Sylt im November ist nicht unbedingt was für Feiglinge. Wer es schwer nimmt, wenn die Wetterprognose eine ganze Woche Regen verspricht, ist im Herbst nicht richtig auf der Insel. (Er wäre im Grunde auch im Sommer nicht richtig, aber das ist ein anderes Thema.) Wer hingegen findet, dass Regen nun mal zum November gehört – wie Sturm und Nebel und eine Prise Tristesse – der kann gerade jetzt sehr glücklich werden auf Deutschlands nördlichster Insel. Wir jedenfalls halten den November für den idealen Monat auf Sylt.

Sobald sich ein Wolkenfenster auftut, muss man schnell, schnell an den Strand
Es stimmt schon: das Wetter ist häufig ungemütlich. Es regnet oft. Aber es regnet nicht durchgehend. Der Wind pustet immer mal wieder die Wolken zur Seite. Und dann muss man sofort an den Strand. Selbst falls man sich gerade in Westerland befindet. (Ein Scherz. Der Strand in Westerland ist toll. Nur Westerland selbst ist eben nicht das Schönste auf der Welt.)

Schoen geht zwar anders. Aber es ist nun einmal Westerland.
Manchmal rettet der Wind den Tag erst auf die allerletzten Minuten. Und das ist dann eigentlich am wunderbarsten. Wie man die 7,5 verregneten Stunden zuvor aushält, ohne in Trübsinn zu versinken, guckt man sich am besten bei den Locals ab.
Auf Sylt gründete sich in den 1950er Jahren die deutsche Surfergemeinde. Sie hatten also bis heute genügend Zeit, um die wichtigste Eigenschaft herauszubilden, die ein Wellenreiter braucht, wenn er es zur Perfektion bringen möchte: Geduld. Das habe ich jedenfalls so aufgeschnappt.
Spontan denke ich bei ihrem Anblick nicht gerade als allererstes Junge, Junge, die sind aber geduldig. Ich denke eher: ach, du meine Güte. Doch allein das Zuschauen, bringt einen schon ziemlich verlässlich in die rechte Balance.
Sylt im November: die perfekte Balance
Surfer finden den Sylter November übrigens nicht besonders extrem. Er gehört zur ihrer ganz normalen Hauptsaison. Für Urlauber ist der Monat eher eine Art Zwischenzustand; Schwebezustand. Einige Bundesländer hatten gerade noch Herbstferien, da wird die Friedrichstrasse schon weihnachtlich geschmückt.
Handwerker sind die zweite Gruppe, die jetzt Hochsaison zu haben scheint. Überall wird gehämmert und gebaut und ausgebessert und darum gibt´s von mir ganz leichte Abzüge in der B-Note. Meine geliebten Morgenspaziergänge an der Wattseite sind im November längst nicht so still wie im Januar oder im Februar.
Im November ist die Brandungsseite der Insel das Beste. Während der Eiswind im Winter manchmal kaum zu ertragen ist, fühlt er sich derzeit erstaunlich mild an; fast frühlingshaft kommt es einem in gewissen Momenten vor. (Und weil die Brandung laut ist, kriegt man auch gar nichts von irgendwelchen Bauarbeiten mit). Dafür erreicht man auf jeden Fall früher oder später ein gute Location zur Einkehr. In Westerland zum Beispiel die Osteria auf dem Campingplatz. (Die Pizzen sind gewaltig; abgestimmt auf den Bärenhunger von Wellenreitern).
Man kann aber auch spontan jedes andere Restaurant ansteuern. Fast alle haben – anders als im Januar – geöffnet und selbst die Klassiker sind im November nicht überfüllt – ganz anders als im Frühling, im Sommer, während der Herbstferien, zur Weihnachtszeit, dem Jahreswechsel und zur Bike im Februar.
Zusammenfassend lässt sich der optimale Novembertag auf Sylt so beschreiben: 1) Geduldig im Lesesessel darauf warten, dass der Wind die Regenwolken vertreibt. 2) Spontan aufspringen und in 7-Meilen-Gummistiefeln zum nächsten Strand. 3.) So lange laufen, wie´s nicht regnet – sich gehörig den Kopf freipusten lassen. 4.) Leicht erschöpft (evtl. durchnässt) eine Lieblingslocation entern. 4.) Hochzufrieden sein.