Einer Theorie (unter vielen) nach leitet sich der Name Flamborough vom sächsischem Begriff Flaen – für Pfeil – ab. Folgte man diesem in geradem Flug von der charakteristischen Landspitze 700 km über die Nordsee, würde man auf Helgoland treffen.
Obwohl ich das erst später im Hotelzimmer nachlesen werde, fühlen wir uns schon an Deutschlands einzige Hochseeinsel erinnert, als wir dem Pfad vom Leuchtturm zur alten Nebelsignalstation folgen. Natürlich, die Klippen von Flamborough Head sind etwa drei Mal höher; auch sind sie nicht rot sondern weiß. Und so ist es wohl eher das Gefühl von Abgeschiedenheit und Weite, das uns an Schleswig-Holsteins Außenposten denken lässt.
Es ist nicht viel los auf dem Wanderweg zwischen den Seebädern Filey und Bridlington, der die Kreideklippen auf einer Länge von 13 km begleitet. Dabei werden jetzt jeden Tag die ersten Papageientaucher erwartet. Nirgends in Britannien brüten sie in größerer Zahl als bei den höchsten Klippen des Landes.
Flamborough Outer Headland: Puffins Paradise
Papageientaucher sehen zwar drollig aus, gehören aber zu den geheimnisvollsten Vögeln überhaupt. Die meiste Zeit des Jahres verbringen sie auf hoher See. Wo und wie die Kolonien genau leben – das ist bis heute weitgehend unbekannt. Nur zur Brutzeit kommen sie an Land. Die beginnt Ende März und dauert bis Anfang Juli. Wer ganz sicher gehen will, Papageientaucher zu entdecken, kommt im Mai. Es heißt, man würde seine erste Sichtung nie vergessen. Und obwohl ich schon an vielen Orten war, wo ich theoretisch welche hätte sehen können, ist es mir praktisch noch nie gelungen. Außer im Aquarium von Kopenhagen. Aber das zählt ja nicht.
So könnte ich beinahe bedauern, dass wir eine Woche – oder zwei – zu früh nach Yorkshire gekommen sind, wäre dieser Teil Englands nicht so atemberaubend, würde die Sonne nicht so prächtig scheinen und die Lerchen nicht so wunderbar singen. Lerchengesang. Auf der Liste meiner Lieblingsklänge ganz weit oben. Wie habe ich das vermisst.
Ein mechanisches Geräusch stört meine Gedanken. Eine Drohne surrt über meinen Kopf hinweg. Das ist so eine Sache, an der ich merke, dass ich älter werde. Zukunft scheint mir in immer mehr Fragen nicht nur verheißungsvoll, sondern häufig eher befremdlich. Ich will Vieles auch gar nicht mehr verstehen oder mögen. Ein Himmel ohne Drohnen wird für mich immer die bessere Variante bleiben.
Etwas anderes, das ich für eine Alterserscheinung hielt, hat sich allerdings nach nur 2 Tagen in Yorkshire erledigt. Es zwickt es nicht mehr im Rücken. Auf steilen An- und Abstiegen scheint sich alles wieder zurecht gerüttelt zu haben. Dabei hatte ich schon nach Bandscheibenvorfällen gegoogelt. Doch es lag wohl nur an zu vielen Stunden am Schreibtisch. An zu vielen dunklen Tagen, an denen ich mich gar nicht vor die Tür begeben habe. Aber jetzt fällt der Winter von mir ab. Und wie immer nehme ich mir vor, von nun an jeden Tag auszukosten – mindestens bis Dezember. (Wie immer werde ich das nicht schaffen – aber ich werde doch jedes Jahr ein bisschen besser.)
Die Ostküste Nordenglands: ein Jurassic Park
Wie viele erstaunliche Orte im UK ist auch Flamborough Head den einschlägigen Tourismusseiten lediglich eine kurze Erwähnung wert. Aber wie ich nach mittlerweile vier Nordengland-Reisen weiß, lohnt es sich immer, auch noch den unauffälligsten Empfehlungen des National Trust zu folgen. Am Ende wartet verläßlich ein Wunder. Das heutige erleben wir nur zufällig. Dass man unbedingt zur Ebbe nach Flamborough kommen sollte, stand nirgendwo geschrieben.
Nur bei Ebbe kann man über steile, ewig lange Treppen hinunter an den Strand. Schilder warnen vor Springtiden. In Windeseile kann die Nordsee den Rückweg abschneiden. Es ist vielleicht einen Tick zu beschwerlich, als dass jeder Lust auf den Abstieg hätte. Oder vielleicht ist es auch einfach nichts Besonderes in diesem Land, das vor Besonderheiten nur so strotzt. Jedenfalls bleiben die meisten – der ohnehin nicht besonders zahlreichen – Spaziergänger oben am Klippenrand. Was umso besser ist, weil sich so das Gefühl von Ewigkeit schneller einstellt.
Die Yorkshire Coast ist der Jurassic Park von England. Geformt während des Jura sind hier Abdrücke von Dinosauriern keine Seltenheit. Statt Muscheln sammeln die Menschen Ammoniten am Strand. Je weiter nördlich man sich befindet, desto größer die Wahrscheinlichkeit uralte Fossilien zu entdecken.
Da ich kein Sammlergen besitze, kann ich mich ganz auf die Landschaft einlassen. Durch Felsenkathedralen und Höhlen klettern. Mich soweit und vorsichtig zur Brandung vortasten, wie es auf dem glitschigen Untergrund möglich ist. Mich auf einen perfekten Stein setzen. Ein kleiner Wasserfall rauscht die Klippen hinunter. Ich ziehe meine Jacke aus. Dies ist mein erster Frühlingstag. Ich hätte mir keinen besseren Platz dafür denken können.
Wieder so ein Erlebnis, das man beim Gedanken an England gar nicht vermutet. Du hast zwar nicht das Sammlergen, aber das Entdeckergen auf jeden Fall.
Und du verstehst es so wunderbar,Sehnsüchte zu wecken.danke
Da schließe ich mich an, definitiv macht dein Bericht Lust darauf, da gleich mal hinzureisen. ?
Nun schaue aus dem Fenster in den verschneiten Garten und sehne mich nach dem sonnigen Yorkshire ?
Vielen Dank für Eure Kommentare – ich bin auch jedes Mal wieder erstaunt, dass selbst im Norden von England der Frühling früher kommt als bei uns. So krass wie dieses Jahr habe ich den Unterschied allerdings noch nie empfunden. Ich bin fassungslos wenn ich aus dem Fenster schaue. Trotzdem einen schönen Tag, Stefanie
Ich besitze ja das Sammler- UND Entdeckergen. Insofern wäre dieser Küstenabschnitt ein Eldorado für mich! Herrlich!
Perfekt 🙂
[…] Tipp für Fossiliensammler und Birdwatcher: Yorkshire ist ein Naturparadies und nicht umsonst die einzige Region im UK, die es in die weltweite Top Ten des Lonley Planet geschafft hat. Die wilde Küste gilt als Jurassicpark und Refugium für Seevögel. Die Fotos zeigen die Klippen von Flamborough Head. Mehr dazu hier: Klick. […]
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