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Wellenreiter Sylt

Schön extrem und gut für die Balance: Sylt im November

Sylt im November ist nicht unbedingt was für Feiglinge. Wer es schwer nimmt, wenn die Wetterprognose eine ganze Woche Regen verspricht, ist im Herbst nicht richtig auf der Insel. (Er wäre im Grunde auch im Sommer nicht richtig, aber das ist ein anderes Thema.) Wer hingegen findet, dass Regen nun mal zum November gehört – wie Sturm und Nebel und eine Prise Tristesse – der kann gerade jetzt sehr glücklich werden auf Deutschlands nördlichster Insel. Wir jedenfalls halten den November für den idealen Monat auf Sylt.

 

Friedrichstrasse

Sobald sich ein Wolkenfenster auftut, muss man schnell, schnell an den Strand

 

Es stimmt schon: das Wetter ist häufig ungemütlich. Es regnet oft. Aber es regnet nicht durchgehend. Der Wind pustet immer mal wieder die Wolken zur Seite. Und dann muss man sofort an den Strand. Selbst falls man sich gerade in Westerland befindet. (Ein Scherz. Der Strand in Westerland ist toll. Nur Westerland selbst ist eben nicht das Schönste auf der Welt.)

 

Westerland

Schoen geht zwar anders. Aber es ist nun einmal Westerland.

 

Manchmal rettet der Wind den Tag erst auf die allerletzten Minuten. Und das ist dann eigentlich am wunderbarsten. Wie man die 7,5 verregneten Stunden zuvor aushält, ohne in Trübsinn zu versinken, guckt man sich am besten bei den Locals ab.

 

Der November auf Sylt ist ein Geduldsspiel

 

Auf Sylt gründete sich in den 1950er Jahren die deutsche Surfergemeinde. Sie hatten also bis heute genügend Zeit, um die wichtigste Eigenschaft herauszubilden, die ein Wellenreiter braucht, wenn er es zur Perfektion bringen möchte: Geduld. Das habe ich jedenfalls so aufgeschnappt.

 

Wellenreiter

 

Spontan denke ich bei ihrem Anblick nicht gerade als allererstes Junge, Junge, die sind aber geduldig. Ich denke eher: ach, du meine Güte. Doch allein das Zuschauen, bringt einen schon ziemlich verlässlich in die rechte Balance.

 

Sylt im November

 

Sylt im November: die perfekte Balance

Silversurfer

 

Surfer finden den Sylter November übrigens nicht besonders extrem. Er gehört zur ihrer ganz normalen Hauptsaison. Für Urlauber ist der Monat eher eine Art Zwischenzustand; Schwebezustand. Einige Bundesländer hatten gerade noch Herbstferien, da wird die Friedrichstrasse schon weihnachtlich geschmückt.

 

Nordsee

 

Handwerker sind die zweite Gruppe, die jetzt Hochsaison zu haben scheint. Überall wird gehämmert und gebaut und ausgebessert und darum gibt´s von mir ganz leichte Abzüge in der B-Note. Meine geliebten Morgenspaziergänge an der Wattseite sind im November längst nicht so still wie im Januar oder im Februar.

Nordseewellen

 

Im November ist die Brandungsseite der Insel das Beste. Während der Eiswind im Winter manchmal kaum zu ertragen ist, fühlt er sich derzeit erstaunlich mild an; fast frühlingshaft kommt es einem in gewissen Momenten vor. (Und weil die Brandung laut ist, kriegt man auch gar nichts von irgendwelchen Bauarbeiten mit). Dafür erreicht man auf jeden Fall früher oder später ein gute Location zur Einkehr. In Westerland zum Beispiel die Osteria auf dem Campingplatz. (Die Pizzen sind gewaltig; abgestimmt auf den Bärenhunger von Wellenreitern).

 

Sylt

 

Man kann aber auch spontan jedes andere Restaurant ansteuern. Fast alle haben – anders als im Januar – geöffnet und selbst die Klassiker sind im November nicht überfüllt – ganz anders als im Frühling, im Sommer, während der Herbstferien, zur Weihnachtszeit, dem Jahreswechsel und zur Bike im Februar.

 

Supermond

 

Zusammenfassend lässt sich der optimale Novembertag auf Sylt so beschreiben: 1) Geduldig im Lesesessel darauf warten, dass der Wind die Regenwolken vertreibt. 2) Spontan aufspringen und in 7-Meilen-Gummistiefeln zum nächsten Strand. 3.) So lange laufen, wie´s nicht regnet – sich gehörig den Kopf freipusten lassen.  4.) Leicht erschöpft (evtl. durchnässt) eine Lieblingslocation entern. 4.) Hochzufrieden sein.

Hafenrundfahrt

Hafenrundfahrt: Lohnt sich das eigentlich?

Freitag bin ich auf Hafenrundfahrt gegangen. Es geschah quasi vor Schreck darüber, dass doch tatsächlich die Sonne schien. Ich wusste so schnell nichts Originelleres mit mir anzufangen, als an die Landungsbrücken runterzulaufen (bei denen es sich abgesehen von meinem Balkon um den wärmsten Punkt von Hamburg handelt). Und als ich auf die übliche Weise getriggert wurde („Na, und, willst Du nicht noch mal mit auf Große Fahrt?“), antwortete ich zu meiner eigenen Verblüffung: „Ja“.

 

Holzhafen

 

Die Große Hafenrundfahrt dauert 60 Minunten und kostet 20 Euro. Ganz schön heftig, finde ich. Doch was soll´s. Ich leiste es mir schließlich nicht gerade ständig. Bei meiner letzten lag der Kurs noch bei 14 – und zwar Mark.

 

Docklands

 

Der Conferencier machte seine Sache super, das muss ich sagen. Schon als sein erster Satz aus dem Lautsprecher schepperte, hatte ich die 20 Euro vergessen. „So, Leute, denn lecht Euch mal in die Sessel und entspannt, wir gehen auf Große Fahrt und kommen braungebrannt zurück.“

 

Speicher Altona

 

Ich glaubte, unter dem Hamburger Schnack einen leichten nordrhein-westfälischen Zugenschlag auszumachen. Was gut war. Denn wie man weiß, reden Nordrhein-Westfalen mehr und netter als alle anderen im Land.

 

Hafenrundfahrt: Alles dreht sich um Enscheeniiering und Globalisation (O-Ton)

 

Weil mir ein gewisser Schlag Nordrhein-Wesfalen manchmal aber auch zu viel redet (was ich echt nicht böse meine), habe ich mir angewöhnt, ihren Redefluss über mich hinwegplätschert zu lassen und nur punktuell reinzuhören.

 

Oevelgoenne

 

So habe ich es auch mit unserem Conferencier gehalten und dabei doch tatsächlich ein paar Sachen aufgeschnappt, die ich nicht wusste. Hätte ich nicht gedacht.

 

Elbe

Keine Stadt in Europa hat so viel Strand wie HH. 12 km sollen es sein.

 

Unterm Strich ist die Großen Hafenrundfahrt eben doch was anderes als die Linie 62. Womit ich nichts gegen den HVV sagen will. Im Gegenteil. Es lohnt sich absolut, die Fähre nach Finkenwerder zu nehmen, um zum Rüschpark zu spazieren.

 

Waltershof

 

Genauso empfehlenswert ist es, am Bubendey Ufer von Bord zu gehen. Der Weg zu den Leuchttürmen von Waltershof ist kurz und lauschig; der Blick auf den Eurokai toll.

 

Bubendey Ufer

 

In den Eurokai reinzuschippern ist aber noch mal eine andere Hausnummer. Es entspricht in etwa dem Gefühl, wenn man nach längerer Abwesenheit mit dem ICE nach Hamburg zurückkommt.

 

Eurokai

 

Das ist mal ein Tipp für Ortsfremde, die es sich nicht mit Hamburgern verscherzen wollen: Sprecht nie einen Einheimischen an, sobald der ICE die Elbbrücken passiert. Hamburger fühlen sich persönlich beleidigt, wenn Ihr nicht vor Ehrfurcht erstarrt.

 

Kraene

25.000 Container werden pro Tag umgeschlagen. Echt grosse Haefen (etwa in Asien) kommen auf 35.000.

 

Übrigens befand ich mich auf der Lousiana Star, diesem Disneydampfer, den ich eigentlich maximal bescheuert finde. Aber wenn schon Touri, dann richtig. Da das alberne Schaufelrad keine weitere Funktion zu haben scheint, als das Heck unter Wasser zu setzen, war ich auf weiten Teilen ganz allein da hinten.

 

Lousiana Star

 

Insofern war ich ganz zufrieden mit der Lousiana Star. Auch gut: Ihr Deck ist hoch genug, dass es fast immer in der Sonne liegt. Im Gegensatz zu Barkassen, die schon im Schatten liegen, wenn ein Schlepper sich nähert.

 

Was ist besser: Barkasse oder Dampfer?

 

Für die Barkassen spricht, dass man ein besseres Gefühl für die Größe der Containerriesen bekommt. Auf Barkassen ist es meiner Meinung nach auch lustiger; besonders auf der Hedi, falls man mal das Tanzbein schwingen möchte.

 

Barkasse

 

Schade, schade: Die Zeiten in denen Schiffe per se schön waren, sind längst vorbei. Gerade die Containerschiffe sind hässlich wie die Nacht. Eins davon – Hamburger erinnern sich –  geriet am 1. September in Brand und konnte erst nach 3 Tagen gelöscht werden. Seitdem liegt die CCNI Arauco mit bestem Panormablick im Dock.

 

Container Schiff

 

Es hätte echt böse ausgehen können, schreibt die Zeit, aber zum Glück sei es gerade noch mal gutgegangen. Wobei Glück ja eine relative Sache ist. Im Bauch der CCNI Arauco gluckert ein hochtoxisches Gemisch aus Löschwasser und Chemikalien. Niemand weiß jetzt so recht, wohin mit den 5.000 Tonnen Sondermüll.

 

Dock

 

Was die richtigen Touristen an Bord am meisten beeindruckte, war das Wort „Tüdelkram“ (alle so: kicher, kicher) und die Wohnung von Frau Fischer in der Hafencity. (Es ist die dritthöchste Wohnung des Marco Polo Towers; also die mit den größten Fenstern.)

 

Elbphilharmonie

Die Wohnung von Helene Fischer liegt im Marco Polo Tower; zweites Gebaeude von rechts.

 

Was mich am meisten beeindruckte war der Massenansturm auf der Aussichtsterrasse der Elbphilharmonie. Fast hätte ich da übrigens auch gedrängelt. Ich war froh, stattdessen die Hafenrundfahrt gemacht zu haben. Und ohne jetzt als Menschenfeindin gelten zu wollen: Ich war auch froh, dass ich ganz allein unterwegs war.

 

Elbphilharmonie

Elphi mit Aussicht

 

Gibt so Sachen, die schocken einfach mehr, wenn man sie nicht teilt. Meine Empfehlung daher für diejenigen, die seit ewigen Zeiten nicht mehr auf großer Hafenrundfahrt waren: Nicht auf den nächsten Verwandtenbesuch warten. Sondern auf den nächsten freien Wochentag mit Sonnenschein.

 

Speicherstadt

 

Strand Lettland

Ich denke gern an Liepaja: Lettlands schönste Strände

Ein Trip nach Liepaja ist nur was für Menschen, die sich für Meer und Strand begeistern können. Wer glaubt: kennste einen, kennste alle, ist falsch in der Hafenstadt im Südwesten Lettlands. Denn ansonsten hat die raue Industriestadt nicht unendlich viel zu bieten. Strandgurus hingegen können hier von morgens bis abends ihrer Lieblingsbeschäftigung nachgehen: Strände erkunden.

 

Wiese

 

Unsere Unterkunft lag einige Kilometer nördlich der Stadtgrenze von Liepaja, nahe des Winzig-Dorfs Saraiki, wo es nicht einmal eine Einkaufsmöglichkeit gibt. Genau der richtige Kontrast für mich. Städte sind mir am liebsten, wenn ich eine Rückzugsmöglichkeit habe. So wie die vollkommene Abgeschiedenheit im Guest House Lenkas.

 

 

Mit 70 Euro pro Nacht ist das Lenkas für lettische Verhältnisse recht teuer. Aber immerhin bewohnten wir gleich zwei Zimmer mit Balkon und Meerblick. Im weitläufigen Garten warten jede Menge Abhäng-Möglichkeiten (Hängematten unter Pinien!), Grillplätze, ein Volleyballfeld, ein Basketballplatz, die Sauna und – am allerwichtigsten – der Strand.

 

Saraiki Strand

 

Allein in der Stille aufzuwachen!

 

Endlose Strände: Der Duft von Meer und Pinien

 

Allein allein zu sein!

 

Saraiki

 

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, dass der Strand von Saraiki für den Südwesten nichts weiter Besonderes ist. Zwar ist er einsam und unendlich. Aber so ist er quasi überall. Auf einer Länge von 150 Küstenkilometern ist Liepaja die einzige nennenswerte Stadt am Meer.

 

Lettland

 

Ein bleibt ein großes Rätsel, wieso Lettland keine Touristenhochburg ist. Aber eins, dass wir nicht unbedingt lösen mögen. Ist einfach herrlich, dass es so etwas in Europa noch gibt.

 

Strandspaziergang

 

Am Strand von Saraiki nach Liepaja zu bummeln, dauert vermutlich auch nicht viel länger als mit dem Auto. Wie viele Dörfer liegt auch Saraikai abseits der asphaltierten Strassen. Auf den Schotterpisten bewegen sich Deutsche aus Steinschlagsgründen gaaaanz langsam (im Gegensatz zu Letten).

 

Strassen Lettland

 

Strände mit Geschichte: Skede und Karosta

 

Zwischen Saraiki und Liepaja lohnt ein Abstecher zum Holocaust-Mahnmal bei Skede. Es gedenkt (auf sehr nachdrückliche Weise) der beinahe 7.000  Menschen, die von den Nazis in Liepaja ermordet wurden. Allein in den Dünen von Skede wurden 2.449 jüdische Männer, Frauen und Kinder innerhalb weniger Tage hingerichtet.

 

Skede

 

Nur einen Steinwurf weiter ragen die Überbleibsel der nördlichen Festung aus dem Meer. Über Liepajas Stadtteil Karosta haben wir schon ausführlicher berichtet. Karosta ist ein unglaublicher Ort, der auf keinem Lettland-Trip fehlen sollte.

 

Festung Karosta

 

Liepaja ist für eine kreative Atmosphäre bekannt und lockt jede Menge Künstler an, besonders Musiker. Daher wird die „Stadt des Windes“ auch oft mit Manchester verglichen. Genügend Ecken und Kanten hat sie, um dem Vergleich standzuhalten.

 

Der Strand von Liepaja

 

Die weiche Seite Liepajas findet sich im Strandpark und dem angrenzenden Villenviertel, das mit ordentlich Jugendstil und klassischer Holzbauweise verzaubert. An den Strandpark schmiegt sich der 8 km lange Badestrand der Stadt.

 

 

Der Strand von Liepaja gilt als der Schönste der gesamten Ostsee. Gemeint ist vor allem der Sand: Er ist so fein und weiß, dass man ihn im russichen Reich ohne weitere Verarbeitung in Sanduhren verwendete.

 

Duenen

 

Liepaja wurde von schwedischen Königen, deutschen Baronen, russischen Zaren und finnischen Jägern geprägt. Während man zunächst noch denkt: ist ja wie in Skandinavien, Preussen, Russland hier …. wird einem irgendwann klar: genau diese Mischung ist Lettland.  Darum lautet unser Fazit auch: Das ist die tollste Ecke, um Lettland kennenzulernen.

 

Reiseplanung Liepaja

 

Die Gegend um Liepaja bietet sich für einen längeren Urlaub genau so an wie für einen Kurztrip oder als Etappenziel im Rahmen des klassischen Baltikum-Roadtrips. Im Folgenden dazu ein paar allgemeine Tipps.

 

Lettland

 

Anreise: Direkt geht´s nur mit dem Schiff. Die Fähre der Stena Line legt in Travemünde ab. Allerdings dauert die Fahrt einen ganzen Tag und eine ganze Nacht. Air Baltic fliegt schnäppchenweise richtig günstig. Der nächste Flughafen befindet sich 50 km entfernt im litauischen Palanga. Von Riga bis Liepaja sind es gute 200 km. (Die Flugroute ist übrigens richtig toll; aus den kleinen Propellermaschinen hat man einen Wahnsinnsblick auf Lübeck, Wismar, Fischland-Darß-Zingst, Rügen – dann gehts rüber nach Dänemark – ich glaube, ich habe endlich mein Traumziel (die Erbseninseln) gesehen und schließlich schwedische Schären).

 

Abendstimmung

 

Unterkunft: Liepaja war der einzige Ort Lettlands, in dem wir Schwierigkeiten hatten, spontan eine Übernachtung zu finden. Mag sein, es lag an der Festival-Hochsaison. Vorbuchen ist aber keine schlechte Idee. Obwohl in Liepaja nur 75.000 Menschen leben, ist es für lettische Verhältnisse großstädtisch und durchaus rough & tough & strong & mean. Die günstigen Hotels scheinen vielfach Absteigen zu sein. Unsere Entscheidung, vor den Stadttoren zu logieren, empfehlen wir ausdrücklich weiter.

 

Lenkas

 

Wenn man schon mal da ist: zwei Tagesausflüge der Extraklasse sollte man sich nicht entgehen lassen. Der erste führt 50 km die Küste hinauf zur Steilküste von Jurkalne sowie zum breitesten Wasserfall Europas in Kuldiga.

 

Abendrot

 

Der zweite Trip geht die Küste hinunter nach Litauen; in einer guten Stunde erreicht man Klaipeda, wo man sich meiner Meinung gar nicht lange aufhalten muss, sondern direkt auf die Kurische Nehrung übersetzt. Da finden sich meiner Meinung nach nämlich die besten Strände Litauens. Aktuelle Eindrücke findet Ihr bei Ines, von Viermal Fernweh: Klick.

Zollenspieker

Gastbeitrag: das Zollenspieker Pegelhäuschen

Das Alte Zollenspieker Pegelhäuschen liegt in den Vier- und Marschlanden, konkret am Elbstromkilometer 598,5 und somit am südlichsten Punkt Hamburgs. Unsere Gastautorin Verena, die als Stewardess um die Welt jettet und zum Ausgleich ein privates Restaurant in Ihrem Wintergarten führt, liebt es außergewöhnlich. Daher hat sie einfach mal das komplette Pegelhäuschen gemietet; für ein intimes Abendessen mit ihrem Mann.

Speisenkarten

 

Eat- Drink – Man – Woman oder das kleinste Restaurant der Welt

 

Aus einer Kleinstadt in Niedersachsen kommend bin ich nicht besonders verwöhnt durch eine herausragende Restaurantszene in meinem Umfeld. Nichtsdestotrotz (was für ein Wort!) liebe ich Essen und ich liebe Hamburg.

Für Hamburger mag es einfach sein, beides zu kombinieren, denn sie müssen sich ja nur für eine Location entscheiden, wenn sie gut essen gehen möchten. Für mich gestaltet sich diese Wahl schwieriger, weil ich mich nicht besonders gut auskenne.

Da kam ein Zeitschriftenartikel über das Zollenspieker Pegelhäuschen – nach eigenen Aussagen das kleinste Restaurant der Welt – gerade richtig. Super, dachte ich. Da will ich hin. Und mein Gemahl Timo sollte mit, denn hinein passen zwei bis vier Personen.

 

Das Zollenspieker Pegelhäuschen beim Zollenspieker Fährhaus

 

Nach meinem Telefonat mit dem Zollenspieker Fährhaus war ich etwas ernüchtert, da das Pegelhäuschen auf Monate an den Wochenenden ausgebucht ist. Darum entschied ich mich für einen Termin in der Woche und musste nur zwei Monate auf die Umsetzung warten. Übernachten wollten wir dort auch.

Zollspieker„Aha“, meinte meine Schwester, die in Hamburg lebt, „das ist aber nicht mehr Hamburg, oder?“

Wie-nicht mehr Hamburg? Die Adresse ist doch Hauptdeich 141, Hamburg? Und es soll direkt an der Elbe liegen…

 

Nun ja…theoretisch ist es Hamburg, wie wir bei der Anfahrt bemerken. Zumindest teilt uns das Ortsschild mit, dass wir in Hamburg sind. Praktisch handelt es sich hier eher um ein Dorf am Deich.
Was auch der Friseur direkt gegenüber dem Hotel beweist. De Hoorsnieder wirkt irgendwie nicht so kosmopolitisch wie sich Niedersachsen Hamburg vorstellen.

 

Friseur

 

Als wir am Hotel ankommen bei grauestem Herbstwetter, überlege ich auch kurz, was mich geritten hat, extra hierherzufahren um essen zu gehen. Denn außer dem Hotel am Deich und einer Häuseransammlung dahinter gibt es nichts… wie in der Unendlichen Geschichte, wo das Nichts kommt und alles verschlingt…

Ich erkenne im Gesicht meines Mannes die Frage, ob ich da nicht was verwechselt habe, was die Location angeht. Er wusste nur, das wir nach Hamburg fahren, um essen zu gehen.

In der Hotelhalle allerdings bin ich sofort versöhnt. Sie geht in die Kaminbar über mit Blick auf die Elbe und ist saugemütlich eingerichtet; mit dicken Kissen zum molschen (wie die Schleswig-Holsteiner sagen). Auch unser Zimmer hat vollen Elbblick und ist sehr hübsch renoviert.

 

 

Um kurz vor sieben finden wir uns im Restaurant ein. Unser persönlicher Kellner steht schon bereit, um uns ins Pegelhäuschen zu bringen. Wir werden an den anderen Gästen vorbeigeführt und stehen plötzlich wieder draußen am Elbdeich. Über einen Steg geht es zum Pegelhäuschen. Die kleine Holzlaube thront auf einem Sockel hoch über der Elbe. Nachdem wir Platz genommen haben, strahlt Timo und ich fühle mich jetzt schon so zufrieden wie eine satte Katze.

 

Zollenspieker Pegelhaeuschen

 

Menue mit Aussicht im Zollenspieker Pegelhäuschen

 

Uns erwarten 4 Gänge eines wirklich fantasievollen Kochs. Nachdem der Kellner uns mit dem Aperitif und dem Gruß aus der Küche versorgt hat, lässt er uns allein mit dem Sonnenuntergang und der Abendstimmung am Fluss. Jedesmal, wenn er wiederkommt, klopft er kurz an, um unsere Intimsphäre zu wahren.
Herbst
Die Vorspeise Herbstgarten ist köstlich: Rote Beete, Karotten, Mais, Rettich und Pilze auf Kichererbsencreme mit Pumpernickel. Ebenso gut der zweite Gang: eine Maronensuppe mit Kalbsbäckchen, Schnittlauchöl und Radicchio.

Als Hauptgang gibt es gebratenen Rehrücken an getrüffeltem Pastinakenpüree mit Kronsbeeren, Rosmarinspitzen und Morcheljus. Wie man an den mit Püree gefüllten Quinoakugeln sehen kann, haben auch hier Superfoods Einzug in die Küche gehalten. HauptspeiseDas Zollenspieker Fährhaus liegt zwar hinterm Deich, aber nicht hinterm Mond.

Zum Dessert wird ein typisches 70er Jahre Gericht serviert, allerdings modisch aufbereitet. Birne Helene mit Pralinencreme auf Valrhona Schokoladenchips mit Popcornschnee.

 

So langsam geht der Wein zur Neige. Übrigens sind alle Getränke im Preis von € 109,– p.P. enthalten. Deshalb wechseln wir nach einem Digestiv in die Kaminbar des Zollenspieker Fährhauses. Dort ist für einen Mittwochabend bemerkenswert viel los. Die Stimmung lädt zum Bleiben ein.

Am prasselnden Kaminfeuer lassen wir den Abend Revue passieren und kommen zu dem Schluss, dass ein Besuch im Zollenspieker Pegelhäuschen etwas ganz Besonderes ist. Wir kommen gerne wieder! Falls jemals wieder ein Platz frei ist.

 

Verena Kleffner

 

Anmerkung der Redaktion: Bei Verena zu essen, ist übrigens auch was ganz Besonderes. An Ihrem Flying Table geht es weniger intim zu als im Zollenspieker Pegelhäuschen. Aber lecker ist es auch. Hoch zehn. Mehr über Verenas „Flying Table“  findest Du hier.

Wilhelmsburg

Stückchenweise ungezähmt: Wilhelmsburg und die Wildnis

Letzten Sonntag besuchten wir einen Fleck in Wilhelmsburg über den das Abendblatt schreibt:

Feiner weißer Sandstrand in Südlage, Schatten spendende Bäume, erfrischendes Wasser mit gelegentlichem Wellenschlag. Diese Urlaubsoase haben Hamburger direkt und kostenlos vor ihrer Haustür, in Wilhelmsburg am Finkenrieker Hauptdeich, am Ufer der Süderelbe.

Das ist alles maßlos übertrieben. Stimmt seltsamerweise aber gleichzeitig. Jedenfalls wenn man gewisse Dinge ausblendet und andere Dinge fokussiert. Mehr als jeder andere Stadtteil liegt Wilhelmsburg in der Phantasie des Betrachters. Für die einen ist es so was wie die Bronx von Hamburg. Für die anderen die neue Schanze. Und die nächsten halten es für eine Urlaubsoase.

 

Deich

 

Ganz objektiv gesehen, ist Wilhelmsburg Hamburgs größter Stadtteil; gelegen auf Deutschlands größter Binneninsel, durchschnitten von Autobahnen und mit Industrie gespickt. Dazwischen schmiegen sich einige urbane und einige wilde Ecken. Oder viel mehr Eckchen. Denn in Wilhelmsburg ist alles immer auf die eine oder andere Art begrenzt.

 

Wilhelmsburg

 

Begrenzung ist natürlich super für Leute, die nicht gern elendig lang spazieren. Bei normalem Tempo hat man die klassischen Wilhelmsburger Naturschönheiten in einer halben Stunde erledigt. So auch den Finkenrieker Strand, der in Sommernächten stärker frequentiert wird als an Herbstsonntagen und echt nicht so idyllisch ist, wie das Abendblatt behauptet. Aber für ne gute halbe Stunde ist er gut.

 

elbstrand

 

Zufällig ist eine halbe Stunde im Freien genau das, was der Norddeutsche im Herbst braucht, um nicht auf trübe Gedanken zu kommen. Jeder vierte Deutsche wird in der dunklen Jahreshälfte trauriger und dicker. In Hamburg schiebt man das gerne auf´s Wetter. Fehlt Licht, produziert die Zirbeldrüse mehr Melatonin, ein Hormon, das müde macht und Heißhunger auf Süßes weckt. Da kann man nix machen, denkt man und fühlt sich bestätigt, wenn die Sonne zufälligerweise doch mal scheint und die Laune automatisch in fast vergessene Höhen schnellt.

 

elbbruecke

 

Eigentlich ist die Lichtstärke aber selbst an grauen Tagen noch immer zehn mal höher, als sie sein müsste, um die Zirbeldrüse in Zaum zu halten. Ist doch ulkig: auch wenn man das hier und da schon mal aufgeschnappt hat, neigt man bei Schmuddelwetter trotzdem dazu, sich aufs schützenden Sofa zu kuscheln, zu viel zu essen und/oder über das Wetter zu schwadronieren.

 

laterne

 

Kaum lässt sich die Sonne blicken, will man raus. Und ist ganz enttäuscht, wenn ein Strand so schnell zuende ist wie der Finkenrieker Strand. Muss man in diesem Fall aber gar nicht sein, denn unterquert man die hässliche Brücke des 17. Juni am Strandende, gelangt man auf die Alte Harburger Elbbrücke.

 

Alte Harburger Elbbruecke

 

Die Eisenfachwerkkonstruktion von 1897 war die erste feste Straßenverbindung über die Süderelbe. Heute ist sie die letzte ihrer Art, inzwischen Fußgängern und Radfahrerer vorbehalten. Es ist schwer zu entscheiden was schöner ist: die Sandsteinportale? Das Eisenfachwerk? Der Blick? Der Tag? Der Herbst?

 
Harburger Elbbruecke

 
Und weil uns das alles so gut gefiel letzten Sonntag, sind wir am Ende doch noch auf eine ganze Stunde im Freien gekommen. Obwohl wir uns nur in einem ganz kleinen Stückchen von Wilhelmsburg bewegt haben.
 

 

Was ich mich in diesem Zusammenhang frage: ist die Zirbeldrüse eigentlich nach zwei halben Stunden draußen auch für zwei Tage beruhigt? Oder hat sie ein kurzes Gedächtnis? Die Sache ist nämlich die, dass ich meine Draußen-Zeit in der vergangenen Woche mal gezielt gezählt habe. Ich vermutete, dass ich schon durch ganz normale Alltagswege locker auf 30 Minuten im Freien käme. Tatsächlich erreichte ich das Pensum aber nur an einem einzigen Tag. Weil es eben am Stück sein muss (und ich keinen Hund habe).

 

Elbufer

 

Hilft also alles nichts, ich muss die tägliche Lichtladung explizit in meinen Tagesablauf einplanen. Mach ich. Ab heute. (Mal sehen, wie lange.) Gerade jedenfalls fühle ich mich schwer motiviert. In diesem Sinne: Einen schönen Sonntagsspaziergang allerseits!

Und hier noch ein paar Halbstünder in Wilhelmsburg, die sich ebenfalls lohnen: Die Bunthäuser Spitze, die die Elbe in Norder- und Süderelbe teilt, der Tidenauenwald Heuckenlock und der Skywalk Georgswerder.

schleswig-holstein

Schleswig-Holstein: 130 Dinge, die offenbar glücklich machen

Seit einigen Tagen ist es halb-amtlich: Schleswig-Holstein macht glücklich. Dabei bietet der Gewinner des Bundesvision-Glücks-Contest weder die besten Karrierechancen im Land noch die höchsten Gehälter oder besonders viel Zerstreuung und schon gar nicht das schönste Wetter. Und doch … Das ist nun keine bahnbrechende Erkenntnis … Glück liegt eben in anderen Dingen. Den kleinen Sachen.

 

Und letztlich läuft alles aufs Meer hinaus

 

 

Das Meer. Die See. Der Ozean.

Die Qualle. Der Queller. Der Strand.

Der Wurm. Das Watt. Der Kormoran.

Die Muschel. Die Alge. Der Sand.

 

 

Die Woge. Der Schweinswal. Das Dünental.

Der Strandkorb. Die Sandburg. Die Flut.

Die Robbe. Der Tümmler. Geräucherter Aal.

Strandaster. Stranddistel. Strandgut.

 

 

Die Weite. Die Ferne. Der Horizont.

Der Dampfer. Das Baden ein Schock.

Der Hafen. Die Mädchen. Nordseeblond.

Die Tide. Die Reede. Das Dock.

 

 

Die Nordsee. Die Ostsee. Das Heidekraut.

Die Sandbank. Der Ölfleck. Der Teer.

Der Felsen. Der Bernstein. Die Seemansbraut.

Der alte Mann und das Meer.

 

 

Das Brausen. Das Toben. Der Blanke Hans.

Seepferdchen und Seeigel.

Die Lerche. Der Himmel. Die Nonnengans.

Das Wasser glatt wie ein Spiegel.

 

 

Der Seestern. Die Auster. Und schwere See.

Der Fischer. Die Krabbe. Der Deich.

Die Strömung. Die Bucht. Enormes Fernweh.

Der Sturm. Die Gezeiten. Fischreich.

 

 

Der Matrose. Der Grog. Ein Bohlenweg.

Das Sandkorn. Die Möwe. Die Gischt.

Der Krebs. Die Küste. Ein langer Steg.

Und Jemand, der abends noch fischt.

 

 

Der Nebel. Die Sonne. Das Segelschiff.

Der Wind. Die Fähre. Und Du.

Die Sprotte. Der Hering. Da draußen ein Riff.

Die Nixen zwinkern uns zu.

 

 

Moin, Smutje. Labskaus. Das Rettungsboot.

In Sicht weder Balken noch Grenze.

Salz in der Luft. Das Echolot.

Der Butt. Das Schilf. Krebsschwänze.

 

 

Der Pril. Der Schlick. Die Flaschenpost.

Seegras wie feinstes Haar.

Das Kliff. Die Schleuse. Ein Kutter mit Rost.

Strandmuschel. Strandmatte. Strandbar.

 

 

Die Klippe. Die Küste. Der Ufersaum.

Die Brise. Der Rum. Ich sach Prost.

Das Netz. Die Boje. Ein Inseltraum.

Die Hallig von Stürmen umtost.

 

 

Die Schiffsuhr. Das Glasen. Die Lorenbahn.

Die Kate. Das Reet. Und der Anker.

Das Segel. Auf Halbmast. Ein weißer Schwan.

Veermaster und Öl-Tanker.

 

 

Das Raue. Die Stille. Klabautermann.

Das Nordlicht. Turmhohe Wellen.

Poseidon. Und Neptun. Der Katamaran.

Ich tanze auf Wasserbällen.

 

 

Die Biike. Die Buhne. Das Nebelhorn.

Vom Leuchtturm wandert das Licht.

Das Heck ist stets hinten. Der Bug immer vorn.

Schleswig-Holstein. Ein Liebesgedicht.

 

 

Leuchtturm Friedrichsort

Der Falckensteiner Strand oder: Warum wir Kiel lieben

Nach Kiel würde ich unheimlich gern mal mit einer Zeitmaschine reisen. Die nördlichste Großstadt Deutschlands muss früher total schön gewesen sein, wurde aber im zweiten Weltkrieg zu mehr als 80% zerstört. Beim Wiederaufbau verzichtete man nicht nur weitgehend auf die Rekonstruktion historischer Gebäude sondern riss dazu noch so einiges ab, was zu retten gewesen wäre. Weg mit dem alten Kram, sagte man sich. Kiel sollte modern werden.

 

Dass in Kiel nichts los ist, denkt nur, wer (zu) lange nicht da war.

Dass in Kiel nichts los ist, denkt nur, wer (zu) lange nicht da war.

 

Mag sein, es gelang. Mag sein, es gab Zeiten, in denen alle riefen: Oh, wie ist es nur herrlich modern dieses Kiel. Nur war es offenbar die Art von Modernität, die sich schnell abnutzte. Denn seit ich (über so etwas nach-) denken kann, galt Kiel den Meisten als uncharmant, wenn nicht sogar unsäglich. Mal abgesehen vom Bundespräsidenten Gustav Heinemann, der 1972 anlässlich der Olympiade in (ausgerechnet) Schilksee gesagt haben soll: So was Schönes habe ich noch nie gesehen.

 

Zaun

Blue Monday: Morgens am Falckensteiner Strand

 

Also, architektonisch hab ich durchaus schon Schöneres gesehen als Kiel (vor allem als Schilksee). Aber wen interessiert die Architektur, wenn sich eine Stadt um eine Förde zieht, an deren Ufern sich Strände mit Werften wechseln, Promenaden mit bewaldeten Steilküsten, Kaianlagen mit Yachthäfen. Und ich vermute, dass Kieler ziemlich glückliche Menschen sein müssen.

 

Leuchtturm Friedrichsort

100 Jahre leuchtete auf einer kleinen Insel vorm Falkensteiner Strand ein niedlicher Leuchtturm.

 

Kiels Fab Four: Förde, Fähre, Friedrichsort, Falckenstein

 

Leuchtturm Friedrichsort

Wodurch der niedliche Leuchtturm in den Siebzigern ersetzt wurde, ist irgendwie typisch Kiel.

 

Aber weiß man´s? Unter jedem Dach, ein Ach, heißt es – ich hatte darüber bereits in einem Beitrag über Falkenstein spekuliert. Hamburg Falkenstein wohlgemerkt. Der Vergleich mit dem Falckensteiner Strand in Kiel bringt die Unterschiede zwischen der schönen Hansestadt und der rauen Landeshauptstadt von Schleswig-Holstein ganz gut auf den Punkt.

 

Was Kiel Hamburg voraus hat

 

Nichts gegen die Elbe. Aber die Kieler Förde ist natürlich was Anderes als ein Fluss. Was Besseres (wenn man das Meer liebt). Denn hier fühlt man sich beim Morgenspaziergang wie eine verwegene Windsbraut.

 

Marine

Kiel ist kantig wie ein Autorenfilm im Programmkino

 

Richtung Stadt grenzt der Falckensteiner Strand an ein Militär-Irgendwas. Aber nordwärts könnte man – die offene Ostsee immer im Blick – bis nach Dänemark laufen. Oder auch nur nach Schilksee, falls man einen ähnlichen Geschmack hat wie Gustav Heinemann.

 

Falckensteiner Strand

 

Was uns gut gefällt: Die Gastro am Falckensteiner Strand schmückt sich mit Überzeugung.  Kein Ort für Neonazis – Kiel gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus steht auf gelben Blechschildern, mit denen sich 500 Kieler Institutionen und Betriebe politisch grademachen.

 

 

Wer vor 10 oder 20 Jahren die Hamburger Strandperle liebte, sollte sich mal die Kieler Deichperle im alten Leuchtturmwärterhäuschen ansehen. Auch toll: der Elefant am Strand. Leider fahren die Fähren den Falckensteiner Strand nur in den Sommermonaten an.

 

Schwimmende Öffis: die Schlepp- und Fährgesellschaft Kiel

 

Im Winter steuern Seeleute die Haltestelle Friedrichsort an. Sie liegt am Skagerrakufer. Dort siehts in etwa so aus, wie ich mir das Vorkriegs-Kiel vorstelle: schön und rau und inspirierend. Nicht umsonst hat sich der Club of Rome am Skagerrakufer mit einer Schule niedergelassen.

 

 

Wäre ich Bürgermeister in Kiel, würde ich die ansässige Industrie zwingen, einen öffentlichen Weg durch ihre Anlagen anzulegen. Denn dann wäre man in 1 min am Falckensteiner Strand. Weil ich nicht Bürgermeister von Kiel bin, muss man 1,8 mittelschöne Kilometer außenrum latschen. Lohnt sich aber.

 

Falckensteiner Strand

Blick vom Falckensteiner Strand nach Laboe

 

Keine Stadt im Land fühlt sich so nach Skandinavien an wie Kiel. Nicht auf die Bullerbü-Art versteht sich. Sondern mehr in Richtung nordic-noir. Und ich bin schon ein bisschen aufgeregt, wenn ich daran denke, dass wir in ein paar Wochen wieder nach Kiel kommen, um auf große Fahrt zu gehen. Seetüchtig bin ich nämlich eigentlich nicht. Aber was macht man nicht alles für einen Blick aufs Meer.

 

Friedrichs

Kiel, die Stadt mit dem Standortvorteil. Vor allem in Friedrichsort.

 

Buelk

Stresstest: Spaziergang von Strande zum Bülker Leuchtturm

Es riecht so gut an der Kieler Förde bei Strande. Nach Miesmuscheln und nach Seegras. In gewaltigen Ballen trocknet es am schmalen Strand. Gibt durchaus Menschen, die mögen das nicht. Ich hingegen fange automatisch an, richtig tief zu atmen.

 

 

Wenn ich ausnahmsweise mal tief atme, merke ich immer erst, wie kurz und flach mein Atem zuvor ging. Grade in hektischen, arbeitsreichen Phasen geht mir das so. Flaches Atmen ist die Ursache für alles Mögliche; von körperlichen Beschwerden zu Übergewicht und emotionaler Düsternis. Krankenkassen bieten daher Kurse zum richtigen Atmen an. Yoga basiert auf dem gleichen Prinzip. Man kann aber auch einfach an einen Strand gehen. Oder überhaupt raus.

 

Strande

 

Grad noch habe ich im geheizten Auto gefroren. So innerlich. Weil mir der Herbst zu schnell gekommen ist. Und sich der Oktober dieses Jahr mehr wie November anfühlt. Verschiedene Untersuchungen in Polen, Schweden und Finnland zeigten, dass es bei Temperaturrückgängen um 5 Grad pro Tag zu körperlichem Stress kommt: Die Blutgefäße verengen sich, die Herzfrequenz und der Blutdruck steigen.

 

Am Strand von Strande dem Stress davonlaufen

 

Bei mir funktioniert der Kälteschock offenbar auch bei 5 Grad pro Woche, zumindest wenn das 3 Wochen hintereinander so läuft. Nach nur ein paar Schritten am Strand aber, scheint mir alles perfekt. Obwohl ein Wind geht, ist mir nicht mehr kalt. Ich entspanne. Komme endlich dem Herbst hinterher.

 

Kieler Foerde

 

Ganz wichtig die Stille. Stille ist Luxus. Hier draußen hört man nichts als das Rauschen der Wellen und eine Möwe ab und zu. Lärm wirkt auch dann auf Psyche und Körper, wenn wir uns des Lärms gar nicht bewusst sind. Der Mensch kann sich nämlich nicht an Flugzeuge, Autos, Rasenmäher und Blattstaubsauger etc. gewöhnen. Dauerhafter Krach erhöht sogar das Risiko von Herz-Kreislauferkrankungen.

 

zauberwald

 

Stress kann durch alle sinnlichen Wahrnehmungen entstehen. Visuell zum Beispiel durch die Nutzung neuer Medien. Aber auch durch zu starke Kontraste. Insofern ist Schmuddelwetter eigentlich gut. Besonders am Strand, wo alle Farben weich gewaschen wirken.

 

Segelboot

 

Bei Sonnenschein gilt der Spaziergang vom Hafen in Strande zum Bülker Leuchtturm als Klassiker. Die Promenade verläuft gute 3 km immer an der Wasserkante entlang.

 

Hein Bülk, der älteste Türsteher an der Kieler Förde

 

Man wünschte sich den Weg länger, so niedlich ist er. Aber a) kann man eben nicht alles haben. Und b) passt so ein kleiner Spaziergang gut zwischen zwei Regengüsse.

 

Ostsee

 

Es geht durch kleine Zauberwäldchen, mal weiter von der Straße entfernt, mal näher dran. Man könnte also auch mit dem Auto zum Leuchtturm fahren. Es gibt dort einen kleinen Parkplatz. Aber wer seine Mitmenschen nicht unnötig nerven will, lässt das.

 

Promenade

 

Abgase stressen. Während beispielsweise frischgemähte Wiesen entspannen. Olfaktorischen Stress nennt man das, wenn es stinkt. Das könnte hier auch passieren, denn an der Landseite glänzt das Bülker Klärwerk. Doch da gucken wir einfach mal drüber weg, weil wir uns olfaktorisch nicht beeinträchtigt fühlen. Mag sein, der Wind steht günstig.

 

Buelker Leuchtturm

 

Nach einer guten halben Stunde haben wir den Bülker Leuchtturm erreicht, im Volksmund auch Hein Bülk genannt. Weder kann man den Leuchtturm heute besteigen, noch ist das Lokal im Pavillon geöffnet. Es ist nämlich Montag. Ruhetag. Mein Lieblingstag. Also, wenn ich nicht arbeiten muss. Denn Arbeit stresst mich eigentlich am allermeisten. Aber da kann man wohl nix machen.

 

Mole

 

Anreise: Strande grenzt an Kiels nördlichsten Stadteil Schilksee und ist gefühlt ähnlich in den 70ern hängengeblieben. Doch im Gegensatz zum Olympiazentrum auf nette Art. Grad mal so, dass das echte Leben weit weg scheint.

Herbst

Der Herbst, der Wald und der Hohe Mechtin

Im Herbst denke ich oft daran, dass mein Opa mir mal erzählte, früher hätte ein Eichhörnchen von Kappeln nach Hamburg gelangen können, ohne je den Boden zu berühren. Ich weiß nicht, ob das stimmt. Und warum mein Gehirn gewisse Sätze wortgetreu konserviert, während ganze Jahre höchstens noch als blasse Erinnerungen existieren. Aber das ist ein anderes Thema. Jedenfalls: im Herbst denke ich oft an Eichhörnchen. Weiterlesen

Karosta

Das erstaunliche Territorium von Karosta

Vor dem ehemaligen Gefängnis von Karosta breitet eine alte Frau Plastikschüsseln und Aluschälchen auf dem Boden aus. Sie gießt hier ein wenig Milch dazu, rührt dort ein wenig um. Von überall schleichen wilde Katzen herbei. Eine streicht ihr um die Strümpfe.

 

Katzen

 

Ob wir vielleicht ein Foto… fragen wir auf Englisch und lassen den Satz irgendwie auströpfeln, wie deutsche Touristen unserer Generation es gerne tun. Die Frau antwortet auf Russisch. Es klingt nach: Warum nicht? Und wir bedauern nicht zum ersten Mal die Sprachbarriere. Zu gern würden diesen unfassbaren Ort verstehen, den der lettische Touristenverband so wunderbar lautmalerisch beschreibt als

 

das erstaunliche Territorium von Karosta

 

Karosta, lettisch für Kriegshafen, ist der nördlichste Stadtteil von Liepaja, einer Großstadt an der Ostseeküste Lettlands. Fast ein Drittel des Stadtgebiets nimmt er ein. Einst funktionierte das Lebens jenseits der Kalpaka-Brücke für 30.000 Menschen vollkommen autonom, eigene Strom- und Wasserversorung inklusive. Heute zählt Karosta nicht einmal mehr 7.000 Einwohner.

 

Kalpaka Bruecke

Die Kalpaka-Bruecke von 1906 entstand nach Plaenen Gustav Eiffels

 

Karosta wurde 1890 unter Zar Alexander III gegründet, um der zunehmenden Macht der Deutschen im Ostseeraum zu begegnen. In den Anfangsjahren war dieser Außenposten des russischen Imperiums reich an gesellschaftlichem und kulturellem Leben. Viele ranghohe Militärs und Adelige übersiedelten damals mit ihren Familien nach Lettland. Es gab Schulen, Kirchen, Theater, Vergnügungsbetriebe und manche verglichen Karosta in seiner Schönheit mit St. Petersburg.

 

Karosta

 

Durch hundertjährige Prachtalleen weht bis heute ein Hauch zaristischer Eleganz. Doch ganze Straßenzüge sind vollkommen unbewohnt, Fenstern und Türen der Gespenstervillen zugemauert. Zwischen lichten Birkenwäldchen verfallen Geisterkasernen zu Ruinen.

 

verfall

 

Etwa die Manege, von der nur noch Grundmauern stehen. Vor dem 1. Weltkrieg wurde sie zum Sporttraining der Matrosen genutzt. Auch Empfänge und Gala-Diners fanden in dem Raum statt, der mehr als 4.000 Menschen fasste und von einer kühnen Metallkonstruktion überspannt wurde. Eingelassene Glasziegel sorgten für die Ausleuchtung des gewaltigen Raumes.

 

 

Ein Gefühl der Unwirklichkeit stellt sich ein, während wir durch die Ruinen streifen. Zwar gilt Karosta einer bestimmten Art von Reisenden als Ort, den man in Lettland unbedingt gesehen haben muss. Doch an diesem warmen, diesigen Sonntagmorgen zieht es nur wenige Besucher in die verwaisten Alleen. Die Menschen sind am Strand.

 

Karosta

 

Die russische Flotte wählte Karosta als Stützpunkt aufgrund der ganzjährigen Eisfreiheit. Doch bereits 1908 erwies sich die Nördliche Festung als strategischer Fehler. Den Kanonen fehlte es an Reichweite, um angreifende Schiffe abzuwehren.

 

Die Nördliche Festung von Karosta

 

Nutzlos geworden, sollte die Festung gesprengt werden. Die Bauweise war jedoch zu massiv. Und so ließ man die Überbleibsel, wo sie waren. Treppen, Bogengänge, Schutzräume und Geröll finden sich in der Ostsee verstreut wie ungeliebtes Spielzeug eines Riesen.

 

 

Die Festung mit ihren unterirdischen Gängen zieht sich über mehrere Hundert Meter entlang der Küste. In etlichen kleinen Buchten haben sich Badegäste zurückgezogen wie in einen privaten Traum. Es ist, als würde man sich in einem surrealen Gemälde befinden.

 

Karosta

 

Weitaus belebter geht es auf der Nordmole zu. Sie ist 1.800 Meter lang und besonders an stürmischen Tagen eines der beliebtesten Ausflusgsziele Liepajas. Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass es Letten untersagt war, Karosta zu betreten.

 

Nordmole

 

Während der Stadteil zunächst unter deutscher und später sowjetischer Besatzung zusehends verwahrsloste, galt er als strengstes Sperrgebiet. (Und da dachte ich immer, Berlin sei in seiner Teilung etwas Besonderes.) Nicht einmal auf Karten war der Hafen verzeichnet.

 

Karosta und die Sowjets

 

Das Merkwürdigste an Karosta ist der architektonische Kontrast zwischen russischer Ästhetik und sowjetischer Hässlichkeit. Plattenbauten für 26.000 Soldaten stampften die Sowjets mit scheinbar größtmöglicher Brutalität ins Gelände. Es ist sicher kein Zufall, dass die Sichtachsen auf die orthodoxe Meereskathedrale verbaut wurden. Auch im Inneren wurde St. Nikolai entweiht. Das Wahrzeichen Karostas diente der Sowjetarmee als Sporthalle und Kino.

 

Meereskathedrale

 

Auf uns wirken die Platten unbewohnbar, wie Slums. Was kein Wunder ist, denn nach Abzug der Armee in den 90er Jahren, schrumpfte die Bevölkerung Karostas um 20.000 Menschen. So sind etliche Einheiten unbewohnt, in Hauseingängen stapelt sich Sperrmüll und vermutlich gibt es nicht umsonst so viele Katzen wie wir es noch nirgends auf der Welt gesehen haben.

 

Katzen

 

Zu den wenigen historischen Gebäuden, die instand gehalten wurden, gehört das Gefängnis. Die letzten Sträflinge saßen dort bis 1997 ein. Heute beherbergt das Gefängnis ein Besucherzentrum. Die ehemaligen Kantine wurde zur Cafeteria umfunktioniert. Dort wird auch eine empfehlenswerte Dokumentation gezeigt.

 

Nelken

 

Liepaja bemüht sich um die Wiederbelebung des Viertels. Die Meereskathedrale wurde als erstes renoviert. Bereits drei Monate nach Abzug der Sowjets fanden wieder Gottesdienste statt. Auch andere Ecken werden aufgemöbelt. Doch es gibt wohl Dinge, die man nicht mit einem Eimer Farbe ändern kann.

 

Karosta

 

Es gibt offenbar nicht nur Spannungen zwischen Letten und Russen, wie wir an anderer Stelle schon beschrieben haben, sondern auch innerhalb der russischstämmigen Bevölkerung. Als eine Frau den Kirchhof betritt, ihr Kopftuch hochschlägt, spuckt ein vom Alkohol Zerstörter vor ihr aus. Er beschimpft sie aufs Übelste, während sie die Treppe hinaufeilt. Der Grund für die Agressivität bleibt uns verborgen. Wie uns Vieles in Karosta unverständlich bleibt. Doch gerade das macht diesen Tag aus. Dass man aus dem Grübeln gar nicht mehr herauskommt.

 

Minitop

 

Karosta ist kein gefälliger Touristenspot. Nicht umsonst befindet sich hier die einzige Tankstelle des Landes, in der man nicht mit Bargeld zahlen darf. Doch es ist auf jeden Fall ein einmaliger Ort. Man kann ihn inspirierend finden. Oder grässlich. Dazwischen gibt es glaub ich nichts.