»Sie sind also dis erste Mal uff Amrum«, berlinert der Taxifahrer auf dem Weg vom Fähranleger in Wittdün nach Norddorf im Inselnorden. Weil niemand, der sich auskenne, so behauptet er, über Dagebüll anreisen würde. Jedenfalls nicht, wenn man ohne Auto kommt. Dann würde man den Adler von Nordstrand nehmen. Der schippere schließlich a) an den Seehundsbänken vorbei und b) zahle die Reederei den Parkplatz. Verdammt, denke ich. Anfängerfehler. »Dis is ja schon n janzen Urlaubstach wert mit den Robben«, rührt er in der Wunde herum. »Grad, wenn man nur n paar hat.«
Aber was soll´s. Die Anreise nach Amrum war auch so super. Eine Wucht, wie man in Berlin sagen würde. Ich mag den komischen Hafen von Dagebüll Mole. Ich mag die Fähren der Wyker Dampfschiffs-Reederei. Und ich finde es herrlich, langsam an Föhr vorbei zu tuckern und an Halligen, einen kleinen Blick von Sylt zu erhaschen, bevor Amrum alle Gedanken an anderen Insel aus dem Gehirn löscht.
Die kleinste der nordfriesischen Inseln ist nur 10 km lang. Hoppla hopp sind wir von Wittdün in Süddorf, vorbei an Steenodde und Nebel, wo wir letztes Mal logierten. Im Winter vor zwei Jahren. Und dann haben wir auch schon Norddorf erreicht. »Nüscht los da jetzt«, behauptet Dr. Allwissend. »Sind alle am Strand. Ab morgen ist ja Regen anjesacht.« Der Mann versteht es, gute Laune zu verbreiten. Berliner Taxifahrer ebend.
Norddorf: die Sonne brennt
»Ich glaub, ich weiß, wer Sie sind«, sagt die Dame an der Rezeption des Hotels Hüttmann. Wirklich, Inseln sind doch eine Welt für sich. Anders als der Taxifahrer, will sie aber nicht small-talken. Sondern händigt uns gleich den Schlüssel aus und sagt: »Gehen Sie jetzt erst einmal an den Strand. Unterhalten können wir uns später immer noch«. Und da weiß ich, dass es sich um Frau Koßmann handelt, die uns ein bisschen etwas über das Haus erzählen wird, dass sie mit ihrem Mann, dem Ururenkel des Gründers, betreibt. Aber dazu später mehr. Jetzt erst mal ab an den Strand.
Endlose Dünen, dahinter eine Sandwüste, so breit, dass sie schwerlich je überlaufen sein könnte – ganz klar, Norddorf ist ein Urlaubsparadies. Während ich beim letzten Besuch dachte, Nebel sei das Beste auf Amrum, denke ich nun ebenso von Norddorf. Wer es langweilig findet, im Strandkorb zu chillen, zu baden und immer bloß aufs Meer zu gucken, kann ewig Richtung Süden laufen. Oder nach Norden um die Odde.
Die Odde ist ein langgestreckter, schmaler Dünenzug, der als wichtiges Vogelschutzgebiet nicht betreten werden darf. Man kann ihn nur am Strand umrunden. Wir hatten das schon mal probiert, im Winter, mussten aber auf halber Strecke aufgeben, weil das Wasser zu hoch stand. Nun kann ich die Umrundung endlich vollenden. Und lege mich fest: Das sollte man mal erlebt haben. Warum? Steht hier.)
Must-do Norddorf: Wanderung um die Amrum-Odde
Allerdings: zieht sich die Sache doch länger als ich dachte. Aber einem bestimmten Punkt wird mir klar, dass es knapp wird mit dem Abendessen. Und zwar egal, ob ich jetzt umkehre oder weiterlaufe. Also laufe ich weiter. In ziemlich zackigem Tempo. Gleichzeitig vollkommen eingenommen von der Landschaft. Der endlose Weite an der Brandungsseite, der Stille an der äußersten Inselspitze, der herben und zugleich sanften Schönheit der Wattseite.
Norddorf erreiche ich gerade noch rechtzeitig zum Abendessen. In Zeiten von Corona muss man pünktlich sein, wenn man nicht alles durcheinanderbringen will. Oder irgendjemanden gefährden. Alles geht derzeit etwas geplanter zu als normalerweise. Auch im Hotel Hüttmann, wo wir mit Halbpension logieren. Etwas, dass ich sehr, sehr lange, ich glaube, es sind Jahrzehnte, nicht mehr gemacht habe und sich daher nach „früher“ anfühlt.
Das erste Haus am Platz: Hotel Hüttmann in Norddorf
Der Badebetrieb in Norddorf begann 1890, als ein Pastor aus Bielefeld ein Seehospiz eröffnete. Zu den ersten Gästen gehörte auch Heinrich Hüttmann. Der Eisenbahnsekretär war wegen eines Asthmaleidens gekommen. Es besserte sich rasch auf der Insel. Verschlechterte sich aber zurück in Altona genauso rasch. Also zog die Familie Hüttmann gleich ganz auf die Insel und ging 1892 mit dem „Ersten Hotel am Platze“ an den Start. Das war die Wahrheit – es gab nämlich kein anderes.
Zugegeben zunächst handelte es sich bloß um vier Fremdenzimmer im umgebauten, alten Schulhäuschen. Erst über die Jahrzehnte und Generationen entwickelte sich die bescheidene Reetdachkate zum Seepensionat und schließlich zum größten Privathotel an der Westküste. Das Ensemble aus sieben Häusern hielt ich bei unserem ersten Besuch in Norddorf für den Ortskern. Das liegt an der Hüttmannwiese, die in etwa funktiert wie ein Dorfplatz. Es finden dort Spiele für Kinder statt und Feste für alle. Der Hüttmann-Pavillon im Jahrhundertwende-Look offeriert Kaffee & Kuchen, Fischbröten, halbe Hähnchen(!) und Sundowner.
Manches hat sich gar nicht so sehr verändert, seit ein Hotelprospekt in den 1930er Jahren warb: »Gegessen wird in zwei großen, hellen Speisesälen und verschiedenen separaten Speisezimmern… Sonst bieten behagliche Nischen… offene Veranden und schattige Plätze im Freien jederzeit einen angenehmen Aufenthalt.« Und auch das stimmt bis heute: »Die Verpflegung ist reichlich und gut«. Sie ist sogar sehr gut. Der gebratene Heilbutt ein Gedicht. Die Krabbensuppe köstlich. Nur eines war früher anders: »Die Bedienung der Gäste erfolgt durch bessere, junge Mädchen, was allgemein als angenehm empfunden wird.«
All das und einiges mehr erzählt Frau Koßmann nach dem Abendessen. Es ist eine warme Nacht und die Veranda genau der richtige Ort, um Insel- und Hotelgeschichten zu hören. Natürlich sprechen wir auch über Corona. Schrecklich war´s und schön, als die Insulaner ihr Amrum im Frühjahr zum ersten Mal seit 130 Jahren wieder für sich hatten. Diese Gleichzeitig von wunderbarer Ruhe einerseits und existenziellen Sorgen andererseits, sind eine Erfahrung, die wir alle miteinander teilen. Nur dass sich die Kombi winzigen Insel und Verantwortung für ein wirklich großes Hotel noch einmal extremer anhört.
Inzwischen hat sich alles einigermaßen eingespielt. Mit erhöhtem Aufwand an und auch vom Personal lassen sich Abstandsregeln und Hotelbetrieb ganz gut vereinbaren. Auch ist die Buchungslage wie in allen beliebten Urlaubsregionen erfreulich. Aber ob die Rechnung letztlich aufgeht, wird erst das Saisonende entscheiden. Ob auch im November genügend Gäste kommen oder im Januar? Als wir dann irgendwann doch noch den Weg über die Hüttmannwiese zu unserem Zimmer finden, strahlen die Sterne trotz aufziehender Wolken hell.
Norddorf, 08.30 Uhr, wieder mal Regen
Der Sommer war zu trocken. Darum wollen wir auch gar nicht meckern, dass heute Regen in der Luft liegt. Zudem eignet sich das Wetter ganz hervorragend für eine Radtour über die Insel. Einer der insgesamt drei Radwege von Amrum führt von Norddorf nach Wittdün beinahe durchgehend durch den Wald. Amrum ist die waldreichste Nordseeinsel. Der Wald wurde in den 1950er Jahren angelegt, um Holz zu liefern und vor Sandpflug zu schützen. Er schützt nebenbei auch vor heftiger Sonne, Wind und Nieselregen.
Unser erstes Ziel ist die Vogelkoje, eine historische Fanganlage für Wildenten. Ich kenne soetwas schon von Sylt und Fanø, mag es mir aber nie so genau reinziehen, weil es mir zu grausig ist. Doch auch wenn man den Entenfang weglässt und sich ganz auf die Natur konzentriert, lohnt sich der Besuch des kleinen Urwäldchens auf alle Fälle. Noch besser ist der Spazierweg zum Quermarkenfeuer, der direkt neben der Vogelkoje seinen Anfang nimmt.
Beim Amrumer Wahrzeichen, dem Leuchtturm, endet der Waldweg. Hier standen wir schon vor zwei Jahren im Regen und verzichten daher genau wie heute auf den Aufstieg. Und wie beim letzten Mal landen wir auch dieses Mal mit schon recht feuchten Klamotten in Wittdün. Den Plan, an der Wattseite zurück zu radeln, geben wir auf. Stattdessen geben wir richtig Stoff. Und sind trotzdem nass bis auf die Knochen, als wir Norddorf erreichen.
Ist man vollkommen durchnässt, drängen sich in einem Hotel am Meer drei Vergnügen auf: 1. Heiße Dusche und in einen flauschigen Hotel-Bademantel kuscheln. 2. Ab ins nächste obergemütliche Café (wir verzichten bedauernd, weil schon in wenigen Stunden das dreigängige Halbpensions-Abendmenue lockt). 3. Und nur im speziellen Fall von Norddorf – ein Kinobesuch. Im LichtBlick an der Hüttmannwiese läuft täglich um 16.00 Uhr „Luv und Lee, Amrum – der Film“. So einen Streifen hat sich der Kinochef und gebürtige Amrumer Ralf Thomsen sein Leben lang gewünscht – und schließlich einfach selbst realsiert. Prädikat: Anschauen!
Abreise aus Norddorf: Es ist ziemlich windig
Abreisetage sind nie das Beste am Kurztrip. Kofferpacken, Auschecken, Verkehsmittel ansteuern, das sind bringt alles nicht so richtig viel Spaß. Auch werde ich dabei leicht wehmütig und ich hoffe immer auf schlechtes Wetter, damit der Abschied weniger schwer fällt. Doch dieses Mal genieße ich meinen frühmorgendlichen Abschiedsspaziergang in vollen Zügen.
Reist man nämlich mit einer Fähre ab, endet der Kurzurlaub mit einem Finale. Im Fall von Amrum ist es sogar besonders prima. Die Überfahrt dauert herrliche 1,5 Stunden. Auch gilt das Ticket für Fußgänger*innen den ganzen Tag. Ob man die erste, die letzte oder eine Fähre dazwischen nimmt, entscheidet man einfach spontan.
Weil sich zudem in der Wartehalle am Hafen von Wittdün auch noch Schließfächer fürs Gepäck befinden, kann man den Abreisetag ganz unbeschwert genießen. Dass wir das getan haben und was wir getan haben, habe ich ja neulich schon erzählt. Und dass wir hoffentlich noch einmal wiederkommen auf die Insel auch. Ich hab jedenfalls schon mal einen Prospekt der Adler Fähre eingesteckt. Dann werden wir von Nordstrand – an den Seehundsbänken vorbei – nach Amrum schippern.
PS.: Ich hab natürlich noch mal die Fakten gecheckt: bei einem Kurztrip nach Amrum, also mit 2 Übernachtungen, geht die Rechnung des Taxifahrers zumindest finanziell nicht auf. Die Parkplatzgebühr in Dagebüll entspricht dann in etwa dem Betrag, den der Adler ab Nordstrand mehr kostet als die Fähre der Wyker Dampfschiffs-Reederei.
Wir danken AmrumTouristik für die Unterstützung unserer Recherchereise und die Übernahme von Anreise, Unterkunft und Abendessen auf der Insel sowie Frau Koßmann und dem ganzen Team vom Hotel Hüttmann für den wunderbaren Aufenthalt.
Moin Stefanie, schöner Artikel mal wieder und schöne Fotos, besonders die mit den Bohlenwege. Die Wanderung um die Otte habe ich auch anstrengend in Erinnerung – aber eine wunderschöne Wanderung.
Schön das es das Kino noch in Norddorf gibt.
vg, kv
Ja, wenn ein Kino überlebt, freue ich mich auch immer. Das in Norddorf war wohl mal zwei Jahre geschlossen. Hat dann aber wieder geöffnet. (Jetzt da der Herbst kommt, muss ich mich auch mal wieder ein bisschen um die Kinos in der Nachbarschaft kümmern. Von nix kommt ja nix…) Liebe Grüße, Stefanie
Du weckst wunderbare Erinnerungen bei mir, Wir sind aber auch von Dagebüll aus mit der Fähre gefahren. Wir waren allerdings auch mit dem Zug angereist. Seehunde haben wir trotzdem gesehen. Geht auch ohne die Adler Express.
Norddorf war auch unser Ziel. Wir hatten mit Freunden eine Ferienwohnung. Amrum ist so schön und nicht so überlaufen. Hoffentlich bleibt das noch lange so.
LG Liane
Ja, es ist irgendwie ein Rätsel. Wieso gibt es kein Gosch auf Amrum und keine Bettenburgen? Ich glaube, da die Insel die 70 – 90er ohne größere Schrecklichkeiten gemeistert hat, kann sie auch den Zerstörer Bernd Klaus Buchholz (aktueller Wirtschafts- und Tourismusminister, der den Ausverkauf an den Küsten extrem befeuert) überstehen. Ich hoffe also mit Dir, lg, Stefanie
na, da muss man aber Wittdün schnell hinter sich lassen um die Schrecklichkeiten dort schnell zu verdrängen. Ansonsten sehe ich die Insel genau wie du, imer eine Reise wert, vor allem wenn man im Hüttmann wohnt.
seit ich Anfang der 50er Jahre als Kind zur Erholung (sprich Gewichtszunahme, hat aber nix genützt) für 6 Wochen in ein Kinderheim geschickt wurde, liebe ich die Nordsee und vor allem Amrum. Muss ich dringend mal wieder hin, mein letzter Besuch ist schon 9 Jahre her
Liebe Grüße, Barbara
So eine schöne Insel! Danke für den in
sollte weitergehen: interessanten Bericht und die wunderbaren Bilder! 🙂
Gern, liebe Lotte
Mir hat dein Bericht richtig Lust auf Amrum gemacht, zumal wir auch noch Leute kennen, die dort wohnen.
Na, dann mal nix wie hin. Es lohnt sich wirklich!
Danke für den schönen Bericht, der wirklich Lust auf einen Ausflug nach Amrum macht. Lange waren wir nicht mehr dort … und jetzt bekomme ich wieder richtig Lust auf einen Besuch dort. Zum Glück ist für uns ja auch ein Tagesausflug machbar.
Liebe Grüße,
Isabella
Danke, liebe Stefanie, für die wertvollen Infos und geschichtliche Hintergründe. ☀️?☀️
Hach, wie schön, unser Schiff ist gerade im Winterlager, da weckst Du schon wieder Fernweh mit Deinem wunderbaren Bericht. Amrum scheint wirklich eine Reise wert zu sein. Danke fürs Mitnehmen!
Liebe Herbstgrüße, Martina
So schön, ich mag Amrun sehr. Da kommen Erinnerungen hoch. Ich glaube, ich möchte mal wieder hin. Danke für die schöne Wanderung.
Ach wie schön! Das klingt nach angenehmer Entschleunigung. Immer wieder und gerade wieder vor kurzem habe ich über einen Besuch der nordfriesischen Inseln nachgedacht, und zwar über ein „Inselhopping“ und ich glaube, ich bin da sogar während meiner Recherche auf deinem Blog (wo sonst;-)) fündig geworden… Nun erst mal ein schönes (Schietwetter-) Wochenende und liebe Grüße gen Norden von Andrea
Ich mag da jetzt hin. Vor allem wegen der Treppen : ) Genau mein Ding! Danke für die Inspiration! Happy Wochenende, Jutta
Einfach nur toll. Amrum ist vielleicht und wahrscheinlich die schönsten deutsche Nordseeinsel.
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