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Wesselburenerkoog: Windräder & Wattknistern

Wesselburenerkoog

Die Ferienhäuser am Ende der Dammstraße im Wesselburenerkoog wirken wie eine Musterhaussiedlung in der Mohave-Wüste. Wiesen, Felder, Deiche – alles, was normalerweise grün leuchtet, ist verbrannt. Längst zählt man hier oben die regenfreien Tage nicht mehr in Wochen, sondern in Monaten…

 

Deich

Brennendheißer Nordseedeich

 

Nur wenige Autos parken am Zugang der letzte Badestelle vor der Eider. Das Strandbistro Deichkate liegt verwaist. Später wird eine „Geschlossene Gesellschaft“ erwartet. In einiger Entfernung formiert sich eine Gruppe Wattwanderer. Man erkennt es an dem Mann mit dem Spaten in der Hand, auf den sich die Leute sich sternförmig zubewegen – im gleichen Schneckentemop wie die Windkraftanlagen, die sich nirgends zahlreicher in den Himmel zu strecken scheinen als im Wesselburenerkoog.

 

Eidersperrwerk

Als wäre man auf einem fremden Planeten gelandet

 

Dithmarschen – ohnehin nicht arm an schräg-schönen und ganz schön schrägen Orten – gibt an seiner Nordgrenze noch einmal alles, was diesen Landstrich speziell macht, bevor jenseits des Sperrwerks die gefälligere Halbinsel Eiderstedt beginnt. Wer sich abseits des Mainstreams wohlfühlt, ist diesseits der Eider gut aufgehoben.

 

Badestelle Wesselburenerkoog

 

Auf der Plusseite des Wesselburenerkooges stehen: keine Parkplatzgebühren, keine Kurtaxe und eine menschenleere Badestelle – so eine Kombi ist selten an einem Sommer-Sonnabend um 10.00 Uhr. Zugegeben: die Nordsee ist mal wieder weg und wenn sie zurückkommt, wird es ganz bestimmt auch hier voller werden. Doch ich bin trotzdem ein einziges Aufatmen, als wir den ersten Schritt in die Salzwiesen tun.

 

Salzwiesen

 

Wie ein englischer Rasen sehen die Salzwiesen zwar auch nicht gerade aus, aber sie sind doch sehr viel grüner als der Rest von Norddeutschland. Dieser Anblick tut genauso gut wie die Luft, die mir nicht kühler scheint als im überhitzten Hamburg, sich jedoch deutlich frischer anfühlt.

Ich habe irgendwo gelesen, die Sommer von 2003 und 2006 wären eigentlich heißer gewesen. Interessanterweise finde ich weder in meinen Erinnerungen noch meinen Tageüchern auch nur den leisesten Hinweis darauf. Es liegt wohl daran, dass man ab einem gewissen Alter absolut nicht mehr jünger wird.

Stück für Stück entfernt man sich von der Egozentriertheit, die das Leben so schön einfach macht. Sorgt sich immer mehr um´s Große. Ganze.

 

Nordsee

 

Man liest dieser Tage ja dauernd, dass Wetter nicht mit Klima zu verwechseln ist. Aber ich finde, die Erwärmung der Welt ist so greifbar geworden mit diesem Sommer. Mit jedem wolkenlosen Tag vorstellbarer. Realer mit jedem Bericht von Fischsterben und Waldbränden und Badeverboten und braunen Blättern, die schon seit Juli von den Bäumen fallen.

 

Norddeutschland – eine Sommerdystopie

 

Gerade wer nicht als Leugner des Klimawandels in Erscheinung tritt, muss sich von diesen Gedanken ab und zu erholen. Man wird ja sonst ganz schwermütig. Und dafür ist Dithmarschen wie gemacht. Weil man hier nur einen Deich überwinden muss, um die Welt zu vergessen. Für den Moment.

 

Wattenmeer

Dithmarschen hört auf wie es beginnt, denke ich. An der Mündung eines Flußes. Mit langgestreckten Salzwiesen und Windkrafträdern am Horizont. Mit unendlicher Leere. Und diesem Moment, in dem der Streß von Wochen urplötzlich einfach von einem abfällt, als wäre nichts gewesen. Das funktioniert an der Elbmündung genau wie an der Eider. Oder irgendwo dazwischen.

 

Dithmarschen – die Nordsee zwischen Elbe und Eider

 

Es funktioniert auch in jeder Jahreszeit und bei jedem Wetter. Da muss man nur mal auf Ulrikes Blog Watt & Meer stöbern. Sie wohnt in Wesselburen, ist zur Zeit aber am Pazifik unterwegs. Ich hatte versprochen, während ihrer Abwesenheit, mal nach der Nordsee zu schauen. Urlaubsvertretung sozusagen. Und obwohl die Flut das Wasser erst in Stunden zurückbringen wird, habe ich doch das Gefühl am Meer zu sein.

 

Watt

 

Die Wattwanderer defilieren in langer Prozession an uns vorbei – weit hinaus auf den Meeresboden. Der Wind trägt noch Sprachfetzen und Kinderlachen an Land, als die Menschen schon lange zu kleinen Pünktchen geworden sind. Das Wattknistern ist lauter als die Autos in der Ferne.

 

Wesselburener Koog

 

16 Kommentare

  1. Toller Artikel, der diese „schräg-schöne“ Gegend an der Nordsee gekonnt in Szene setzt. An manchen Tagen zieht es mich auch an solche Orte (von denen es hier zwischen Harz und Heide einige gibt, nur ohne Meer) und ich bin immer wieder überrascht, was man alles im vermeintlichen „Nichts“ entdecken und erleben kann. Liebe Grüße von Andrea

  2. Das ist einfach eine wunderschöne Gegend, nur Schatten gibt es nicht 🙂 Wir sind gerade aus Finnland und Schweden zurück und hatten uns dort jede Nacht auf eine mögliche Flucht vorbereitet. Selbst auf den Felsen roch es verbrannt, weil der heiße Stein die kleinen Pflanzen verkockeln lies. Und doch haben wir den Sommer dort genossen, auch, wenn in einem Fall der Brandherd zuvor gerade einmal sechs Kilometer entfernt lag.
    Aber oft habe ich an die Schafe auf den Deichen und an die Kühe und Pferde auf den Koppeln gedacht, die in Dithmarschen ja eben keinen Schatten hatten und graue Wolken als Geschenk erleben. So hat Dithmarschen eben für jeden etwas:-)
    Liebe Grüße
    Kai

    • Na, dann welcome back, Kai. Die Brände in Schweden haben mich echt schockiert. Aber im Grunde ist das natürlich für die Natur ein Klacks gegen das, was die Zivilisation tagtäglich anrichtet. Mit grauen Wolken war hier ja über Wochen gar nichts. Es war eine Erlösung, als der Regen kam. Das ist jetzt erst 5 Tage her. Und schon vermisst man wieder die Sonne 🙂 Einen schönen Tag für Dich, Stefanie

  3. Liebe Stefanie, Du hast tatsächlich nach “meiner” Nordsee geschaut und das sogar in „meinem“ Wesselburenerkoog! Toll und Danke!
    Ich finde auch, dass man den Unterschied zwischen dem „schräg-schönen“ (klasse umschrieben) Dithmarschen und dem so viel gefälligeren Eiderstedt nirgendwo deutlicher spürt als auf den beiden Seiten des Eidersperrwerkes. Nach dem Tunnel taucht man in eine andere Welt, egal ich welche Richtung man fährt. Und es sind nicht nur die Windräder, die den Unterschied ausmachen. Bis in die späten 70iger Jahre war an der Eider die jeweilige Welt zu Ende. Wollte man auf die andere Seite (aber wozu sollte man?), gab es nur den langen Weg über Tönning.
    Der kleine blaue Bauwagen auf Deinem Foto gehört übrigens dem Kindegarten Süderdeich. Ist das nicht cool, Kindergarten in den Salzwiesen? Ich selbst bin nie in den Kindergarten gegangen, aber das hätte mir sicher gefallen.
    Und wenn Du noch mal direkt bei mir vorbei kommst, dann schau doch bitte mal ein. Ich würde mich echt freuen. Liebe Grüße aus dem endlich Regen bekommenden Wesselburenerkoog, Urike

    • Liebe Ulrike, war mir ein Vergnügen. In den blauen Kindergarten habe ich natürlich reingeluschert. Toll, muss das sein! Vor allem das Frühstück auf dem windgeschützten Picknickplatz. Wesselburen steht bei mir hoch im Kurs für einen herbstlichen Kohl-Ausflug. Dann schau ich gern mal bei Dir vorbei! Ganz liebe Grüße, Stefanie

  4. Hallo Stefanie,
    mal wieder wundervolle Text-Formulierungen (ach was sag ich da – ist ja sowieso bei deinen Blog-Beiträgen und Büchern immer so), und ganz nebenbei hast du dann auch noch sowas von Recht, „dass man ab einem gewissen Alter absolut nicht mehr jünger wird“ – leider.
    In diesem Sinne,
    moin moin!

    • Ja, das ist blöd, nech (also dass man absolut nicht mehr jünger wird). Andererseits: besser als gar nicht erst älter werden. 🙂

  5. Moin Stefanie, habe gerade eine schöne Buchung aus der Toskana erhalten. Auch dort stöbert man in Deinem Blog. Nochmal leben Dank für die Empfehlung. Herzliche Grüße von der Nordsee
    Ulrike

    • Ulrike, das ist ja schön 🙂

      Vor allem, dass Du Dir die Mühe machst, es mir zu erzählen.

      Danke Dir und ganz liebe Grüße,
      Stefanie

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