Meine Mitreisenden erwachten in etwa, als wir Holmsland Klit erreichten. Die langgezogene Nehrung zwischen Nordsee und Rinkøbing Fjord empfing uns mit der ihr eigenen wundervollen Ödnis und der Schlüssel zum Ferienhaus lag im Vorraum der geschlossenen Ferienhausvermietung bereit.
Es dauerte nur Minunten, das Holzhäuschen in Bjerregard – mit Ofen und überdachter Terrasse, ganz wie es sich für den Herbst in Dänemark gehört – einzurichten und sich zuhause zu fühlen. Und in eben diesen Minuten übernahm ein Tief das Kommando. Das Wetter verschlechterte sich so abrupt, dass die Wetter-App meines Vertrauens gründlich den Mut verlor. Es hätte auch anders kommen können. Spätsommerlich. Aber da steckt man im Herbst in Dänemark nun mal nicht drin.
Der erste Regen erwischte uns am Ringkøbing-Fjord, wo die Kiter mit den Wolken um die Wette tanzten. Und gleich darauf durchnässten wir im Hafen von Hvide Sande bis auf die Haut. Grundsätzlich empfinde ich das als die beste Pechsache der Welt. Doch ich hatte etwas Bestimmtes fotografieren wollen, das bei Regen unmöglich zu erreichen war. Also versuchte ich es am nächsten Tag noch einmal.
Der Herbst in Dänemark ist nichts für Feiglinge
Da zeigte sich Hvide Sande allerdings noch trostloser und abgesehen von einigen griesgrämigen Möwen am Kai vollkommen verwaist. Die Wolkendecke drückte in einer Absolutheit auf die Schleusen-Stadt, als könnte nie wieder die Sonne scheinen. Farbtupfer ins Grau setzten einzig großformatigen Plakate der Kampagne flyt-mod-vest, mit der die Ringkøbing-Skjern-Kommune um (vor allem deutsche) Arbeitsmigrantinnen und -migranten wirbt. Tendenziell etwas, womit fast alle treuen Dänemark-Urlauber:innen schon einmal geliebäugelt haben. Doch konkret dazu aufgefordert, scheint die Aussicht interessanter Weise viel weniger attraktiv.
Man wünscht sich vielleicht immer, was man nicht haben kann. Selbst ein Dänemark-Urlaub scheint für manche in der Vorstellung verführerischer als in der Realität. Das hatte ich schon morgens beim Brötchen holen gedacht. So viele Deutsche mit missmutigen Mienen und Socken in Badelatschen hatte ich seit Urzeiten nicht gesehen. Sie reihten sich in einer langen Schlange durch den gesamten Supermarkt. Und ich fragte mich in den kommenden Tagen noch oft, wo sie wohl alle untergekommen waren und was sie mit ihrer Zeit anfingen. Denn so viele Ferienhäuser schienen in Bjerregard gar nicht bewohnt und unterwegs trafen wir auch nicht gerade auf Massen.
Aber eben das steht ja auf der Plusseite im Herbst in Dänemark – diese Leere, diese unbedingte Weite, das Eins sein mit der Natur und den Elementen. Meine Wetter-App behielt zwar im Großen und Ganzen Recht. Aber zwischen dem Großen und dem Ganzen war noch jede Menge Platz für ganz besondere Momente.
Während meine Mitreisenden (echte Wahnsinnskandidatinnen, wenn man mich fragt) diese Momente nutzten, um durch die Wellen zu hüpfen, gaben sich Einzelgänger – direkt daneben und dick eingemummelt – dem Brandungsangeln hin. Ich ließ mich derweil vom Sturm durch menschenleere Landschaften treiben. Am Tollsten war es bei Nymindegab, wo einstmals der Ringkøbing-Fjord in die Nordsee entwässerte und sich heute prima Pfade entlang von Dünenseen zum Gammelgab-Strand ziehen.
Kommt man nach einer Sturmwanderung in ein Holzhaus, wo das Feuer im Ofen knistert und ein gutes Essen wartet, erscheint der Herbst in Dänemark auf einmal wie das höchste der Gefühle. Noch ist es nicht zu kalt, um mit einer Decke auf den Knien auf der Terrasse lange Gespräche zu führen. Und falls der Regen einen dann doch irgendwann reintreibt, wartet noch immer der vielzitierte dicke Wälzer, den man seit Ewigkeiten lesen wollte. (Was mir mal wieder nicht gelang.)
Frühaufsteher:innen sind besonders fein raus im Herbst in Dänemark. Sie erwachen jetzt im Dunkeln. Und weil das ein wirkliches Dunkel ist, spannt sich bei klarem Himmel ein Sternenmeer über die Dünen, das man meint in einer Phantasie zu spazieren. Die Sternen funkeln nicht golden wie bei Matthias Claudius, sondern hellsilber.
Spaziert man dann weiter, etwa auf die Halbinsel Tipperne im Ringkøbing Fjord, klingt die Morgendämmerung wie in den Zeiten, in denen es noch keine Menschen gab. Nur die entfernten Rufe von Gänsen, die in den Süden ziehen, sind über dem Vogelschutzgebiet zu hören. Und wenn erst einmal der x-te Reiher dicht vor einem aus den Wiesen gestiegen ist, kann man endlich davon ablassen, jeden Moment fotografieren zu wollen. Und den Augenblick erleben.
Der Moment ist das Glück im dänischen Herbst. Man darf nichts Weiteres von ihm erwarten. Man sollte sich nichts Bestimmtes vornehmen oder auch nur wünschen. Der Wetter-App nicht länger als eine Stunde im Voraus vertrauen. Und immer für möglich halten, dass der Sommer für ein paar Stunden zurückkommt.
Uns passierte das in Henne Strand, wo es im Herbst schrecklich wuselig zugeht. Aber eben nur entlang der Geschäfte und Restaurants an der Hauptstraße. Dort schienen mir die deutschen Urlauber viel glücklicher als frühmorgens beim Bäcker und es trug auch niemand Badeschlappen. Doch trotz bestem Schuhwerk konnte sich niemand dazu aufraffen, durch sommerwarme Dünentäler zu streifen. Was uns natürlich nur recht war. Hatten wir die grandiose Kulisse doch ganz für uns allein.
Der Herbst in Henne Strand ist schon eine feine Sache. Doch wer dort jetzt kein Haus hat, findet auch keines mehr, würde ich mal frei nach Rilke tippen. Als wir vorgestern abreisten, kamen uns die, die gerade anreisten als eine einzige Kolonne entgegen. Speziell in Urlaubsorten wie Henne Strand liebe ich den Winter darum am allermeisten. In weniger frequentierten Orten kann man spontan aber noch Glück bei der Ferienhaussuche haben. Und auch mit dem Wetter. Ab morgen soll an dänischen Nordseeküste die Sonne scheinen. Sagt meine App.
Schöner Beriicht und schöne Bilder – wie immer !
Die Gegend erinnert mich sehr an Spiekeroog-Strand und Dünen schauen dort sehr ähnlich aus.
Es gibt kein schlechtes Wetter – nur schlimmstenfalls die falsche Kleidung.
Ich selber käme nie auf die Idee,am Sonntagmorgen wegen Brötchen Schlange zu stehen.
Einfach Toast und/oder Weißbrot auf Vorrat kaufen und einen Gang sparen und lieber dafür noch ein bißchen rumgammeln.
Meine „Wetter-App“ sind unsere Fenster-ich schau einfach aus dem Fenster.
Ich hab´noch nicht mel ein Smartphone,darauf kann ich wegen meiner schlechten Augen ohnehin nix mehr sehen.
Ist aber egal,ich komme auch ohne das Teil gut durchs Leben,hab´s ja auch so gelernt.
Die knapp 4 Wochen auf Hallig „Lüttmoor“ im September waren klasse,ganz andere Vegetation zu dieser Jahreszeit,Strandastern und Halligwermut blühten,Temperaturen um die 25 Grad,so konnte ich die Hallig im T-Shirt und kurzen Hosen erkunden.
Grüße aus Duisburg
Ralf
Moin Mojn!
Wir fahren super gerne im November in diese Gegend. einmal so richtig durchpusten lassen.
Ja, der Wind je stärker er ist, trägt den beißenden Geruch der Holzkamine möglichst schnell weg. Denn die Heizung der Ferienhäuser mit ihren billigen Feinstauböfen stört uns weit mehr als das Wetter wie es einfach mal ist.
Und irgendwie auch lustig finde ich, dass sich die Menschen seit Jahren in bester Funktionsbekleidung ausrüsten und dann noch über das Wetter ihre Laune verlieren.
Blendet man das alles aus, zeigt sich in unseren Augen diese Umgebung im Herbst / Winter von der schönsten Seite. Oft haben wir sogar wWeihnachten dort gefeiert. Nur hat sich diese Idee mittlerweile herum gesprochen.
Und beim nächsten Mal einfach bei Regen das Fotografieren ausprobieren. Denn wer nimmt sich eigentlich das Recht raus, uns beizubringen, dass Staub schmutzig und Regenwetter schlecht ist:-) Sagen so zumindest mal die Kinder aus Bullerby.
Liebe Grüße
Kai
Liebe Stefanie, wie fast immer könnte ich nach dem Lesen deiner Berichte sofort losreisen. Jetzt muss ich nur noch gut zwei Wochen warten, bis es Ende Oktober nach Amrum geht. Und das Wetter ist dann wie es ist. Bohlenwege und Strand sind immer wunderschön.
Herzliche Grüße
Ma r ina
Ja, es sind genau diese Momente, die einen im Herbst und Winter an der See so glücklich machen können. Ich freue mich schon auf mein jährliches Novemberdate mit der Ostsee und bin gespannt, ob ich es auch irgendwann mal nach Dänemark schaffe… Liebe Grüße von Andrea
Liebe Steffi, du schaffst es immer wieder, in mir Heimweh nach „Dänien“zu wecken-allzu lange war ich nicht mehr dort-umso schöner ,deine Bilder zu sehen, deinen Gedanken zu folgen. ganz liebe Grüße Erika
Wir waren wohl zur gleichen Zeit in Bjerregard … denn wir haben es genauso erlebt wie du es geschrieben hast. Abends wurde in der ganzen Stube die Kleidung getrocknet, morgens ging es mit dem Hund wieder raus. Im Nachhinein war es sehr entspannend und schön.
LG, Solveig
Liebe Solveig – wir hatten auch eine tolle Hündin dabei. Das war echt eine Freude, sie über den Strand flitzen zu sehen. Auf dass wir die Eindrücke noch lange erinnern! Liebe Grüße, Stefanie