke, die du oben mit erwähnst. Bloß nie wieder solche Zustände!
Dein Ausflugstipp „Wiitmoor“ hat mir wieder sehr große Lust auf baldiges Aufbrechen und Erkunden gemacht. ^^ Es muss sich nur erst zeitlich eine neue Gelegenheit ergeben
Ich konnte mich gestern zumindest wieder einmal einmal hinausmogeln, an der Elbe spazieren und dabei den vergoldeten „Alten Schweden“ betrachten. Dort waren in dem Bereich auch Völkerwanderungen, ich sag’s dir ..
LG Michèle
Liebe Michèle, der goldene Schwede! Wie toll. Eigentlich muss man sich den ja schnell mal ansehen. Die Behörden sind nicht amused, wie man liest. Und die Farbe wird vielleicht sowieso vom Regen abgewaschen. Aber am Wochenende werde ich dann wohl lieber davon absehen. Vielleicht sehe ich ihn bald bei Dir auf dem Blog? Ich drücke die Daumen, dass sich bald wieder ein Fenster zur Erholung auftut und wünsche ein schönes Wochenende, Stefanie
Hallo Stefanie,
ich freue mich riesig über den Beitrag!
Ich habe meine gesamte Kindheit im Wittmoor verbracht!!!
Damals konnte man noch alles ohne Einschränkungen erkunden und wir hatten das Glück, noch den letzten Torfbauern kennenzulernen. Oft sind wir Kinder mit der Lore durchs Moor gefahren (heimlich natürlich), vorbei an unzähligen Wollgrasblüten; die großen Kinder haben geschoben und wir kleinen durften uns schieben lassen. Wir sind damals tatsächlich noch auf dem See (oberes Foto) um die Birkenstumpen Schlittschuh gelaufen. Heute unvorstellbar, für uns aber herrlich und absolute Freiheit!
Die dunkle Seite des Wittmoores hat sich uns Kindern nur nach und nach erschlossen und darf nicht unerwähnt bleiben!
Noch heute faszinieren mich Moore auf eine ganz besondere Weise und seit einigen Jahren klappere ich alle Moore nacheinander in Norddeutschland ab. Das neueste liegt in Tiste bei Sittensen. Das Tister Bauernmoor. Im Oktober stranden dort unzählige Kraniche, es gibt am Anfang eine Moorbahn und ein Café mit einer leckeren Moortorte am Kachelofen.
Ich habe auch einmal einen Artikel über (mein) Wittmoor geschrieben, ich such den mal raus und schicke ihn Dir ggf.
Liebe Grüße
Rebecca (man nennt mich auch das Moorli)
Was für ein schöner Kommentar, liebe Rebecca (aka Moorli). Ganz besonderen Dank für den Tipp zum Tister Bauernmoor. Ich hatte schon mal gehört, dass irgendwo im Dreh viele Kraniche rasten. Aber dass der Platz so nah und so bedeutend ist, war mir nicht klar (habe gerade schon die Seite gecheckt; das schreibe ich mir ganz oben auf meine Herbstliste). Und über Deinen Artikel würde ich mich natürlich auch sehr freuen. Liebe, liebe Grüße, Stefanie
Doch, ich hab’s gut, denn das Wittmoor liegt ganz in meiner Nähe. Nachdem Du mir mit diesen wunderbaren Eindrücken große Lust auf’s Rausgehen gemacht hast, liebe Stefanie, werde ich mich bei Gelegenheit wohl mal wieder dorthin aufmachen.
Und der Samstag scheint ja tatsächlich ein guter Tag für einen Moorspaziergang zu sein – dass bei DEM schönen Wetter keine Menschenseele unterwegs war, ist wirklich kaum zu glauben. Die Fotos fangen die Stimmung perfekt ein. Vielen lieben Dank für die schönen Eindrücke.
Liebe Grüße, Martina
Ach, soll das Wetter Sonnabend tatsächlich mal gut sein.
Ich bin gespannt…
Liebe Grüße zurück, Stefanie
[…] Hamburg: Wittmoor […]