Olympia 1972 hat die Infrarstruktur der Landeshauptstadt Kiel entscheidend verbessert und nachhaltige Akzente im Stadtbild gesetzt, so lese ich es auf einer Infotafel an der Strandpromenade von Schilksee. Das mit der Infrastruktur kann ich nicht beurteilen. Der nachhaltig Akzent ist angesichts des Olympiazentrums im Stil des Brutalismus nicht zu übersehen.
Nachhaltige Akzente. Die Formulierung merke ich mir. Man kann sie prima einsetzen, wenn einem die Worte fehlen (Dein neues Kleid (Sofa, Frisur) setzt echt einen nachhaltigen Akzent.) Oder auch, wenn man sich mal daneben benommen hat. (Sorry, ich wollte Dich nicht verärgern, nur einen nachhaltigen Akzent setzen.). Da schließt sich der Kreis zu den Sichtbetonbauten in Schilksee: sie scheinen mir so daneben, dass mir die Worte fehlen.
Wäre Schilksee natürlicher gewachsen, sähe es heute vielleicht so aus, wie die Seebäder Strande nur einen Spaziergang weiter nördlich und Laboe auf dem gegenüberliegenden Ufer der Kieler Förde. Womit wir bei den Vorzügen von Schilksee wären – und das ist: alles, abgesehen von den Sichtbeton-Bauten des Olympiazentrums.
Schilksee ist Kiels einziger Stadtteil an der offenen Ostsee. Und Kiel wiederum ist vielleicht die einzige Stadt, in der ich genauso gerne Richtung City spaziere wie stadtauswärts. Jedenfalls von Schilksee aus. Denn das ist schon sehr, sehr herrlich, wie ich da innerhalb von Sekunden über die Strandpromenade aufs Hohe Ufer finde – und mich fernab der verbesserten Kieler Infrastruktur fühle.
Schilksee – Falckenstein: knapp 4 Kilometer Küstenweg
Im Schilksee der Jahrhundertwende konnte man vom Strandhotel weit bis zur Steilküste sehen. Heute geht das nicht mehr. Auf der ehemals nackten Kliffkante ist die Natur ins Kraut geschossen und das Steilufer zum Landschaftsschutzgebiet erklärt. Das Beste: die Bebauung ist unmöglich. Denn Abbrüche sind keine Seltenheit. Davon profitiert der anschließende Falckensteiner Strand.
Etwa dort, wo der sandige Küstenpfad in einen asphaltierten Weg übergeht, lagert sich der Sand der Steiluferabbrüche ab. Dort heißen die Bistros „Elefant am Strand“ und „Ute im Bikini“. Ein Name, auf den im Grunde nur pensionierte Politiklehrer nach einer Flasche Rotwein kommen können. (Vielleicht denke ich das auch nur, weil Kiel für mich lange Zeit bloß der Ort war, an dem Lehrer:innen studieren. Also nichts, wo man sich perse hinwünscht.)
Inzwischen habe ich Kiel längst lieben gelernt. Und dass sich die Welt hier schon wieder fast ganz normal anfühlt, ist natürlich auch nichts Schlechtes. Sogar die ersten Berliner sind schon wieder da – und fragen mich nach dem Weg zum Fähranleger.
Nach dem Weg fragen ist etwas, das Norddeutsche nur im aller-, allergrößten Notfall tun. Berliner und Schwaben hingegen geradzu zwanghaft. Ein Art How-do-you-do vielleicht. Denn so viele Bauten ragen ja nicht ins Wasser. Am Falckenstreiner Strand zum Beispiel bloß der Leuchtturm Friedrichsort und der Anleger. Auf den ich nun höflich zeige.
Aber man darf auch nicht zu sehr in Stereotypen denken. Nicht alle Norddeutschen sind beispielsweise gleich. Das wird mir auf dem Rückweg nach Schilksee klar. Dieses Mal bleibe ich unten am Strand. Und wenn der in Hamburg wäre, wäre der nicht nur total überfüllt. Sondern auch mit Masken übersäht. Heute habe ich noch keine einzige im Gebüsch hängen oder in Pfützen schwimmen sehen.
Wenn einem so etwas erst einmal aufgefallen ist, guckt man natürlich besonders genau hin. Ich entdecke nichts, rein gar nichts, keine Bierflasche, keinen Kaffeebecher-to-go, keinen Pizzakarton zwischen Falckenstein und Schilksee. Das sind an der Wasserkante gebummelt immerhin knapp fünf Kilometer. Und das nenne ich nun wirklich mal einen nachhaltigen Akzent.
Wenn man aus einer Stadt kommt, in der es üblich ist, seinen Müll direkt neben dem Mülleimer auf den Boden zu werfen, kann man da nur staunen. Kieler haben Hamburgern offenbar mehr voraus als bloß die Chance, in der nächsten Saison in der Bundesliga zu spielen.
Als ich die Infotafel an der Strandpromenade vom Olympiazentrum in Schilksee erreiche, finde ich die Bebauung auf einmal gar nicht mehr so schlimm.
Alles eine Sache der Perspektive. An meinem Geburtstag habe ich öfter mit Kollegen auf der Terrasse dieser schrecklichen Bauten gefrühstückt und das Treiben der Kieler Woche beobachtet. Das findet nämlich, man glaubt es kaum, auf dem Wasser statt. Und von dort sieht man den Brutalismus nicht:-)
Man würde ihn ja auch abreißen, aber man schafft es nicht die ganzen Eigentumswohnungsbesitzer unter einen Hut zu bringen. So ist das Konzept gefangen in sich selbst. Und doch ist es auch heute noch fast die einzige Möglichkeit, die echte Seite der Kieler Woche zu erleben. Die Strände rund um Kiel sind echt ein Traum. Vor allem Falkenstein, der Treffpunkt für Kieler Studenten. Nirgends kommt man den Fähren bei Abfahrt und Ankunft so nah wie hier am Leuchtturm.
Ja, Kiel war für mich auch die Liebe auf dem zweiten Blick. War eine sehr schöne Zeit dort.
Übrigens, falls Du über die A7 gekommen bist: Sie ist für die Anbindung der Olympiade von Hamburg bis Bordesholmer Dreieck und ab dort als 210 bis Kiel weiter gebaut worden. Zuvor lief der ganze Verkehr über die Bundesstraße (Alte Kieler Straße) und Hamburger Chaussee.
Lieber Gruß nach Hamburg
Lieber Kai,
ich finde auch, dass die Atmosphäre in Schilksee eine besondere ist. Obwohl ich keine Ahnung vom Segeln habe, kann ich doch erkennen, dass da Spitzensport getrieben wird – und nicht bloß der berühmte Zahnarzt im Ruhestand auf seiner Jacht in der Sonne brutzelt.
Wie ich gerade gesehen habe, findet die Kieler Woche in diesem Jahr nicht zu Deinem Geburtstag statt, sondern erst im September. Hoffentlich sieht die Welt bis dahin schon wieder anders aus.
Liebe Grüße, Stefanie
Den Brutalismus haben wir letztes Jahr im Frühling auch neu entdeckt und ihn drinnen sitzend halt auch nicht schrecklich empfunden – von dort aus ist die Aussicht bestens. Die anschließende kleine Promenade Richtung Falckenstein fand ich ausgesprochen idyllisch mit den vielen alten Häuschen, die sich als Feriendomizile herausgeputzt haben. Viel Grün durch angrenzende Parks, – Du weißt, wie ich das liebe. Das Beste ist doch die Fähigkeit, in allem was Schönes zu entdecken. In diesem Sinne viel Spaß überall – aber das nächste Mal bitte ich um Einkehr bei mir.
Ich glaube, ich weiß sogar, welche Häuschen Dir am besten gefallen haben. Ich mochte besonders die 70er-Jahre Bungalows. Also, da würde ich schon auch gern leben. Das mit der Einkehr gebe ich natürlich zurück für den nächsten Hunde-Check etc. 🙂
Liebe Stefanie,
Kiel ist auch für mich eine Stadt deren Reiz sich nicht sofort erschliesst. Teile der Innenstadt lassen aber durchaus erahnen dass Kiel mal eine schöne Stadt gewesen sein muss. Interessant fand ich, dass selbst Kieler mir Schilksee als nicht unbedingt sehenswert beschrieben haben. Da ich lieber auf der anderen Seite der Förde in Laboe bin, habe ich bisher auch davon abgesehen. Eigentlich muss es aber ein tolles Erlebnis gewesen sein, die Olympischen Spiele in seiner Stadt zu haben und viele erinnern sich bestimmt auch gerne daran. Diese Erinnerungen können auch nicht so gelungene Bauwerke bewahren, es kommt natürlich auf deren Zustand an und im Falle von Schilksee sollte man vielleicht auch etwas sportinteressiert sein. Ich denke die Gegend zwischen Strande und Holtenau ist demnächst vielleicht doch einen näheren Blick Wert, ohne nach dem Weg zu fragen …
Viele Grüße aus Berlin
Ralph
Lieber Ralph,
bitte nicht meinetwegen verirren 🙂 Es ist ja wirklich schön, dass Berliner nicht so verstockt sind. Das wollte ich überhaupt nicht kritisieren.
Grüße in die Hauptstadt
Stefanie
[…] Deutschland-Ticket inkludiert (Wahnsinnsnachricht). Und mindestens zum Falckensteiner Strand, nach Schilksee, Strande, Heikendorf und Laboe sollte man mal geschaukelt sein. Toll ist auch die Kombi mit einer […]