Zehn Minuten vor der vereinbarten Zeit mischt sich entferntes Tuckern unter die Stille. Auch wenn wir noch nichts und niemanden sehen können, klingt es, als würde sich etwas Stabiles nähern. Stabiler jedenfalls als das kleine Boot, von dem wir schon annahmen, wir sollten damit übersetzen. Denn es trägt den Namen unseres Ziels: Geitungen.
Geitungen ist kleine Schäreninsel. Sie liegt vor Skudeneshavn, einer Hafenstadt auf der Insel Karmøy im Südwesten von Norwegen. Im Yachthafen soll es in der Sommersaison sehr lebendig zugehen. Doch die beginnt erst in drei Tagen. Und so haben wir bereits eine recht einsame Stunde am kleinen Strand verbracht. Mit Aussicht auf die absolute Einsamkeit von Geitungen. Die bis morgen früh um 10.00 Uhr uns gehört. Uns allein.
Aus der Ferne wirkt es, als könne man vom Hafen direkt über die Felsen nach Geitungen hüpfen. In Wahrheit braucht es ein Motorboot. In unserem Fall einen Kutter. Gesteuert von Gunnar, der früher hauptberuflich fischte. In dritter Generation, wie er uns auf der 20-minütigen Überfahrt erzählt. Doch das würde sich heute nicht mehr lohnen. Zu teuer die Lizenzen. Zu stark die Konkurrenz der großen Fischereibetriebe. So mache er eben dies und das und ab und zu brächte er Tagesausflügler nach Geitungen. Oder Übernachtungsgäste. Wie uns.
Der Traum von einer Leuchtturminsel
Ich überlasse die Unterhaltung im Weiteren den Männern. Denn ich muss mich auf meine Insel konzentrieren, die nun langsam realer wird. Und auf meinen Leuchtturm. Possessivpronomen, 1. Person, Singular. So fühlt sich das für mich an. Obwohl wir doch zu zweit dort übernachten werden. Denn ich steuere gerade auf etwas zu, nach dem ich mich schon ewig gesehnt habe.
Uralte Träume sind ja heikel. Meist steckt eine tieferer Wunsch dahinter als das bloße Objekt, Subjekt oder eben der Sehnsuchtsort. Nicht immer kann die Realität mit Phantasien mithalten, die man über Jahrzehnte hegte und pflegte. Doch von einem Fischkutter auf den Anleger einer unbewohnten Leuchtturminsel zu klettern, fühlt sich exakt so an, wie ich es mir 39 (!) Jahre lang erträumte. Seit ich in einem Kinderbuch davon las.
Als Gunnar und sein Kutter zunächst aus unserem Blickfeld verschwinden, dann auch aus unserem Sinn, fühle ich mich gleichermaßen überwältigt wie vollkommen in mir ruhend. Ich bin dermaßen neugierig und könnte genauso gut die nächsten 20 Stunden am Anleger sitzen und in die Sonne blinzeln. Geitungen ist perfekt.
Meine Insel sieht aus, wie in meinen schönsten Vorstellungen. Klingt so. Duftet so. Nur mein Leuchtturm ist ganz anders, als ich es mir erträumt habe. Denn für ein Bauwerk wie Geitungen Fyr hätte meine Phantasie nicht gereicht.
Im Land der Leuchttürme
Für die einen ist Norwegen das Land der Fjorde, Trolle und rauschenden Wasserfälle. Für die anderen das Land der Bergeseen, Elche, Fjells und Gletscher. Für mich ist es das Land der glasklaren Nordsee. Der Schären. Der Strandnelken. Und der Leuchttürme.
Eine Kette von 212 Leuchttürmen zieht sich von der schwedischen Grenze im Süden bis zur russischen Grenze im Norden. Der Älteste, Lindesnes Fyr, wurde 1655 am Südkap errichtet. Die Besten befinden sich auf einsamen Inseln. Die Schönsten wirken wie kleine Art-Déco-Paläste. Und der allertollste Leuchtturm von allen ist mein Geitungen Fyr von 1924.
Leuchtturmferien sind in Norwegen nichts Ungewöhnliches. Allein auf den Seiten von Visit Norway werden genügend Leuchttürme angeboten, um in schwere Entscheidungskrisen zu geraten. Meist befinden sich die Schlafmöglichkeiten nicht im Leuchtturm selbst, sondern in Nebengebäuden. So auch auf Geitungen.
Das Haus des Leuchtturmwärters von Geitungen wird vom Norwegischen Wanderverein betrieben. Die Schlafräume sind dementsprechend einfach. Und sauber. Wer Luxus braucht, ist nicht richtig. Goldrichtig hingegen, wer sich ein wenig in das Leben eines Leuchtturmwärters einfühlen will. Wohnzimmer und Küche sind herrlich aus der Zeit gefallen. Und wenn der Wind am Abend auffrischt, knackt das Haus an allen Ecken und Enden auf heimelige Weise.
Eine Übernachtung auf der Leuchtturminsel Geitungen ist keine exklusive Angelegenheit. Das Leuchtturmwärterhaus bietet Platz für bis zu 35 Personen. Eine spontane Buchung ist daher so gut wie immer möglich. Die Insel für sich allein zu haben, bedeutet einen glücklicher Zufall. (Er tritt laut Gunnar außerhalb der kurzen Hightime jedoch recht häufig ein).
Übernachten auf einer Leuchtturminsel: ein erschwinglicher Traum
Wer die Insel verwaist vorfindet, gelangt in das Haus des Leuchtturmwärtes per Zugangscode. Die Betten in den Zwei- und Mehrbettzimmern sind alle frisch bezogen. So kann man sich das Zimmer mit dem Lieblingsblick aussuchen. Und hat danach nichts weiter zu tun, als die Dinge, die man auf einer einsamen Leuchtturminsel eben so macht.
Zu den Hauptbeschäftigung auf einer einsamen Leuchtturminsel gehört die Suche nach einer windgeschützten Stelle mit Aussicht. Der Schiffsverkehr ist vor Geitungen ganz ordentlich, so dass man Stunden damit zubringen kann, übers Meer zu blicken.
Abgesehen von dem wunderbaren Pfad, der sich vom Anleger zum Leuchtturmwärterhaus hinaufzieht und den Treppen, die zum Leuchtturm führen, besteht die Insel aus Felsen, Geröll und dichter Heide. Daher gehören Wanderstiefel ins Gepäck. Fernglas und Karte findet man hingegen vor Ort.
Eine Übernachtung im Leuchtturm gehört zu den Dingen, die in Norwegen weitaus günstiger sind als in Deutschland. Auf Geitungen kostet es für Nicht-Mitglieder des Wandervereins 39 Euro. Der Überfahrt zur Insel schlägt mit 12 Euro pro Person zu Buche – wenn man sie sich mit mehreren Reisenden teilt. Schippert man allein, zahlt man auch den Mindestpreis von 50 Euro allein.
Buchen kann man eine Nacht auf Geitungen hier: Klick (Seite nur auf norwegisch) oder direkt in der Touristeninfos von Skudeneshavn.
Dort sollten man sowieso unbedingt vorbeischauen, wenn man sich schon mal im Südwesten von Norwegen herumtreibt. Warum, zeige ich in einem eigenen Beitrag.
Das ist ja mal ein ungewöhnlicher Leuchtturm, aber wunderschön.
Liebe Grüße
Liane
Liebe Liane, ich steh total auf Leuchttürme und guck mir alle an, die irgendwie auf meinem Weg liegen. So Besondere wie in Norwegen habe ich nie zuvor (ich glaube, da kann nur noch Frankreich mithalten. Die kenne ich allerdings von anderen Blogs. Bin aber regelmäßig sehr begeistert.) Liebe Grüße zurück, Stefanie
Hallo,
Das klingt sehr spannend und sicher ein einmaliges Erlebnis.
Lg
Thomas
Danke, Thomas. Tatsächlich war´s so gut, dass ich es gar nicht wiederholen möchte. Das bleibt jetzt so in meinem Herzen!
DAS würde mir ebenfalls sehr gefallen-vorausgesetzt,ich hätte ebenfalls das Glück,mit meiner Frau die einzigen Gäste auf der Leuchtturm-Insel zu sein.
Nach über 20 Urlauben auf der Hallig Nordstrandischmoor weiß ich Ruhe,weites Land und viel Natur mit Ebbe und Flut sehr zu schätzen-mehr Zeit für Urlaube habe ich ja seit vergangenen Mittwoch jetzt,da ich nun Rentner bin.
Ein toller Reisebericht-wie immer !!!
Grüße aus Duisburg
Ralf
Herzlichen Glückwunsch, lieber Ralf, dann kann das beste Drittel des Lebens jetzt ja beginnen!
Sehr reizvoll! Die Idee, die Gegend und vor allem der Leuchtturm samt grandiosen Ausblick aufs Meer! Ich stelle fest, es gibt so viel „dort oben“ (im Norden), was magisch anzieht. Du definierst es ja als Land mit der glasklaren Nordsee, den Schären, Strandnelken und seinen Leuchttürmen. Dem kann ich in dieser Form nur beipflichten, Stefanie.
Es ist lustig, du schreibst oben sinngemäß an einer Stelle, der unbewohnte Leuchtturm sei so, wie du ihn dir ganz früher nach dem Lesen eines Kinderbuchs vorgestellt hast. Es ging mir beim Anblick deines Fotos und auch beim Lesen deiner Beschreibung ähnlich! Mir schwebten kurz plötzlich die Geschichten aus den Fünf-Freunde-Büchern von Enid Blyton durch den Kopf. Wäre jetzt noch irgenwo ein schwanzwedelnder Hund aufgetaucht … ^^
Danke für diesen weiteren herrlichen Teil über Norwegen (und die Tipps)! Ich freue mich jedes Mal, dass es auch noch eine Fortsetzung gibt!
LG Michèle
Einen Hund gab´s nicht, liebe Michèle, allerdings auch keine Mumins oder Hatifnatten (die ich dort erwartet hätte). Aber ich habe innerlich meinen Hund gezogen vor der Autorin. Das ist doch irre, wenn jemand kindgerecht etwas so beschreiben kann, dass die Vorstellung der Realität entspricht (etwas, das Enid Blyton offenbar auch konnte). Liebe Grüße zurück, Stefanie
Traumhaft schön! Noch viele tolle Erlebnisse in diesem wundervollem Land.
Danke, danke.
Oh, klingt das herrlich, Leuchtturm und Insel und Meer und Wind und ganz alleine da draußen… Es ist ja immer so eine Sache mit Träumen, die wahr werden…
Wunderbar.
Liebe Grüße
Anke
Das war echt einer von den guten wahrgewordenen Träumen 🙂
Moin.
Seit heute Nacht sind wir leider zurück, vor allem die norwegischen Leuchttürme haben es uns angetan.Mein liebster Leuchtturm ist Sletness fyr und da trifft man Menschen, die man an diesem Ort nie erwartet hätte. Wird sicherlich nicht Euer letzter Trip nach Norge gewesen sein.
Und gerade habe ich gesehen, dass unsere Freunde fast direkte Nachbarn von Euch sind- irgendwann laufen wir uns über den Weg…-} Jetzt muss ich erst mal die nächsten Wochen Bilder und Eindrücke ordnen.
Liebe Grüße von Kai
[…] Wir haben das gemacht. Und deswegen befindet sich auch mein Lieblingsleuchtturm auf Karmøy: Geitungen Fyr. Ich halte für möglich, dass auch jeder andere Leuchtturm mein Liebling geworden wäre, hätte ich dort übernachtet. In der absoluten Einsamkeit einer kleinen Insel wird man ja sehr schnell miteinander vertraut. […]