Wenige Tage nachdem ich die waldreichste und touristisch am wenigsten erschlossene Gegend Schleswig-Holsteins besucht hatte, machte ich mich in das Gegenteil auf: nach Büsum. Ich nahm den zweiten Zug, der an diesem Morgen nach Norden fuhr. Das bisher heißeste Wochenende des Jahres stand ins Haus. Und der Himmel hätte gar nicht blauer sein können. Jedenfalls in Hamburg. Vor den Toren der Stadt war die Welt noch in Nebelschwaden gehüllt.
Die Nordbahn machte schlapp unterwegs. So stieg ich in Heide auf den Schienenersatzverkehr um. Rollte im Dithmarschen-Bus aufs platte Land hinaus. Es fehlte an einer Lautsprecheranlage. Die Fahrerin schrie nie gehörte Stationsnamen durchs Gefährt. Keiner der müden Fahrgäste hob den Kopf. Wozu auch? Es war, als würde man durch Milchglas auf das leerste, flachste Ende des Universums blicken.
Da teilte sich der Dunst wie ein Theater-Vorhang und gab den Blick auf kreischendbunte Jahrmarktsattraktionen frei. Es sah nicht aus wie ein dörflicher Rummelplatz. Sondern als hätte ein Riese wahllos ein Stück vom Hamburger Dom gegriffen und im Nirgendwo plumpsen lassen. (Es ist tatsächlich so, las ich später. Oder jedenfalls so ähnlich. Aber das ist eine andere Geschichte.) Das Bild war derart bizarr, dass ich das Gefühl bekam, mit hellwachen Sinnen zu träumen. Der Nebel löste sich in Sonnenschein auf.
Eine ehemalige Arbeitskollgin sagt, sie fände die Freiheit an Büsum so herrlich. Dass sie dort unendlich weit geradeaus laufen kann. Freunde meiner Eltern lieben Büsum, dabei leben sie in der (wie ich meine) allerschönsten Ecke von ganz Schleswig-Holstein. Etliche, etliche Urlauber:innen, sehr viele Stammgäste, machen Büsum (nach St. Peter-Ording und Westerland) zum drittbeliebtesten Ferienort der schleswig-holsteinischen Nordsee. Nur ich… bin seit ich blogge schon zweimal aus Büsum zurückgekommen ohne ein einziges Foto in der Tasche oder den Impuls, von Büsum zu berichten.
Der Bus rumpelte jetzt durch Wesselburen. Dort vermietet Ulrike vom Blog Watt & Meer Ferienwohnungen. Sie sagt, die meisten Urlauber mögen entweder Büsum oder St. Peter-Ording. Selten beides. Und SPO mag ich persönlich sehr.
Büsum oder St. Peter-Ording?
Doch ich wollte schon seit einer ganzen Weile einen dritten Versuch in Büsum starten. Mit einer anderen Brille auf der Nase. Mich auf das konzentrieren, was gut ist. Und siehe da: es funtionierte ab Minute 1.
Hilfreich war, dass ich den Hauptstrand erreichte, bevor die Sommer- und Tagesgäste überhaupt aufgestanden waren. Dabei war es bereits neun und die Helgolandreisenden gingen schon auf große Fahrt. Und ich fand das irgendwie witzig. Denn es war Hochwasser. Das sehr enge Fenster zur Badezeit also offen. Aber darauf schien in Büsum niemand wild zu sein.
Wenn Büsum nichts für Dich ist, musst Du nach Büsumer Deichhausen. Auch das hat Ulrike mal gesagt. Und siehe da: auch das stimmt. Schon der Spaziergang auf dem Ostdeich ist eine Herrlichkeit für sich. Und die kleine Badestelle ebenso unaufgeregt wie alle anderen Badestellen der Meldorfer Bucht. Genauso toll.
Die Nordsee hatte ihr Sommerkleid übergestreift. Das hellblaue, das ihr am allerbesten steht. Ich konnte sie gar nicht lange genug anstarren. Kaum lange genug dem ganz leisen Glucksen lauschen. Und das geht beinahe allen so in der Meldorfer Bucht. Dort gerät man auf eigentümliche Art in ein Zeitlupentempo. Es ist auch kaum mal jemand lauter als die Möwen.
Ich wollte die Meldorfer Bucht immer einmal mit dem Rad abfahren. Nun bin ich sie über die Jahre abgegangen. Fand jeden Meter herrlich. Und jede Badestelle. In einem Stück wäre das aber zu langweilig. Von Büsum müsste man radeln. Bis Büsumer Deichhausen, Warwerort und Nordermeldorf, wo die Wildpferde wohnen. Dann weiter zum Sperrwerk am Speicherkoog und an die Badestelle Elpersbüttel, nahe der ehemaligen Hallig Helmsand.
Ich schlenderte zurück an der Wasserkante wie durch eine Grafik. Oder auf einer Grafik. Denn dieser Landschaft fehlt die dritte Dimension. Wenn überhaupt einmal etwas ins Blickfeld gerät, bekommt es eine besondere Bedeutung. Die profansten Dinge wirken wie sorgfältige Inszenierungen.
Büsum erreichte ich über den NATO-Kai. Keine Ahnung, warum er so heißt. Es sind nur verlassene Molen. Aber ich würde ihn zu gern mal dem US-amerikanischen Präsidenten zeigen. Nur damit er sich schwarz ärgert, weil man sich in Dithmarschen offenbar keinen Pfifferling um die zornigen Investitionsforderungen schert.
Nie hätte ich für möglich gehalten, dass Büsum eine Seite hat, die mir dermaßen gefällt. Sie entspricht ganz sicher nicht dem Massengeschmack. Denn die Masse blieb geschlossen jenseits des Hafens. Den habe ich eigentlich schon immer charmant gefunden. Schließlich wird hier noch gefischt. Das kann längst nicht jeder Hafen in Schleswig-Holstein von sich behaupten.
Ich würde jetzt nicht soweit gehen, auf dem Campingplatz neben der dröhnenden Cart-Bahn zu logieren, gleich gegenüber des Riesenrades (bei dem es sich m.E. um das Exemplar handelt, das ein paar Jahre den Hafen von List verschandelte), wo Irrsinns-Schlager aus den Boxen wummern. Aber dafür verspeiste ich an der Bude am Ende des Hafenbeckens das beste Krabbenbrötchen meines Lebens. Und das ist jetzt keine Übertreibung.
Danach blieb ich noch 22 Stunden in Büsum. Aber ich machte nicht mehr viele Fotos. Am Hauptstrand waren alle Strandkorbe vergeben. Um die künstliche »Familienbucht« machte ich einen weiten Bogen.
Was (mir) an Büsum gefällt
Aber ich konnte auf einmal sehen, was die Leute nach Büsum zieht. Die Geschlossenheit des alten Ortskerns, der etwas ganz Geborgenes hat. Der phänomenale Blick von den Terrassen der Restaurants am Wattenmeer. Kein mir bekannter Urlaubsort tut so viel für Barrierefreiheit wie Büsum. Keiner scheint mir so auf die Bedürfnisse der Gäste einzugehen. (Beispiel: Schließfächer am Strand. Was für eine Erleichterung für alle Soloreisenden, Durchreisenden, Tagesgäste.)
Büsum leistet sich noch ein Kurorchester. Ich hörte das »Konzert am Nachmittag« in einem Strandkorb sitzend. Einem ganz alten Exemplar, mit Plastikpolstern in meinem Lieblingsdesign (tropische Fische und Korallen). Ein Großteil der Sitzbänke blieb leer. Drei Reihen vor mir war einem Herren mit schlohweißem Haar der Kopf auf die Brust gesunken. Er schlief. Und das altmodische Repertoire des Orchesters konnte einen ganz rührselig machen.
Einige Abend zuvor hatte ich mit V. über das Italien unserer Kindheit gesprochen. Wie sehr uns das Treiben am vollen Strand faszinierte. Wie sich unsere Eltern über Stunden in ewiglangen Liegestuhlreihen aalten. Wie verzaubert wir waren vom Tammtamm der nächtlichen Promenaden. Und mit Kinderaugen gesehen, ist Büsum gar nicht so weit davon entfernt.
In Büsum war ich vor Jahren mit meiner Frau im Kurzurlaub-natürlich in der Nebensaison.
Da war noch kein Strandkorb auf dem Deich,sondern nur viele,viele Schafe.
Ja,die Büsumer Deichhausen hab ich natürlich auch besucht,da ist eine Schäferei,die auch Ferienquartiere vermietet.
Von Wesselburen kenne ich nur den dortigen Sportplatz,der kann wegen seiner sehr guten Verpflegung (Nackensteaks)sehr überzeugen.
Deine Bilder hier zu betrachten ist immer wie ein kleiner Kurzurlaub-vielen Dank dafür.
viele Grüße und bleibt bitte gesund
Ralf
Vielleicht sollte ich Büsum doch nicht ganz abschreiben. Wir waren dort öfter mal Zelten als ich noch ein Kind war, so vor ca. 60 Jahren …. 😉 … damals gab es weder Strandkörbe noch Riesenrad , aber viele Kühe auf dem Deich.
Ich mag Büsum. Am zweiten Tag, an dem ich in Schleswig-Holstein lebte, führte mich meine erste Dienstfahrt dort hin. Und so komme ich immer wieder gerne hier her. Wobei sich gar nicht die Frage stellt ob St. Peter oder Büsum. Sie sind wie zwei begehrte Freunde. Lustig und schön ist das mit dem Foto der Persiluhr. Da habe ich gerade drüber geschrieben:-) Wesselbuhren ist übrigens ein toller Ausgangspunkt und ein Ort, an dem man gern einfach mal bleibt.
Liebe Grüße nach Hamburg.
Kai
„Die Nordsee hatte ihr Sommerkleid übergestreift. Das hellblaue, das ihr am allerbesten steht.“ – Wie wunderschön Du Deine Gedanken in Worte fasst, liebe Stefanie. Ich liebe Deine Art zu schreiben!
Als ich Deinen Bericht gelesen habe, kam mir eine Lebensweisheit in den Sinn: Die Welt ist immer so, wie Du sie anschaust. Da ist ganz bestimmt was dran – wahrscheinlich auch bei Büsum.
Liebe Grüße, Martina
[…] herausgefunden, dass es selbst an der Nordsee noch Raum gibt, sogar in einer Touristenhochburg wie Büsum – wenn man nur bereit ist, ein paar Schritte zu […]
[…] Nach einer gefühlten Ewigkeit schaue ich auch mal wieder bei WordPress vorbei und was finde ich da? Einen Beitrag von Stefanie über Büsum. […]
Liebe Stefanie, Du warst in Büsum! Ich bin beeindruckt und überrascht und … Ach, schau einfach selbst: https://wattundmeer.wordpress.com/2020/09/09/stefanie-busum-und-der-sommer-2020/
Liebe Grüße, Ulrike
[…] Ich war bloß nach Büsum abgebogen, um die »Familienlagune Perlebucht« genauer zu inspizieren. Das hatte ich bei meinem letzten Besuch im Sommer auf »irgendwann mal« verschoben. Denn sie krachte aus allen Nähten. Wie überhaupt ganz Büsum im Sommer aus allen Nähten kracht. Und doch hatte ich damals verstanden, warum Büsum seine Fans hat. […]