Bleibt man in Bewegung & am Strand, ist der norddeutsche Winter erträglich. So dachte ich neulich auf einer kurzen Wanderung von Sierksdorf nach Neustadt. Das war nicht an einem der zwei, drei Sonnentage zwischen Dezember und März oder in einem Jubeljahr mit Eis und Schnee. Sondern bei ganz normaler norddeutscher Winterwitterung, also nasskaltem Wetter.
»Nasskalt« sieht m.E. weder besonders gut aus, noch fühlt es sich besonders gut an. Einzig den Stränden kann »nasskalt« nichts anhaben. Selbst an den gräulich-grausten Tagen, wenn alle anderen Landschaften deprimierend wirken, bleiben Strände Idyllen in Muschelfarben. Und nach einigen schnelle Schritte zieht die Kälte auch gar nicht mehr durch Mark und Bein.
Daher sind die Küstenwanderwege an der Ostsee eine feine Sache. Besonders Streckenwanderungen von Bahnhof zu Bahnhof. Denn dabei bleibt man durchgehend am Meer; kommt mit dem öden Hinterland also nur minimal in Berührung. Zudem läßt sich die Lauf- nach der Windrichtung richten.
Schade nur: in Schleswig-Holstein sind erstaunlich wenig Küstenorte an die Bahn angeschlossen. Das war nicht immer so. Und ist ebenso seltsam wie betrüblich für eine der beliebtesten Urlaubsregionen im ganzen Land. (Meiner Vermutung nach ahnen weder Verkehrs- noch Heimatminister, dass Deutschland größer ist als Bayern und Berlin. Aber das ist ein anderes Thema.)
Wandern mit Ostseeblick entlang der Vogelfluglinie
Wirklich gut an die Bahn angebunden ist die Ostseeküste von Schleswig-Holstein heute nur noch entlang der sogenannten Vogelfluglinie von Hamburg nach Kopenhagen. Vielmehr sollte ich wohl sagen „der ehemaligen Vogelfluglinie“. Denn (darauf wurde ich netterweise in den Kommentaren hingewiesen) der Eisenbahnfährverkehr auf der Vogelfluglinie wurde am 14. Dezember 2019 eingestellt. Eine Wiederaufnahme ist bis zur Inbetriebnahme der festen Fehmarnbelt-Querung (frühestens im Jahre 2028) nicht geplant. Trotzdem – noch immer fährt die Bahn. Für Wander*Innen liegen die wichtigsten Kilometer zwischen Lübeck und Puttgarden. Nur hier sind Tageswanderungen von Bahnhof zu Bahnhof möglich. Genügend, um einen Winter gut zu überstehen.
Es warten acht Touren unterschiedlicher Länge. Da ist für jeden und für jedes Wetter was dabei. Und am besten wandert man außerhalb der Hochsaison, denn dann wirds hier zu trubelig. (Will man unbedingt zwischen Juni und September losstiefeln, sollte man auf die ganz frühen Morgenstunden setzen). Und nun geht´s aber mal los – am südlichsten Strand – in Travemünde.
1) Rundwanderung auf dem Priwall: knapp 12 km
Der Priwall ist eine Halbinsel in der Travemündung und gehört zu Lübecks Stadtteil Travemünde. Vom dortigen Strandbahnhof erreicht man schnell die Fähre, die auf den Priwall übersetzt. Besser noch, man erreicht die Fähre langsam – denn in Travemünde promeniert & flaniert es sich gut.
Am jenseitigen Ufer der Trave angekommen, schickt ein Wegweiser vom Anleger direkt auf den Rundwanderweg Südlicher Priwall. Wer eine weite Anreise hat, sollte eine Übernachtung in Travemünde ins Kalkül ziehen. Dann kann am nächsten Tag die Küste in nördlicher Richtung erwandert werden.
2) Balanceakt am Brodtener Steilufer: 12 km
Die Wanderung vom Bahnhof Travemünde bis zum Bahnhof Timmendorfer Strand gehört sicherlich zu den beliebtesten Wanderungen überhaupt an der Ostseeküste. Sie ist aber auch zu schön! Sie startet mit einem Promenadenspaziergang auf der prächtigen Kaiserallee, führt hoch auf eine bewaldete Steilküste, wo ein Pfad dicht an der Abbruchkante nach Norden mäandert.
Die klassische Einkehr erfolgt im Ausflugslokal Hermannshöhe auf halber Strecke nach Niendorf oder eben in Niendorf selbst im Fischereihafen. Sams-, sonn-, feier- und ferientags ist auf der Strecke einiges los. Oder anders gesagt: die Zeitfenster für Ruhe sind auf diesem Weg klein. Wenn man eines findet, könnte man durchdrehen – so schön ist die Tour.
3) Seebäderbummel in Timmendorfer Strand und Scharbeutz: 6 km
Das Wetter ist schrecklich? Das ist ideal um die Touristen-Hochburgen der Ostseeküste von Schleswig-Holstein kennenzulernen. Nirgends gibt es mehr Hangouts mit Meerblick als hier. Und nirgends dauert die Saison so lang wie hier, nämlich: immer. An Regentagen kann man sich also von Strandbar zu Strandrestaurant hangeln.
Regnet es nicht, konzentriert man sich auf den Grund, warum die Zwillings-Seebäder so beliebt sind: die feinsandigen, steinlosen Strände der Lübecker Bucht. Da beide Bahnhöfe etwa 1,5 km vom Strand entfernt liegen, erfasst man auf der Tour auch die höchst unterschiedlichen Charaktäre des (ehemals) mondänen Timmendorfs und des (ehemals) familienfreundlichen Scharbeutz. Spielen Wetter und Beine mit, kann man dem Bummel super um die folgende Wanderung verlängern.
4) Kinderleicht – Scharbeutz bis Haffkrug: 6 km
Dieser Weg ist etwa so lang wie die Gemeinde Scharbeutz. Sie glänzt als einzige in Schleswig-Holstein mit gleich zwei Ostsee-Bahnhöfen. Das Ziel Haffkrug gehört zwar zu Scharbeutz. Verströmt aber eine ganz andere Atmosphäre. Hat man die Gastromeile mit Gosch, Café Wichtig und dem riesigen Klotzhotel am Strand erst einmal hinter sich gelassen, wird es mit jedem Schritt nach Norden etwas unprätentiöser und sogar leerer. Bis man irgendwann wieder das Gefühl hat, atmen zu können. (Jedenfalls im Winter und bei schlechtem Wetter).
Die Wanderung nach Haffkrug bietet sich auch mit Kindern an. 2018 hat die Gemeinde ihren Fischerei-Erlebnispfad aufgehübscht. Die kindgerechten, interaktiven Stationen ziehen sich entlang der Promenade. Ein kleiner Spielplatz komplettiert den Spaß. Auskennerin Jana von „Küstenkids Ahoi“ urteilt: absolut empfehlenswert.
5) Malerische Reise von Haffkrug nach Sierksdorf: 2,7 km
So schmal wie die Strände von Haffkrug und Sierksdorf, so kurz ist auch der Weg von einem Bahnhof zum anderen. Es lohnt sich dennoch. Zum einen passt so ein Miniweg selbst in die kleinste Regenpause. Zum anderen gibt sich diese Ecke der Lübecker Bucht wirklich sehr malerisch. Seit ewigen Zeiten schon zieht es Künstler daher nach Sierksdorf.
Neun Ostseemaler und 15 Werke stellt der Sierksdorfer Farbraum auf einem audiovisuellen Kunstrundgang vor. Er schlängelt sich von Haffkrug zur Steilküste und durch ganz Sierksdorf. Mittels QR-Code lassen sich Audiodateien ansteuern. Das ist wirklich toll gemacht. Am Ende steht der Schrittzähler etwa auf 7 km.
Der derzeit wohl bekannteste Einwohner Sierksdorfs, Armin Müller-Stahl, hat kein Werk beigesteuert. Er gehört aber zu den Initiatoren/ Unterstützern des Kunstrundgangs. Die 10 Freunde haben neben bekannten Motiven von Karl-Schmidt Rotluff oder Günther Machemehl auch Künstler zum Neuentdecken ausgewählt. Oder solche, die einen schon in der Kindheit begleitet haben, ohne dass man es wusste.
Das Werk Steilufer von Klaus Möller bildet das nördliche Ende des Kunstrundgangs und steht eben dort, also am Steilufer. Beziehunsweise schon auf der nächsten Wanderung.
6) Wanderung von Sierksdorf nach Neustadt: 7 km
Auf der Wanderung von Sierksdorf nach Neustadt kontrastieren Hässlichkeiten mit Naturschönheiten. Ich mag so etwas bis zu einem gewissen Grad. So wie andere vielleicht gern Gruselfilme gucken. Daher lohnt sich die Wanderung m.E. unbedingt. Aber das sieht vielleicht nicht jeder so.
In Neustadt angekommen, könnte man weiter wandern. Bis nach Pelzerhaken, Grömitz, Kellenhusen oder Dahme. Aber dann bräuchte man 2 Tage. Denn einen Bahnhof am Meer erreicht man erst wieder nach bummelig 50 Kilometern. Darum enden mit der Wanderung von Sierksdorf nach Neutstadt die Tourenvorschläge an der Lübecker Bucht. Weiter geht es am Fehmarnsund.
7) Wie geht´s von Großenbrode nach Burg? (Etwa 15 km)
Für eine der beliebtesten Urlaubsregionen Deutschlands ist die Ostseeküste von Schleswig-Holstein nicht nur erstaunlich schlecht an die Bahn angeschlossen. Es existieren auch erstaunlich wenig offizielle Wanderwege. Wie man von Großenbrode, dem letzten Seebad auf dem Festland, in die Inselhauptstadt Burg auf Fehmarn gelangt, muss (will) ich noch herausfinden.
Großartig verlaufen kann man sich am Meer ja sowieso nicht. Zudem ist meist ein ausgeschilderter Radweg in der Nähe. Denn auf Radfahrer*innen ist man im Norden wirklich hervorragend vorbereitet. Ob ich einen besseren Wanderweg von Großenbrode nach Burg finde, als die Radlerpiste Mönchsweg werde ich natürlich hier erzählen. Die Tour steht als Mikroabenteuer mit Übernachtung auf meiner Bucket-List. Dann lohnt sich auch die etwas längere Anreise aus Hamburg – und an Tag 2 gehts dann auf
8) Inseltour von Burg nach Puttgarden: 29 km
Der Weg von der Inselhauptstadt zur Inselspitze ist mit fast 30 km durchaus eine Herausforderung. Vielleicht keine, die man bei hoher Regenwahrscheinlichkeit annehmen sollte. Fehmarn ist eine der ganz wenigen deutschen Inseln, auf denen man in die Verlegenheit kommen könnte, über weite Strecken keine Einkehr- oder Unterstellmöglichkeit zu finden.
Wenn man sich die wunderbaren Fotos von Alex anschaut, braucht die Tour einen Tag, an dem man gar nicht einkehren will. Auf seinem Blog Draussenlust.de führt er im Herbst von Puttgarden nach Burg. Sowieso ja eine tolle Wanderzeit. Genau wie der Frühling. Aber auch im Winter werden sich passende Tage finden, denn Fehmarn gehört zu den sonnenreichsten Gegenden in Deutschland.
PS.: Jenseits der Vogelfluglinie geht nicht viel
Beim Blick auf die Karte ist gut zu sehen, dass die aufgeführten Wanderungen sich auf einen recht kurzen Küstenabschnitt konzentrieren. Konkret den Südosten (etwa dort wo unser Fisch-Logo prangt).
Der ganze lange Rest der Küstenlinie jenseits von Fehmarn ist lediglich mit drei Bahnhöfen bedacht: Kiel, Eckernförde und Flensburg. Um von Flensburg nach Eckernförde zu wandern, bräuchte es mindestens 5 besser aber 7 Tage. Die Wanderung von Eckernförde nach Kiel ist mit bummelig 50 km für ein zweitägiges Abenteuerchen gut. Aber das würde ich mir für den Sommer aufsparen.
Dieser Beitrag nimmt an Andreas Blogparade „Ab nach draußen – auch im Winter“ teil. Auf ihrem Blog indigoblau gibt´s viele weitere Inspirationen. Nicht nur für den Norden.
Hey Stefanie,
sehr nützliche Zusammenstellung der Touren! Ich mag Deinen Erzählstil echt gern. Und danke für die Erwähnung!
Viele Grüße
Alex
Sehr gern. Und freut mich. 🙂
Leider ist die Zugverbindung von Hamburg nach Kopenhagen über Puttgarden eingestellt (Vorbereitung für den Tunnelbau, die sog Beltquerung)
Kopenhagen wird nun via Flensburg angefahren und Fehmarn ist nur noch mit Bummelzug erreichbar ?
Jetzt schon? Das ist ja irre. Da kommt wohl echt was auf Euch zu 🙁 Ich habe gerade mal nachgesehen… von HH braucht man derzeit nach Puttgarden (150 km) exakt so lang wie nach Stralsund (300 km. Danke für den Hinweis. Und liebe Grüße, Stefanie
Wie Strand und Meer das nur hinkriegen, auch an Mistwettertagen so toll auszusehen?! Dieser blaugraugrüne Farbton, einfach toll!
Und es riecht auch so schön 🙂
Hey, wie toll, das ist aber eine ganz schöne Zusammenstellung – und so inspirierend. Wenn du an meiner Blogparade damit teilnimmst, magst du dann auch auf mich verlinken? Das wäre toll. Ich glaube, ich muss mal wieder zum Wandern zu Euch kommen. Jetzt mag ich gar nicht mehr ruhig rumsitzen, bei so viel Inspiration 🙂
Hej Andrea – hab´s nachgeholt (derzeit etwas fahrig). LG, Stefanie
Toll geschrieben, da hab ich gleich Lust, loszuwandern. Prima, Dankeschön