Am 19. Juli 2017 zwischen 12.20 Uhr und 14.10 Uhr hätte ich nirgends lieber sein wollen als am Strand von Surendorf. Denn das war der Moment, als einmal alles perfekt war. (Ich formuliere es so erbsenzählerhaft, weil wir nun seit einiger Zeit die magische 10.000-Klick-Hürde (pro Monat) verlässlich überspringen und manchmal denke ich: Ganz schön viele Leute hier. Hoffentlich sind die nicht enttäuscht, falls sie mal einem unserer Tipps folgen. Denn so ein Blog kann ja nie mehr sein als eine Momentaufnahme und ist dazu noch höllisch subjektiv.)
Darum grenze ich noch weiter ein: am 19. Juli zwischen zwölf und vierzehn Uhr war für mich der Strand von Surendorf zu 100% so, wie ich mir einen Strand wünsche. Es war weder zu heiß, noch zu kalt. Nicht zu voll, nicht zu leer. Nicht zu trashig, aber auch weit entfernt von irgendwie schick.
Im Grunde hätte ich schon eine Viertelstunde zuvor wissen können, dass mich Großes erwartete. Und zwar als mich an einer etwa 10 km entfernten Tankstelle nach dem Weg zum Surendorfer Strand erkundigte.
Wo gehts denn hier nach Surendorf?
„Su-ren-dorf?“, echote die nette Dame an der Kasse, als hätte ich nach dem Weg auf den Mount Everest gefragt. „Also … ich war da schon mal … aber wie Sie da jetzt hinkommen … das kann ich Ihnen gar nicht sagen.“ Stattdessen bot sie mir an, den Weg nach Eckernförde zu erklären, was sehr freundlich war. Doch den kannte ich selbst. Er ist auch nicht schwer zu finden – weil es von der Tankstelle nur noch geradeaus geht.
Nach Surendorf war es auch nicht viel verzwickter, wie wir dann auf eigene Faust feststellten. Wir bogen an der nächsten Kreuzung rechts ab, weil die Ostsee unserem Gefühl nach dort liegen musste und folgten im Weiteren nur noch der Straße, die uns geradewegs nach Surendorf führte. Und allein wegen solcher Erfahrungen möchte ich niemals ein Navi haben.
Ich kann gar nicht mehr zählen, wie oft mir Ähnliches in Schleswig-Holstein schon passiert ist. Und immer wenn es geschieht, landen wir an traumhaften Plätzen. Noch bin ich nicht sicher, welches Konzept dahintersteckt. Ich tendiere zu zwei Erklärungsversuchen:
- die Schleswig-Holsteiner wollen den Heuschrecken aus Hamburg einfach nicht die besten Stellen verraten (was ich total verstehen könnte). Oder
- die jeweilige Gegend ist gespickt mit phantastischen Orten, so dass Ansässige nur alle Jubeljahre mal ihre – zwar ausgetretenen aber paradiesischen – Pfade verlassen.
Die zweite Variante kommt mir im Fall von Surendorf recht plausibel vor.
Surendorf gehört zu Schwedeneck, einer weitläufig gestreuten Gemeinde, die geographisch dem Dänischen Wohld zugerechnet wird – eine Art Halbinsel zwischen Eckernförder Bucht und Kieler Förde.
Surendorf, Schwedeneck, Dänischer Wohld
Isarnho – Eisenwald – hieß diese Gegend im 3. Jahrhundert, die aufgrund „ungünstiger Lebensbedingungen“ große Siedlungslücken aufwies – was sich bis heute im Grunde durchzieht. Noch immer gibt es keine richtigen Hotels in Schwedeneck. Sondern vornehmlich Campingplätze und „Fremdenzimmer“ (wie die Schleswig-Holsteiner es charmant ausdrücken, wenn sie privat vermieten).
An der Küste wechseln sich Buchten mit bewaldeten Steilhängen ab, hört man keinen Verkehrslärm und Kurtaxe wird nur an den Hauptstränden erhoben, die in etwa so gut besucht sind wie Scharbeutz in den 1970er Jahren. Das ist genauso unglaublich wie wunderbar. Zumal es auch ganz anders hätte kommen können.
Im zweiten Weltkrieg schufteten in Surendorf noch Zwangsarbeiter in einer Torpedoversuchsanstalt. Nachdem die Anlage nutzlos geworden war, bemühten sich 1948 verschiedene Firmen um das Gelände mit dem Versprechen, 10.000 nichtmilitärische Arbeitsplätze zu schaffen.
Wenn´s mal nicht perfekt läuft: Wer weiß, wozu es gut ist?
10.000 Arbeitsplätze, das ist eine gewaltige, gewaltige Menge in einer dünn besiedelten Region. Und sicherlich war es damals fürchterlich für die Menschen, dass die britische Militärregierung blockierte. Zumal wir hier von den Hungerjahren reden. Die Anlage wurde im Zuge der Reparationen gesprengt. Die Trümmer sind bis heute geblieben.
Und so blieb Schwedeneck unzersiedelt oder von Industrie zerstört. Anstelle nichtmilitärischer Nutzung kehrte einige Jahre später die Bundeswehr zurück, um sich u.a. wieder mit Torpedotechnik zu befassen, was einigermaßen absurd ist und ich weiß natürlich, dass die Trümmer von Torpedoversuchsanstalten und Betonbrücken nicht jedermanns Geschmack entsprechen. Aber ich habe was dafür übrig. Es ist erinnert mich an den Look der Serie Lost, für die ich ebenfalls eine Menge übrig habe.
Was mich an dem Lost-Look interessiert, ist das Geheimnisvolle. Auch Küstenabschnitte, die ich noch nicht komplett kenne, haben diese Wirkung auf mich. Und ich dachte mir, die beste Art Schwedeneck wirklich kennenzulernen, sei sicher eine Wanderung von Eckernförde nach Kiel – vielleicht mit einer Übernachtung in Surendorf. Da die Touristeninformation dort direkt am Strand sitzt, erkundigte ich mich gleich mal nach den Eckdaten.
Nicht, dass man mir in der Touristeninformation eine Auskunft hätte geben können, etwa wie viele Kilometer es von Eckernförde nach Surendorf sind oder von Surendorf nach Kiel. Auch wusste niemand, wie der Wanderweg beschaffen ist, wo er genau lang führt oder ob es Gastgeber gibt, die ihre Fremdenzimmer für eine einzige Nacht vermieten. Stattdessen bekam ich nur wieder diesen Blick, als sei ich sehr, sehr seltsam und hätte Unglaubliches gefragt. Es traf ziemlich genau mein Humorzentrum. Und das war noch so ein Grund, warum am 19.07.2017 am Strand von Surendorf einmal alles perfekt war.