Ein Kurztrip nach Borkum im Winter will gut überlegt sein, habe ich festgestellt, als ich neulich mit meiner Tante dorthin reiste. Zwar klingt der Satz: „Ich fahr mit meiner Tante nach Ostfriesland“ etwa so exotisch wie „Meine Oma fährt im Hühnerstall Motorrad.“ Im Fall von Borkum ist die Reise aber ähnlich aufregend wie ein Trip nach Übersee. Wobei die Ozeanüberquerung bequem und rasant erscheint – verglichen mit dem Ewigkeitstrip von Hamburg auf die größte Ostfriesische Insel.
In meinem konkreten Reisefall (St. Pauli – Borkum) kamen unheimlich viele Verkehrsmittel ins Spiel: U-Bahn zum Hauptbahnhof (10 Minuten), metronom nach Bremen (80 Minuten), Regionalzug nach Emden (130 Minuten), Schienenersatzverkehr zum Fähranleger (15 Minuten), Ultralangsam-Fähre (130 Minuten), Inselbahn (15 Minuten), Taxi (10 Minuten). Inklusive Verspätungen und Wartezeiten auf Bahnhöfen und in Häfen läpperte sich das Ganze auf exakt 8 Stunden von Tür zu Tür. (Auf dem Rückweg lief es noch etwas unglücklicher. Da wurden es mehr als 9 Stunden.)
Obwohl man sich vor Pauschalurteilen ja immer hüten sollte, lege ich mich dennoch für die Anreise nach Borkum fest: Das ist nichts für Ungeduldige. Aber wer hätte denn auch je gedacht, dass Norddeutschland so groß ist!
Von Nord nach Nordwest in 8 Stunden
Borkum ist der nordwestlichste Punkt Deutschlands. Ein Eckpfeiler dieses Blogs, könnte man sagen. Gefühlt ebenso weit entfernt von St. Pauli wie New York. Ich ziehe den Vergleich nicht nur aufgrund der Reisedauer. Sondern auch weil ich mit meiner Tante mal im Stockfinsteren und relativ ahnungslos in New York landete. Genau wie letztens auf Borkum. Hüben wie drüben wollten wir nur rasch das Gepäck aufs Zimmer bringen, um dann ins Nachtleben abzuzwitschern. Und damit enden die Gemeinsamkeiten von New York und Borkum.
Während sich uns nämlich damals in New York der Doorman (bei dem es sich vielleicht um Barry White handelte) in den Weg stellte und mit den Worten don’t go out at night, there is creep outside zurück aufs Zimmer schickte, kann von creep outside auf Borkum im Winter überhaupt keine Rede sein.
Borkum im Winter: Ist noch Suppe da?
Man könnte sagen, die Insel setzt mehr auf suspense (also Spannungserzeugung mit geringsten Mitteln) ausgelöst durch die Frage: werden wir ein Restaurant finden? Vielleicht sogar ein gutes?
Antwort: Ja. Eins. Und es kann etwas dauern, bis man endlich auf das Alt-Borkum stößt. Etwas abseits gelegen sieht es viel besser aus, als es sich anhört – und tischt auch viel feiner auf (leckere Fischkarte, Fleisch in Bioqualität, Vegetarier bekommen auch was.) Insofern fühlten wir uns von Anfang an willkomen auf der Insel. Erst Recht am nächsten Tag, als ganz Deutschland unter einer Eisdecke verschwand – nur nicht die Nordseeinseln. So ist das ja oft im Januar; deshalb liebe ich sie so (# Kältehasser).
Die Strände von Borkum kamen mir im Januar überhaupt nicht so ausgestorben vor wie die Strände von Sylt. In den Borkumer Restaurants allerdings war viel (viel, viel) weniger los als in den Restaurants auf Sylt. Ich fand das seltsam. Aber vielleicht ist gar nicht Ostfriesland seltsam sondern Nordfriesland?! Bzw. die Gäste. So wie ich. Ich verbinde mit Nordseewintern nämlich nur 4 Dinge: Spazierengehen, Essen & Trinken, Lesen. In genau der Reihenfolge. Täglich.
Borkum im Winter: Heimliche Liebe
Apropos täglich. Auf Borkum muss man mindestes einmal pro Tag auf der Promande flanieren. Sie ist toll und schmiegt sich auf einer Länge von 1,6 km zwischen Strand und Inselort bis zur Heimlichen Liebe.
Die Heimliche Liebe hatte zwar geschlossen – genau wie jede Menge andere Restaurants und Geschäfte – aber ich glaube sie gehört sowieso zu den Gastronomiebetrieben auf Borkum, bei denen die Lage wichtiger ist als das Angebot. Und die Lage kann man ja auch genießen, wenn „zu“ ist.
In Bestlage befinden sich auch ein paar Cafés in der Bismarckstraße. Sie wechseln sich offenbar mit ihren Ruhetagen ab und in welchen wir nun genau waren, weiß ich gar nicht. Ist aber auch egal. Weils sowieso nur Kleinigkeiten oder Kuchen gibt – was mir längst nicht so wichtig ist wie die wunderbar windgeschützten Plätze. Auf winterlichen Inseln in der Sonne zu sitzen und einen viel zu frühen Weißwein zu trinken, ist doch wirklich ein 1a Urlaubsgefühl.
An der Wandelbahn beim Musikpavillon bekommt man im Winter die Sonne erst zum Untergang zu Gesicht. Gastronomisch hat uns da nichts aus den Socken gehauen. Aber dafür kann man bis in die Niederlande gucken, in Form der östlichsten westfriesischen Insel Rottummerplaat.
Was es auf Borkum sonst noch gibt: Nichts. Abgesehen vom Inselort besteht Borkum aus 32 Quadratkilometern Natur in Hufeisenform. Wo es im Sommer schon mal voll werden kann, findet man im Winter bloß endlose Strände, ewige Nordseewellen, Robben auf Sandbänken, Rehe in Dünen, Einsamkeit. Und einen Leuchtturm hier und da. Diese Herrlichkeit beginnt schon im November, wie ich bei Meikes bunte Welt gelesen habe.
Um jetzt mal auf die Beitragsüberschrift zu kommen: Borkum ist superschön. Borkum ist aber auch superweit weg (für Hamburger). Zu weit für ein Wochenende, würde ich sagen. Da hilft nur: länger bleiben. Ideal scheinen mir 5 Tage. 2 gehen wie erwähnt komplett für die Reise drauf.
Borkum im Winter? Ein Kurztrip lohnt sich nicht.
Käme ich noch einmal, würde ich eine Unterkunft direkt an der Promenade wählen. Mit Meerblick versteht sich. Der Inselort zieht sich nämlich ganz erheblich – ist an seinen Rändern nicht überall charmant – und der Weg kann lang werden, wenn es zu regnen oder stürmen beginnt. Im Ortskern bleibt es dann trotzdem irgendwie kuschelig. Vor allem wenn der Neue Leuchtturm sein Licht anknipst.
„Langsam, ganz langsam, wie zwei bedächtige Kompassnadeln … Nord, Nordost, Ost, Südost, Süd, Südwest. Dann hielten sie inne und drehten sich, ein paar Augenblicke später, ebenso bedächtig nach links: Südwest, Süd, Südost, Ost…“ (Aldous Huxley. Schöne neue Welt.)
Der Satz vom doorman in New York war übrigens: don’t go out at night, there’s creep outside. Na, Queens in den 80er Jahren war damals ach noch nicht
so hip wie heute….
Aaah, alles klar. Habs geändert. Tanten wissen eben alles besser 🙂
Hach, wie schön… Wie immer wunderbar amüsant geschrieben und trotzdem gespickt mit vielen interessanten Infos, liebe Stefanie. Danke für diesen gemütlichen Winter-Ausflug an die Nordsee!
Gerne, gerne 🙂
Danke für den Bericht. Genau die Auszeit die ich gerade brauchte.?
Hallo Mira, das freut mich. Liebe Grüße, Stefanie
Moin Stefanie,
das mit der Anreise hört sich ja aufregend an, aber so ist das bei uns im Norden – eben doch größer als gedacht. 😉
Was die Liebe zur kalten Jahreszeit angeht, bin ich ganz bei dir. Nur dass mit dem Lesen schaffe ich nie. Viel zu müde nach dem Tag am Strand.
Liebe Grüße,
Claudia
Hej Claudia – also im Winter bekomme ich das mit dem Lesen besser hin als im Sommer. Der Tag am Strand kann ja nie so ganz lang werden (zur Zeit maximal 9 Stunden). Schönes Wochenende, Stefanie
Hach, das klingt schön. So richtig im Winter war ich noch nie auf Borkum, stelle es mir aber sehr entspannt vor. Einfach nur schlendern, gucken und Tee trinken … Die alte Liebe hat übrigens immer zu – zumindest, wenn ich komme. Trotzdem laufe ich immer hin, denn man kann ja zur Sicherheit mal gucken. Ja, und natürlich vielen Dank für’s Verlinken 🙂
Ach, das ist interessant – und irgendwie ja ganz typisch für die Liebe 🙂
Am schönsten der Satz: „Und damit enden die Gemeinsamkeiten von New York und Borkum.“ 🙂
Klingt nach viel Ruhe und Entspannung. Im Sommer ist es wirklich viel belebter – auch wenn kein NY Feeling aufkommt ? Falls es dich interessiert, ich habe ziemlich viele Bilder auf meiner Seite. Liebe Grüße aus Heidelberg
Hej Elisa – klar, Bilder interessieren ich immer. Vielen Dank – ich geh gleich mal stöbern….. Liebe Grüße zurück.