Wer noch nicht alle Geschenke beisammen hat, muss sich heute einen generalstabsmäßigen Einkaufsplan für morgen zurechtlegen. Oder Kultur verschenken; das geht ja immer. Wird auch immer gern genommen. Besonders wenn man seine Zeit gleich mit dazu verschenkt. Und falls man einen Musikliebhaber zu bedenken hat, wäre ein Besuch von Udo Lindenbergs Panik City auch alles andere als ein Verlegenheitsgeschenk, sondern eben genau das und dort, wo die Action ist. Auf der Reeperbahn nämlich; im Klubhaus St. Pauli. Honky Tonk Show und so. Keine Panik. Düdüdüdüdü.
Die Panik City ist nach Eigenauskunft ein „innovatives Technik-, Kunst- und Kultur-Projekt“ oder auch ein „Multimedia-Erlebnis“. Empfunden habe ich es als einen 90-minütigen Spaziergang durch Udos Leben. Die Tour wird von einem Guide geführt. Sie ist minutiös geplant, damit man nicht mit der vorherigen oder folgenden Gruppe kollidiert. Die Gruppen sind maximal 20 Personen stark und minimal 1 Person. Die Faustregel sagt, je später der Abend, desto größer die Gruppe. Wir hatten uns für einen Termin am frühen Nachmittag entschieden und waren zu zweit mit unserem Guide. Plus Udo natürlich. Denn schon wenn man im gläsernen Fahrstuhl ins „Udoversum“ schwebt, hat man das Gefühl, dass er „irgendwie“ dabei ist.
Was ist Panik City: Lindianisch für Panikexperten
Wenn sich etwas „Multimedia-Erlebnis“ nennt, geht das in meinen Augen leicht mal nach hinten los. Etwa, dass man sich bemühen müsste, begeistert zu wirken oder sich sogar peinlich berührt fühlt. So ist das in der Panik City aber nicht. Und wenn ich vor Beginn noch enttäuscht war, dass beinahe überall Fotografierverbot herrscht, war ich schnell genau darüber sehr froh. Denn das Ganze lebt a) von Lindenbergs Nuscheln, bei dem man bekanntlich höllisch aufpassen muss, um alles richtig mitzuschneiden. Und b) von der Überraschung bzw. den Überraschungen – an denen es absolut nicht mangelt. Ich bleibe darum ein wenig im Vagen.
Die Panik-Zentrale im Atlantic
Erster Raum. Raucherlounge im Hotel Atlantic. Schwere Ledersessel. Panoramaleinwand. Musik zwo, drei. Udo fasst mal auf die Schnelle die letzten 70 Jahre zusammen. Erzählt, wie er ins Atlantic gelangte. Zeigt die Präsidenten-Suite (mit Ruhm-Service). Spricht von höchsten Höhen, tiefstem Fall und Wiederaufstieg „wie Phoenix aus der Flasche“. Das alles in hinreißendem Lindianisch. Dieser ganz eigenen Tonalität. Denn das ist es ja eben: Udo Lindenberg ist Udo Lindenberg ist Udo Lindenberg. Absolut anders. Absolut er selbst.
Gronau an der Donau und das Doppelkornfeld
Zweiter Raum. Lindianien in Westfalen. Mutter Hermine und Vater Gustav grüßen von der Galerie. Und Udo so: In Gronau in der Gartenstraße Nummer 3 – da steht das weiße Haus der Panikpartei. Dededede. Längst ist Udo Lindenberg Ehrenbürger seiner Heimatstadt. Über die Straße hinweg unterhält er sich mit frühen Wegbegleitern. Bemerkenswert: 1. Seine Schwester sieht ihm wahnsinnig ähnlich und ist gleichzeitig total attraktiv (wie das? ist doch selstam.) 2. Seine Freunde aus Kindheits- und Jugendtagen zeigen sich ihm gegenüber ganz locker, ganz normal, versuchen gar nicht, cooler zu wirken als Männer Mitte 70 in einer nordrheinwestfälischen Kleinstadt nun mal sind, befinden sich also offenbar wirklich auf Augenhöhe. Ach, Udo, es dürfte ruhig mehr wie Dich geben.
Boogiepark Studios Altona: Mach Dein Ding
Sah der letzte Themenraum aus wie eine Kinderzeichnung, betritt man nun einen Nachbau von Udos Haus- und Hofstudio. Vom Mischpult aus lädt der Panikrocker zu einem kurzen Take ein. Das ist nochmal ein bisschen was anderes als Karaoke. Und ich kann nur empfehlen, einen Moment lang alle falsche Scham zu vergessen. Denn je ausgelassener man mitmacht, desto lustiger das Ergebnis. Es steht beim Nachhausekommen schon zum Download bereit!!!
Curaco ist blau, Grenadine rot, Pfefferminz grün, Eierlikör gelb. Udo führt ein in die Kunst der Likörelle. Die eigenen Werke können direkt per Mail versendet werden. Also E-Mail-Adresse desjenigen nicht vergessen, dem man schon lange mal wieder ein Grüßchen schicken wollte.
Liebesgrüße aus Ostberlin
Einer muss den Job ja machen. Ein typischer Udo-Satz. Kein Künstler hat sich stärker für die Menschen in der DDR interessiert und eingesetzt als er. Dafür wurde er scharf von der Stasi beobachtet. Lächerlich klingt das heute, wenn ein Offizier aus den Akten vorliest, die scheinbar jeden Schritt des Panikrockers dokumentieren. Aber es gehen einem durchaus auch ernstere Gedanken durch den Kopf, wenn man mit tablet und Kopfhörern in eigenem Tempo durch diesen Themenraum steuert.
Kurz vorm Finale: Backstage-Infos
Bevor es auf die Bühne geht, gibt es backstage noch einige Infos zur Nutzung von VR-Brillen. Und dann geht es mitten hinein in die virtuelle Realität. Mit dem Panikorchester auf der Bühne kriegt man mal eine Idee, wie das ist, wenn Zehntausende einem zujubeln. Wirklich beeindruckend nämlich. Und weil man selbst längst schon so ultrabeeindruckt ist von Udo Lindenberg, seiner Karriere, seiner Persönlichkeit und dem Erlebnis an sich, fühlt es sich am Ende an wie auf einem richtigen Konzert. Es ist jammerschade, dass es vorbei ist.
Zum Trost läßt Udo am Ende noch einen Eierlikör springen. Den gibts unten in der Bar Alte Liebe. Und dann steht man da, wo man auch zu Beginn stand. Nur dass man jetzt gar nicht mehr aufhören kann zu lächeln. Wenn man mich fragt: Ein Besuch der Panik-City macht total fröhlich, ist also genau das richtige Geschenk, wenn man jemandem eine Freude machen möchte.
Alles Weitere findet sich hier.
PS.: Minuspunkt soll nicht unerwähnt bleiben. Jacken + Taschen müssen in Schließfächern verwahrt werden. Der Euro kommt nicht wieder raus aus dem Schlitz. Das wirkt irgendwie kleinkariert und passt überhaupt nicht in das sonstige, großzügige Konzept.
Oh ja, mehr Udos bitte. Udo in der Politik würde einiges zum Guten verändern. Er ist einer der wenigen, die echt sind. Auch, wenn mein Lebensstil mit seinem nie harmonieren würde, habe ich tiefen Respekt vor ihm. Und könnte ich mir eines seiner Bilder leisten, es hinge bei mir.
Ich hatte während meines Zivildienstes im Jugendschutz Kontakt mit seinem Panikorchester, weil er hin und wieder auffällige Jugendliche mitnahm, um ihnen Alternativen zu bieten.
Vielleicht schenken wir uns dieses Stück Kultur ja einfach selbst zu Weihnachten. Wenn wir usn davon inspirieren lassen, kann es ein Geschenk für andere werden. Und dann kann ich mit dem kleinkarierten Münzschlitz auch leben.
Euch wünsche ich ein tolles und bereicherndes Weihnachtsfest und bin neugierig, Euch wieder auf dem Blog im nächsten Jahr begleiten zu dürfen.
Herzliche Grüße von Kai
Hallo Kai – da bist Du ja wieder. Und weites.land auch! Sieht gut aus, das neue Gewand. Ich habe mich bisher nur oberflächlich umtun können. Werde das aber intensiv nachholen in den nächsten Tagen. Liebe Grüße, Stefanie
Was man hier alles lernt! Panik City in Hamburg, davon hatte ich tatsächlich noch nie was gehört. Aber, wie meine alte Mutter gern sagt, mir fehlen sowieso noch einige Bildungslücken. ? Jedenfalls klingt das super und ein Besuch scheint ein Muss zu sein für alle Udo-Fans. Steht jetzt auch auf unserer bucket list. ?
Auch von der elbkind-Crew ⛵️ganz liebe Weihnachtsgrüße! ???
Martina
Ganz liebe Silvestergrüße zurück 🙂
Hallo, Stefanie, von der Panik City hatte ich gelesen, hatte drüber nachgedacht, konnte mich nicht durchringen – aber Dein Text hat den Ausschlag gegeben: We did it. Lohnt sich. Wir hatten eine Menge Spaß und sogar ein bisschen Geschichtsstunde. Nur unsere 14-jährige Tochter war peinlich berührt von den ganzen Rock-affinen Oldies um sie herum.
Danke für Deine eindeutige Empfehlung und liebe Grüße in die Heimat,
Maria
Liebe Maria, das freut mich aber! Bloß nicht für Deine Tochter Ich hätte mich in ihrem Alter sicher auch extrem gewunden. 🙂 Vielen Dank für Deinen Kommentar. Über so konkretes Feedback freue ich mich immer besonders. Liebe Grüße (aus der Heimat), Stefanie