Der November 2015 war ziemlich schwere See. Paris. Pegida. Und die Kleiderkammer unseres Vertrauens setzte über Wochen ganz oben auf ihre Spendenliste die Bitte um Baby-Flaschen, Baby-Puder, Baby-Schnuller.
Das kann einen dermaßen erschöpfen. Da möchte man sich am liebsten in die hinterste Koje verkrümeln. Aber das bringt ja nichts, wie jeder Seemann weiß. Unter Deck wirds einem besonders übel.
Wenn die Wogen hochgehen, muss man Haltung annehmen. Sich gerade machen. Den Horizont anvisieren. Und ich denke, dass wir das in Hamburg können.
Da ist etwas am Wesen der Hamburger, das ich sehr schätze. Ich spreche natürlich nicht von allen Hamburgern. Denn unter 1,76 Mio Menschen finden sich logischerweise auch ein paar Arschgeigen. (Oberflächliche, Radikale, Gewaltbereite oder solche, die in Luxus-Lofts sitzen und sagen, die Belastungsgrenze sei angesichts der vielen Flüchtlinge nun mal erreicht).
Von denen will ich aber gar nicht reden. Sondern von den anderen. Es ließ sich letzte Woche beim Abschied von Helmut Schmidt beobachten.
Wir hatten uns gegenüber vom Michel postiert. Sooo weiträumig wie alle schrieben, war er nämlich gar nicht abgesperrt. Jedenfalls nicht für Fußgänger. Allerdings massiv geschützt. Geradezu be-schützt fühlte man sich nach den Eindrücken von Paris. Mag sein, dass ich romantisiere.
Der Himmel war ungewohnt blau. Die Straßen ungewohnt still. Ein bisschen wehmütig gings zwar zu. Weil die Zeit vergeht. Weil eine Stadt mit Helmut Schmidt nun mal größer scheint als eine ohne ihn. Aber von Gefühlsduselei war man weit entfernt.
Das war ein respektvoller und anmutiger Abschied. Er glich damit dem Bild, das man von Helmut Schmidt hat. Diesem Bild nach wäre Gemeinschaftserregung nicht seine Sache gewesen. Hamburger eben.
Niemand instrumentalisierte diesen Tag. Niemand schaute panisch nach dem bärtigen Mann mit dem Rucksack. Keiner schrie von Lügenpresse oder schwadronierte von den Dingen, die „Mutti“ nicht checkt. Es waren nur die gekommen, die leise Gedanken lauten Parolen vorziehen. Es war wie eine Atempause.
Es gibt da eine bestimmte Feinheit im Hamburger Gemüt. Sie wird manchmal für Arroganz oder mindestens Distanziertheit gehalten. Aber es geht um etwas anderes. Man möchte dem anderen nicht zu nahe treten. Und man beansprucht auch für sich selbst das Recht, so zu sein, wie man will.
St. Paulianer nennen das: Leben und leben lassen. Die Jungs aus Wilhelmsburg sagen: Weißt Du, Digger, ich mach mein Ding und Du Deins.
Mag sein, dass ich idealisiere. Doch es erscheint mir undenkbar, dass hier einer seinen Speckrücken mit Auschwitz-Tätowierung im Spaßbad spazieren führt. Und es schnürt mir die Luft ab, dass es anderswo möglich ist.
Terror. Fremdenhass. Flüchtlingselend. Wir werden uns an all das gewöhnen, sagen Psychologen. So tickt der Mensch. Das kann ich mir noch nicht vorstellen. Allerdings war mir nie so bewusst wie gerade jetzt, wie gut es mir geht.
Allein eine warme Wohnung zu haben. Allein morgens von Möwen geweckt zu werden. Allein den Menschen seiner Stadt zuzutrauen, alles Mögliche zu schaffen.
Natürlich, man kann sich nie ganz sicher sein. Und doch traue ich den Hamburgern eine bestimmte Haltung zu. Eine bestimmte Feinheit im Gemüt.
Wer am Hafen lebt, dessen Gedanken fliegen freier. Denk ich mir. Oder ist das Folklore?
Mittlerweile fürchten ja Viele, der gesamte Hamburger Hafen würde zur Kitschpostkarte mutieren.
Mir macht das aber nichts. Denn das war schon immer so. Die Filme von Hans Albers etwa wurde stets als schwülstig und pathetisch bezeichnet.
Also Kitsch hat hier a) Tradition und b) wirkt da was, selbst wenn es nur Pose ist.
Außerdem ist der Kitsch leicht wie Puderzucker. Man muss nur einmal pusten, wenn mans nicht so süß mag. Ulf Pape und Denys Karlinskyy haben das mit ihrem Film Anderland aus hervorragendem Winkel getan. Unter der Glasur bleibt Hamburg weiter wesentlich. Hamburger weiter kantig.
Das Wesen der Freien und Hafenstädter zeigt sich im ersten italienischen Restaurant Deutschlands, in der Kirche des sündigsten Stadtteils der Welt, in der Bar vom verrücktesten Horst, in Heikes Haartreff ums Eck sowie beim hanseatischsten aller Senatoren, der je in der Hamburger Bürgerschaft saß und aus Ceylon stammt.
Denn natürlich … diese bestimmte Feinheit der Hamburger, die generiert die Stadt ja nicht aus sich selbst heraus. Die importiert sie von Überall. Hamburg, das sind 1,76 Mio Menschen aus 183 Nationen. Deswegen spricht man auch vom Tor zur Welt. Und deswegen kriegen wir auch hin, was hingekriegt werden muss.
In diesem Sinne: einen schönen 1. Advent.
Es ist alles gesagt. Und das auf eine wunderbare Art und Weise. Danke dafür, Steffi.
Freut mich, dass es Dir gefällt.
Genau so. Und das ist der Grund, warum ichs einfach so wahnsinnig vermisse…
Och Merle… kann ich verstehen.
Stefanie, ganz toller Artikel.
Bravo, gut gemacht!
Liebe Grüße
Tamara
Vielen Dank!
Liebe Stefanie,
besser hätte man es nicht in Worte fassen können, was uns derzeit so beschäftigt – Danke, dass du es getan hast und dass du Optimismus ausstrahlst.
Eine schöne Adventszeit für euch!
Liebe Grüße Eva
Liebe Eva, das wünsche ich Euch auch! Stefanie
Liebe Stefanie,
dein wunderbarer Artikel hat mich sehr berührt. Danke für so viel Tiefsicht in die Hamburger Seele :).
Liebste Grüße
Steffi
Vielen Dank für Deinen Kommentar, Steffi. Und liebe Grüße. Steffi 🙂
War so böse heute auf viele Hamburgerinnen und Hamburger: Auf die ewigen Bedenkenhaber unter ihnen, die Angsthasen, die selbst ernannten Rechenkünstler, die Nu-is-aber-mal-gut-mit-immer-noch-was-Neues-Fraktion. Die, die Hamburg nichts zutrauen, weil sie sich selbst nichts zutrauen.
Jetzt geht es eigentlich gerade wieder…
So sind sie halt.
Danke für diesen Beitrag!
Ja, Janne, ich war auch enttäuscht. Das beste Argument gegen Olympia hatte meine Nachbarin. „Nee, nee, 2024 bin ich 89; da habe ich doch keine Lust mehr, zu einer Olympiade zu gehen“ 😉 LG, Stefanie
Danke für deinen Optimismus, liebe Stefanie, der tut gerade so richtig gut!
Gern geschehen. Denn: nützt ja nix (wie die Hamburgerin sagt) 🙂