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Der Sound der Westküste

Westkueste

Der Sound der Westküste ist eine tiefe Stille untermalt vom Blöken der Schafe auf den Deichen und einer unfassbaren Vielfalt von Vogelstimmen. Mehr als 10 Millionen Wat- und Wiesenvögel werden über das  Jahr am Wattenmeer gezählt.

Mein Lieblings-Westküstenkonzert spielt in Nordfriesland. Es beginnt etwa jetzt – zu Ostern. Und wer an weiter gar nichts glaubt (nicht mal an Faithless) kann sich dort in den nächsten Wochen davon überzeugen: Gott ist ein DJ. Und die Westküste seine Kirche.

Nordfrieslands Westküste für Birdwatcher

Zwischen der deutsch-dänischen Grenze im Norden und der Eider im Süden kommt im April mit den großen Vogelzügen Festivalstimmung auf.  Es geht gleich gut los am nordwestlichsten Fleck des deutschen Festlandes

1. Im Paradies der Weißwangengänse: Rickelsbüller Koog

Seit den 1980er Jahren bildet der deutsche Rickelsbüller Koog gemeinsam mit dem dänischen Margrethe Koog ein Vogelparadies. Und so kann es passieren, dass man sich an einem strahlenden, windstillen Frühlingstag den letzten Koog vor der Grenze nur mit wenigen Birdwatchern teilt.

Typisch für die Westküste kann man im Rickelsbüller Koog nicht viel machen. Aber in dem Wenigen Vieles finden, wonach man sich sehnt. Im alten Grenzhäuschen befindet sich eine kleine Ausstellung. Auf deutscher Seite liegt ein Hide am Rickelsbüller Koogsee. Südlich wird der Koog vom Hindenburgdamm begrenzt, über den ewig lange Züge nach Sylt rattern. Die Insel flirrt wie eine Fata Morgana in der Ferne.

Vom Deich lassen sich schön die Top-Modells unter den Wildgänsen beobachten. Weißwangen- bzw. Nonnengänse pendeln vom Wattenmeer zum Koogsee und wieder zurück. Sie teilen sich das Revier mit vielen, vielen Arten vom Knutt bis zum Seeadler. Und Schafe gibts im Rickelsbüller Koog natürlich auch.

 

Auf einem etwa zwölf km langen Wanderweg lässt sich der Koog umrunden. Das geht nur zu Fuß und nicht mit dem Rad. Wie überall an der Westküste der beste Garant für ein bisschen Einsamkeit. Als Start/ Endpunkt bietet sich das Café Zollhaus an. (Die Internetseite stapelt tief – es gibt kaum eine bessere Café-Terrasse).

2. Mausert sich: Hauke-Haien-Koog

 

Mit Tiefstapeln kennt man sich auch 30 Kilometer weiter südlich im Hauke-Haien-Koog aus. Der Koog besteht zur kleineren Hälfte aus Äckern, zu größeren aus Speicherbecken – also Wasserflächen; und die stehen unter Schutz. Das sieht recht hübsch aus, wenn man mit dem Auto dran vorbeibraust. Und eben das machen zu gewissen Zeiten richtig viele  – und richtig schnell (aus Angst, die Fähren in Dagebüll oder Schlüttsiel zu verpassen).

Der Hauke-Haien-Koog wirkt daher auf den ersten Blick nicht so idyllisch wie der Rickelsbüller Koog. Umso mehr da in 2023 der Deich in Schlüttsiel verstärkt wird. Darum ist Deutschlands wichtigster Mauserplatz für Graugänse am schönsten außerhalb der Fähr- und Arbeitszeiten. Am Morgen also – oder am Abend, wenn sich Lamm und Lämmchen Gute Nacht sagen und die Gänse mit lautem Rufen einschwärmen.

Auch der Hauke-Haien-Koog hat einen zum Teil Rad-freien Wanderweg zu bieten. Beim Hide an der Landstraße beim Mini-Hafen Schlüttsiel kann man die knapp zehn Kilometer lange Tour auf einer Infotafel gut nachvollziehen. Sie führt um das südliche Speicherbecken. Der Hafen ist zudem Ausgangspunkt für das größte Vogelfest der Westküste:

3. Ringelganstage auf den Halligen

Bis zu 50.000 schön schwarze Ringelgänse fressen im Frühjahr auf den Halligen die Salzwiesen kurz und kahl. Die Halligleute haben sich damit weitestgehend arrangiert. Statt sich wie verrückt zu ärgern, feiern sie die Ringelganstage – mit vogelkundlichen Vorträgen, Wanderungen, Radtouren, buntem Kinderprogramm und sogar Gottesdiensten.

Die Ringelganstage finden im April/ Mai statt, dieses Jahr vom 22.04. – 14.05.23.  Gefeiert wird auf vielen Halligen, Insel und dem Festland. Am meisten ist traditionell auf Hallig Hooge los. Wer lieber auf eigene Faust bird-watched und/ oder über Nacht bleiben möchte, dem sei wärmstens Hallig Langeness empfohlen.

4. Halligstörche auf der Hamburger Hallig

Vögel sind die freisten Tiere Schleswig-Holsteins. Deswegen müsste man grundsätzlich natürlich nicht auf eine Hallig reisen, um Ringelgänse zu sehen. Und schon gar nicht für Halligstorch-Sichtungen. Aber nur hier werden die andernorts als Austernfischer bekannten Watvögel so genannt.

Halligstörche beziehungweise Austernfischer gehören zu den Arten, die jeder auf den ersten Blick erkennt. Sie bevölkern die Strände an der Nordsee wie der Ostsee, lassen sich aber auch Binnenland und im Grunde überall in Europa nieder. Im Watt sind sie aber am allerliebsten. Sie richten ihren Tagesablauf sogar nach den Gezeiten. Gegessen wird, wenn Ebbe ist.

Als einzige Hallig, die man mit Rad und Auto anfahren kann, ist die Hamburger Hallig zu klassischen Ausflugszeiten mehr als gut besucht. Man sollte sich trotzdem einreihen. Am besten aber außerhalb der Ferien. Ich richte mich gern nach dem Feriendichte-Kalender. Ideal ist es in 2023 vom 24. April bis 14. Mai. Prima verbinden lässt sich der Ausflug mit dem größten Naturschutzgebiet auf schleswig-holsteinischem Festland:

5. Die Kinderstube der Westküste: Beltringharder Koog

Je krasser der Mensch in die Natur eingegriffen hat (und das hat er an der Westküste wirklich auf allerbrachialste Art), desto entschlossener haben Umweltschützerinnen und Aktivsten für einen Ausgleich gekämpft. Bei Eindeichung der Nordstrander Bucht haben sie etwas ziemlich Wunderbares erreicht.

In weiten Teilen Totalreservat verdient der Beltringharder Koog das Prädikat Perfekt. Hier findet sich alles, was die Natur der Westküste einzigartig macht und vor allem echte Rückzugsmöglichkeit für alle, die das zum Überleben brauchen.

Weil Menschen nur an sehr wenigen Stellen stören dürfen, sind die Tiere hier trotz Nachwuchs extrem entspannt. Und wer in diesem Jahr nur Luft für einen einzigen Frühlingsausflug hat, wird im Beltringharder Koog genug sehen, um sich bis zum Sommer beseelt zu fühlen.

 

Wenn ich ´ne Möwe wär´, würde ich jeden sonnigen Tag auf der Sandbank von Westerhever verbringen. Man kann da einfach sehr schön am Wellensaum sitzen und die Nordsee glucksen hören.

6. Seevögel (und Schafe) am Strand: Westerheversand

Nähert sich jemand, erspäht man ihn schon eine halbe Stunde vorher. Aus dem Weg fliegt man der Person dann erst in der Sekunde, in der sie fotografieren will. (So jedenfalls machen es die gewaltigen Seevögelschwärme immer bei mir).

Nebenbei ist die Sandbank auch der einzige (mir bekannte) Ort an der Westküste Schleswig-Holsteins, an dem man mit Schafen am Strand chillen kann. (Normalerweise bleiben sie auf den Deichen). Schafe verhalten sich ähnlich wie Katzen. Rückt man ihnen zu dicht auf die Pelle, trotteln sie davon. Lässt man sie in Ruhe, werden sie neugierig.

Westerhever ist wegen des Leuchtturms als Touristen-Hot-Spot gefürchtet. Auf der Sandbank habe ich es allerdings noch nie richtig voll erlebt. Wobei wir zugegebenermaßen auch noch nie in den Sommerferien dort war. Jedoch schon oft kurz davor und danach, an Wochenenden und Feiertagen. (Ich tu mich immer schwer soetwas zu behaupten. Vielleicht hatten wir einfach nur zehn Jahre lang unverschämtes Glück. Möglicherweise ist die Sandbank aber auch zu gewaltig, als dass es je drängelig werden könnte.)

7. Mulit-Kulti-Kolonie am Eidersperrwerk

Ich kann nicht genau sagen, warum mich das uncharmanteste aller nordfriesischen Bauwerke immer so fröhlich macht. Aber Seevögeln geht es genauso.  Am Eidersperrwerk, ziemlich nah an der Straße, vom Publikumsverkehr nur durch einen mobilen Zaun geschützt, bauen hunderte Küsten- und Seeschwalben, mehr als tausend Lach- und Schwarzkopfmöwen und verzeinzelte Austernfischer und Sandregenpfeifer seit 2005 ihre Nester.

Es gibt sicher romantischere Orte, allerdings eignet sich das asphaltierte Deckwerk am südlichen Rand des Sperrwerks  gar nicht so schlecht zum Nestbau. Schüttsteine verhindern, dass die Eier aus den Gelegen rollen und das Buffet der Eidermündung ist bei Ebbe reich gedeckt. Das Spektakel beginnt im Mai und zieht sich mindestens bis Ende Juni.

Um die Kolonie an der Südseite des Sperrwerks zu finden, geht man einfach dem (strengen!) Geruch und (beträchtlichem!) Geschrei nach. Hier klingt die Westküste ziemlich rau. Man ist ja auch genau genommen schon in Dithmarschen. Und Dithmarschen spart sich die schönsten Lieder für den Sommer auf. Davon erzähle ich dann ein anderes Mal.  

PS.: Genauso beeindruckend wie die Vogelzüge im Frühling sind Herbstzüge an der Westküste. Mehr Infos gibts unter Westküsten-Vogelkiek.

7 Kommentare

  1. Sehr schöne Gegend-besonders außerhalb der Ferienzeit.
    Die Nonnen-und Ringelgänse habe ich auf der Hallig Lüttmoor ankommen sehen,ab 10.März bevölkerten sie zu Tausenden die Hallig.
    Zudem war Lammzeit,der Beltringharder Koog ist ja in unmittelbarer Nähe von Nordstrandischmoor.
    Der anschließende Lorendamm wurde sogar auf einem Plattencover verewigt,und zwar von Erik Cohen – Northern Soul.
    Unweit des Hauke-Haien Kooges liegt der Sönke-Nissen Koog,bekannt wohl wegen seiner grünen Dächer.
    Wie immer ein sehr schöner Bericht mit tollen Foto´s.
    Grüße aus Duisburg
    Ralf

  2. Ellen Jensen sagt

    Liebe Stefanie, danke für den schönen Bericht…bekomme gerade große Sehnsucht nach der Nordseeküste, … ich glaube, ich muss da bald mal hin…!
    „Und wer in diesem Jahr nur Luft für einen einzigen Frühlingsausflug hat, wird im Beltringharder Koog genug sehen, um sich bis zum Sommer beseelt zu fühlen.“
    Dieser Satz ist mir aus dem Herzen bzw. der Seele geschrieben, so ein Gefühl
    hinterlässt ein Aufenthalt dort auch bei mir…aber ich hätte es nie so schön ausdrücken können…!
    Herzliche Grüße von der Ostseeküste
    Ellen

    • Liebe Ellen, man kann sich immer so schlecht vorstellen, dass jemand aus Deiner Ecke sich überhaupt irgendwoanders rumtreiben möchte. Herzliche Grüße zurück, Stefanie (von der Elbe)

    • Geht mir ähnlich, Jutta. Braucht aber noch ein bisschen höhere Temperaturen. Grüße aus Eis-Land-ähnlichen Gefilden, Stefanie

  3. Liebe Stefanie.
    Schön, nach so langer Zeit wieder von Dir zu lesen. Wenngleich die Vögel zwitschern, dass da demnächst mal wieder ein tolles Buch kommen soll 🙂
    Nordfriesland ist und bleibt für mich der schönste Flecken in Deutschland. Alleine mit dessen Entdeckung könnte man sich Jahre beschäftigen. Abgesehen davon, dass ich auch dort schon zwei Jahre gelebt habe :-)….

    Ganz liebe Grüße nach Hamburg.

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