Wenn ich (alles andere als eine Wikingerin) trotz dichter Wolken und Flatterkleidchen am Strand nicht friere, ist Hochsommer in Norddeutschland. Dann ist in Dollerupholz eine Badebrücke aufgebaut, ohne die nur schwerlich ins Wasser zu kommen wäre. Denn das sind hier an der Flensburger Förde keine angepassten Allerweltsstrände. Sondern solche mit Algen und Muscheln und Krebsen und Wackersteinen. Riesige Kawenzmänner sind darunter, Findlinge aus dem Norden.
Den größten, den Fünenstein, hat mal ein dänisches Riesenweib über die Förde geschleudert. Sie nahm ihr Strumpfband als Zwille. Seitdem ist er Seevögeln ein willkommener Rastplatz. Ich kann sie von der Brücke aus ihr Gefieder putzen sehen. Aber den Fünenstein kenne ich schon vom letzten Jahr. Darum balanciere ich heute – über Wackersteine – in die andere Richtung.
Der erste Badegast kam 1907 nach Dollerupholz
An der Flensburger Förde weiß man nie, was hinter der nächsten Biegung wartet und auch nicht wie weit man gehen kann. Es ist abhängig von Wind und Wellen und eigenem Wagemut. Ich bin mindestens so gespannt wie der Hamburger Lehrer, der vor 114 Jahren nach Dollerupholz fand und als erster Badegast in die Dorfgeschichte einging.
»Wer Meer hat, braucht weniger« ist auf den Fensterrahmen eines Bootshauses in Alleinlage gepinselt. Das stimmt unterm Strich. Wer allerdings ein Bootshaus aus Feldsteinen besitzt, kann das vielleicht gar nicht beurteilen. Er hat ja nicht nur Meer, sondern auch Mehr. Denke ich so. Und schaue mich nach der nächsten Treppe um, denn die am Bootshaus ist privat.
Dafür ist der öffentliche Aufgang uralt. Schon im Winter 1864, während des Deutsch-Dänischen Kriegs also, benutzten Soldaten aus Preußen und Österreich die Stufen im Steilhang von Dollerupholz. Wie sich die Wiener und Berliner da wohl gefühlt haben, wenn sie sich über die gefrorene Förde nach Dänemark wagen sollten? Heute ist der alte Soldatensteig idyllisch. Er führt durch herrlichen Buchenwald direkt auf den Fernwanderweg Fördesteig zu. Die Minuten, die ich vom Wasser bis zum Waldrand brauche, reichen der Sonne, um die Welt zu verwandeln.
Wenn ich (alles andere als eine Landratte) dem Meer ohne das allerkleinste Bedauern den Rücken kehre, bin ich in Angeln. Wie sanft die Felder dem Horizont entgegenschwingen. Wie die Luft flirrt. Und nach Kamille duftet. Wie laut die Spatzen zwitschern, wenn ansonsten alles still ist. Der Hochsommer ist mit den Händen zu greifen.
Ich kenne den Wanderweg von Dollerupholz nach Westerholz bereits. Darum weiß ich, dass etwa in der Mitte das Dorf Osterholz auf der Steilküste thront. Ich weiß um den malerischen Sommersitz des Brücke-Malers Erich Heckel und die Obstbäume alter Sorten am Wegrand, an denen sich jeder bedienen darf. Ich pflücke vier gelb-rote Kirschen. Und dann folge ich dem Wegweiser zum Strand. Das wollte ich schon tun, seit ich vor drei Jahren auf dem Fördesteig vorbeiwanderte. Da hatte ich für Abstecher keine Puste übrig.
Wanderweg von Dollerupholz über Osterholz nach Westerholz
Im letzten Garten von Osterholz spielt ein Radio. Der NDR 2 Moderator sagt »Talking loud and clear« von Orchestral Manouevres in the Dark an. Im Hochsommer fühlt man sich immer jung. Waren die beiden Strandzugänge von Dollerupholz schon wunderbar, verzaubert mich der in Osterholz noch mehr. Der Pfad windet sich noch ein bisschen länger, so kommt es mir vor, noch ein bisschen steiler durch die Natur, die sich hier noch mehr verschwendet. Geschmückt ist; mit Windspielen und anderen seltsamen Gebilden.
Wer Meer hat braucht Weniger. Das könnte man in Osterholz mit Muscheln in den Sand legen, ganz ohne kokett zu wirken. Ich denke darüber nach, am Strand nach Westerholz zu laufen. Es dürften nur einige Hundert Meter sein. Länger zwar, aber auch verlässlich begehbar, wäre der Fördesteig. Der verspricht zudem den schönsten aller Blicke von der Haffstraße auf Westerholz und Langballigau.
Bevor ich mich entscheiden kann, ruft der Mann an, den ich an der Badebrücke von Dollerupholz gelassen habe und behauptet, er wäre in die Ostsee gesprungen. Und weil ich selbst noch überhaupt nicht im Wasser war in diesem Jahr, obwohl doch schon Hochsommer ist, scheint mir der beste Weg der Rückweg zu sein.
Es ist nicht weit von Osterholz nach Dollerupholz; auf dem Fördesteig gewandert knappe drei Kilometer. Die gehe ich so langsam, wie es sich für heiße Sommertage gehört. Pausiere auf einer Bank mit Blick nach Dänemark. Und denke: wenn ich (eine vermutlich bei der Geburt vertauschte Dänin) mich nicht dorthin sehne, bin ich an der Flensburger Förde.
An der Flensburger Förde will ich immer genau da sein, wo ich bin. Wenn die Sonne auf das Wasser scheint, funkeln ihre Sandbänke hellgrün bis türkis. Die Badebrücke von Dollerupholz ist lang genug, um eine von ihnen fast zu erreichen. Da muss man nur ein ganz kurzes Stück durch unergründliches, dunkleres Wasser schwimmen, bis man wieder feinsandigen Boden unter den Füßen hat. Die beste Badezeit reicht von Mitte Juli bis Mitte August. Den Hochsommer lang eben.
Oh, ein Blick aus unserem nun vergangenen Zuhause:-) Die Flensburger Förde ist extrem vielseitig. Und, wie man an Deinem Beitrag sieht, gibt es immer wieder was neues zu entdecken. Und deswegen empfehle ich Dir unbedingt den Gendarmstien als dänische Verlängerung des Fördesteig. Sie gehören unbedingt zusammen. Es gibt sogar kostenfreie Übernachtungsmöglichkeiten (in Sheltern). Übrigens hat ein berühmter Hamburger die Flensburger Förde sehr geliebt und dort sogar ein Bootshaus besessen: Siegfried Lenz. Auch ein verkappter Däne 🙂 . Einige seiner bekannten Werke sind dort entstanden.
Aber so schön Angeln ist, es gibt, außer am Wasser, nicht viele Möglichkeiten zu wandern, ohne an einer Landstraße entlang zu laufen. Da hat die Region noch enormen Nachholbedarf.
Lieber Gruß
Kai
Lieber Kai,
ich hab´s gar nicht so richtig mitbekommen – seid Ihr etwa nach Dänemark gezogen? Das wäre ja toll!!! Die erste Etappe des Gendarmstien sind wir schon mal gelaufen… der Rest wird in diesem Jahr wohl wieder nicht klappen. Aber irgendwann. Hoffentlich. Ist schon interessant, dass die Deutschen im Grenzgebiet so wenig auf Wandern setzen – im Gegensatz zu den Dänen. In Glücksburg habe ich mal die Schweigeminute von Lenz gelesen. Das ist ein perfektes Sommerbuch für die Ecke.
Liebe Grüße – wo immer Ihr gelandet seid, Stefanie
Liebe Stefanie!
Eine Unterkunft ist Euch am Gendarmstien jedenfalls sicher:-)
https://mare.photo/mare-photo-zieht-nordwaerts/
Wir wohnen jetzt in Kollund.
In ein paar Tagen machen Eure Nachbarn bei uns Urlaub.
Lieber Gruß nach Hamburg
Ein toller Beitrag. Den Fördesteig habe ich im vergangenen Jahr in Etappen gelaufen und die Wohlfühllandschaft beim Wandern und in langen Pausen genossen. Der Bericht und die Bilder wecken die schönen Erinnerungen.
Wohlfühllandschaft – Du sagst es, Franz. Und es freut mich, dass Dir der Beitrag gefällt.
Ich bin sicher, die Kirschen hast du geklaut. An fast jedem Obstbaum an der kleinen Straße ist nämlich ein winziges Schild befestigt mit dem Wörtchen privat. Aber viele Schilder sind auch schon ganz verblichen…
Das kleine Bootshaus finde ich auch ganz allerliebst. Wenn die Flut allerdings da ist, kommt man vom Strand aus gar nicht hin.
Jedenfalls hast du einen meiner liebsten Spaziergänge beschrieben….
Wer hat mir den denn nur empfohlen?😉
Eine Expertin, nehme ich an! Die Bäume für alle stehen bei den letzten Häusern von Dollerupholz aus gesehen und einige auf dem Weg runter zum Strand. Im September sind (laut Infoschild) plückreif: die Gute Graue (berühmte Grisbirne), Gravensteiner (ausgezeichneter Tafelapfel), Holsteiner Cox (Spitzensorte) und Jakob Fischer (auch Schöner vom Oberland genannt). Alle Bäume gestiftet von der Baumschule Hammerschmidt in Winderatt. Nun weißte bescheid 🙂