Als ich vor der Reise im fünften Reisebericht zum fünften Mal las, man müsse in Norwegen von einem deutlich langsameren Reisetempo ausgehen, als man annehmen sollte, dachte ich: Ja, ja, ist ja gut. Ich habs kapiert. Aber das hatte ich nicht. Ich verstand es erst auf Lista.
Wir hatten die Halbinsel Lista am Vorabend erreicht und keinen weiteren Grund gefunden, den megaentspannten Campingplatz von Lomsesand noch einmal zu verlassen. Hatte er doch alles zu bieten, was man zum Zufriedensein benötigt, nämlich eine geschützte Bucht mit Sandstrand und Dünen im Dänemark-Look – eine weitere Landschaft, die ich so in Norwegen gar nicht vermutet hatte.
Reisetempo Norwegen: Höchstgeschwindigkeit 80 kmh
Dementsprechend ausgeruht waren wir am nächsten Morgen. Das Wetter war mal wieder prima, sollte sich laut App aber verschlechtern. Und das rief danach, ein paar Kilometer zu machen. Wir peilten Flekkefjord an, 40 km entfernt, westlichstes Städtchen von Südnorwegen und groß genug, als dass wir dort ein Frühstückslokal vermuteten.
Es war nur so, dass direkt die nächste Bucht aus der Ferne verführerisch wirkte, gänzlich anders, als die in der wir übernachtet hatten. Und so machten wir einen kurzen Schlenker zum Strand von Hauvik. Und wir das eben so ist in Norwegen, wo immer eins zum anderen führt, entdeckten wir dort eine Infotafel, die den Kyststien empfahl. Die Panoramaroute schien gar nicht so viel weiter, jedoch um einiges Spannender als die Hauptstraße.
Höchstgeschwindkeit 80 kmh minus Abstecher & Schlenker
Einen ersten Zwischenstopp legten wir am Lista Fyr ein. Der Leuchtturm aus den 1830er Jahren gibt sich um einiges schlichter als Lindesnes Fyr. Wir hatten das beeindruckende Leuchtfeuer am Südkap von Norwegen gerade erst am Vortag besucht. Also sparten wir uns auf Lista den Eintritt und Aufstieg und stromerten nur ein bisschen durch die Gegend.
An keinem anderen Ort in Norwegen sind so viele verschiedene Vogelarten zu beobachten wie an den Steinstränden beim Lista Fyr. Birdwatcher können sich hier über 341 Arten freuen. Kunstliebhaber kommen auch auf ihre Kosten. Auf dem Gelände des Leuchtturms und drumherum findet sich einiges an Kunst im öffentlichen Raum.
Kunst, Vogelschwärme und ein Leuchtturm sind nicht spektakulär genug, um an einem Sonntag besonders viele Norweger anzulocken. Jedenfalls waren außer uns bloß ein Vater mit Sohn unterwegs. Da konnte man verstehen, dass der Kiosk gar nicht erst geöffnet hatte. Aber uns stand der Sinn nun wirklich nach Kaffee. Nicht gerade auf dem verwaisten Besucherparkplatz eines Leuchtturms, sondern irgendwo, wo´s schön ist. In Norwegen ist das im Grunde immer hinter der nächsten Kurve.
Das Reisetempo in Norwegen berechnet sich grob gesagt so: Höchstgeschwindigkeit 80 kmh minus Abstecher, minus Schlenker auf Panoramrouten, minus Zwischenstopps, minus Orte, die in Dich einfahren wie der Blitz, die Dich im Innersten berühren, nach denen Du Dich schon immer gesehnt hast, ohne es zu wissen. Wo Du also anhalten musst. Eine Weile bleiben. Bei mir war das so in Jøllestø.
Jøllestø ist ein Miniörtchen mit Minihafen und einer brachialen Festungsruine auf den Hügeln im Rücken. Das Nordberg Fort gehörte zum Atlantikwall der Nazis. Es ist von der Küste aus kaum auszumachen, aber wer sich für so etwas interessiert, findet dort oben ein Museum.
Wer sich mehr für gottverlassene Gegenden interessiert und Wellen, die an Felsen klatschen, bleibt unten. Egal, wie der Wind auch pfeift, es lohnt sich, den kleinen Trampelpfad links der Kaimauern zu einer exponierten Klippe zu nehmen.
Dort gelangt man zu einer geschützten Stelle, so friedlich, dass man dort alles um sich herum vergisst. Dabei handelt es sich beim Lista Hammer eigentlich um einen weiteren von den deutschen Besatzern geschändeten Ort. Die Nazis hatten hier einen Peilsender installiert.
Man kann Ewigkeiten in der Ruine sitzen und die Wärme hinter den Mauerresten genießen mit Blick auf Blumenteppiche und dem Krachen der Wellen im Ohr. Vielleicht habe ich das auch getan.
Jedenfalls changierte die Stimmung meines Reise- und Lebenspartners irgendwo zwischen hochbesorgt und leicht ungehalten, als er herbeigelaufen kam, um sich zu versichern, dass ich noch existierte.
Reisetempo Norwegen: laaange Pausen einplanen
Während ich die Zeit am Lista Hammer vergaß, hatte er in einigen Kilometern Entferung einen weiteren Leuchtturm ausgemacht. Ein Leuchttürmchen eigentlich nur. Und so machten wir uns auf die Suche nach einem etwaigen Zugang.
Ich bin ohnehin ganz froh über den Schwarzwälder an meiner Seite. In Norwegen war ich es aber ganz besonders. Denn Schwarzwäldern traue ich auf den teilweise echt krassen, schmalen Pisten einfach mehr zu als mir oder Leuten, die ihren Führerschein in – sagen wir – Dithmarschen gemacht haben.
Im Schneckentempo zum Varnes Fyr
Gerade wenn´s besonders steil zugeht, findet man in Norwegen unasphaltierte Schotterpisten vor, so schmal, dass es nur für ein Fahrzeug reicht. Kommt jemand entgegen, muss einer von beiden rückwärts zur nächsten Ausweichstelle eiern. Oft an heftig abfallenden Hängen. So ist das auch auf dem Weg zum Varnes Fyr.
Der Leuchtturm Varnes Fyr ist nicht ausgeschildert, dafür aber das Varnes Fort, ein weiteres Atlantik-Wall-Relikt. Es geht durch ein romantisches Tal bis zu einem geschlossenen Gatter, wo wir sicherlich enttäuscht umgekehrt wären, wäre nicht ein Auto aus der anderen Richtung gekommen, eine Frau ausgestiegen und zum Gatter getanzt, wirklich, um uns mit großer Geste hindurchzuwinken.
Dahinter liegt ein Wunderland. Und nach einer Weile taucht auch ein kleiner Parkplatz auf. Hier starten verschiedene Wanderwege. Jetzt ist auch Varnes Fyr ausgeschildert. Der Weg führt durch einen märchenhaften Küstenwald. Es geht auf uralten Treppen hinauf und hinunter. Die Pfade sind von Baumwurzeln geädert, so dass sie wie lebendig wirken. Holzplanken führen über moorige Abschnitte, bis man irgendwann wieder aus dem Wald auftaucht – hoch über dem Meer.
Es fällt mir schwer zu rekapitulieren, wie weit es bis zum Leuchtturm ist. Vielleicht 2 oder 3 km. Aber die dauern. Weil man ständig stehenbleiben muss. Fassungslos.
Es gibt so einige tolle Aussichtspunkte auf dem Weg. Auch Bänke und andere Plätze, die sich für eine Thermoskanne mit Kaffee aufdrängen. Sogar eine Hütte mit Grillplatz wartet kurz vor dem Leuchtturm auf Tageswanderer.
Varnes Fyr ist winzig. Schrabbelig. Verrammelt. Wunderbar.
Man kann da nichts machen, als weit aufs Meer hinaus gucken oder tief hinunter oder in sich hinein. Bis man es irgendwann nicht mehr aushalten kann, weil man jetzt – echt mal – einen Kaffee braucht.
Sicherlich hätten wir das nur 40 km entfernte Flekkefjord in weniger als einer Stunde erreichen können. Dass wir den ganzen Tag brauchten war aber auch ok. So passte der Kaffee viel besser zum Kuchen.
Reisetempo Norwegen: Was ich eigentlich sagen wollte
Noch besser wäre nur gewesen, wenn wir uns mehr Zeit gelassen hätten. Wie man bei Anke und Thorsten von moose around the world sehen kann, hat Lista noch ganz andere Seiten, als die, die uns so begeistert haben.
Hallo Stefanie,
grandiose Bilder! Ich bin verliebt. Das klingt nach einem rundum gelungen Tag. Und es sieht alles so ruhig, gechillt und romantisch aus. Da muss man wirklich keine Kilometer schrubben.
Besonders die Geschichte mit dem Gatter hat mir gefallen. ich wäre sicher auch umgekehrt. War das denn ein offizieller Weg oder war das die tanzende Besitzerin?
Liebe Grüße
Liane
Liebe Liane, es war wirklich ein Weg. Und die tanzende Türfrau wohl nur eine gut gelaunte Ausflüglerin. Aber niedlich war das. So frei. Ein schönes Wochenende und liebe Grüße, Stefanie
Toll, toll, toll!!! Da hätte ich ebenfalls die Zeit vergessen! Ein herrliches Fleckchen Land, was Du uns da vorgestellt hast!
Hach ja. (So langsam verschwindet es ein bisschen aus dem Bewusstsein. Wenn ich einen Beitrag schreibe, fühle ich mich wieder so schön erinnert. Bloggen hat schon ein paar echt gute Seiten.)
Ein Grund, warum ich fotografiere und mir dabei Zeit lasse. Den Moment aufsaugen, abspeichern und wenn ich dann das Bild irgendwann wiedersehe, abrufen.
Das sieht man Deinen Bildern an. Die sind ja immer so intensiv.
Laaaaange Pausen gefallen mir, ich weiß nur nicht ob mir die 80km/h nicht irgendwann auf die Nerven gehen würden. In Island mussten wir dafür ziemlich büßen ;-).
Immer schlecht in Skandinavien. Gibt durchaus günstigere Gegenden, zu schnell zu fahren 🙂
Uns haben die 80 kmh total gefallen. Dagegen war Dänemark dann auf der Rückfahrt regelrecht streßig.
Jetzt sehe ich so vieles, was wir gar nicht gesehen haben:-) Und das ist einer der Gründe immer wieder her zu kommen.
Ja, dieStrecken haben es in sich. Schmal, abfallend, also steil abfallend und oft keine Leitplanken. Die emotionale Steigerung folgt im Winter bei Eis und Schnee, wenn Leute an wirklich guten Reifen sparen.Oder ein LKW entgegen kommt.
Aber man hat ja Zeit und im Sommer auch um Mitternacht noch hellen Tag. Und je höher man in den Norden kommt, um so unwahrscheinlicher kann man 80 fahren. Man würde auch zu viel verpassen 🙂
Lieber Kai, vermutlich ist es für Leute wie uns, also diejenigen die schon in der nächsten Umgebung so viel Sehenswertes entdecken, auch noch mal schlimmer. Gut, wer da Wochen Zeit hat! Schöne Reise weiterhin, Stefanie
LIebe Stefanie,
Hier eine Beschreibung zum Leuchtturm Lista Fyr. So langsam bereiten wir unsere Reise auf. HAb Euch dort auch verlinkt:-) Man könnte gleich wieder los…
Lieber Kai – Teufel steckt ja immer im Detail – ich hab den Link mal hergeholt: https://mare.photo/lista-fyr/ (und könnte auch gleich wieder los)