Früher – als wir Kinder vom Hamburger Speckgürtel noch am Bahnhof Zoo aus dem Zug stiegen – fand ich´s besser, in Berlin anzukommen. Schon der erste Atemzug Berliner Luft war so grundlegend anders, so typisch Berlin. Ewas, das ich heute am Hauptbahnhof kein Stück empfinde.
Neulich hab ich´s aber in Ansätzen wieder gespürt. Da hab ich Berlin wieder so gesehen wie früher: Im Grunde hübsch-hässlich. Aber gerade darum so fasznierend. Das war auf einem Streifzug vom Zoo zum Reichstag, knapp 6 km durchs Grüne; gesprenkelt mit Architektur vornehmlich der 50er Jahre.
Los ging´s im ehemaligen Schaufenster des Westens. Wer (wie wir) länger nicht in Charlottenburg gewesen ist, wird staunen. Ku´damm, KadeWe & Kranzler hatten ja ganz schön an Strahlkraft eingebüßt in den letzten Jahren. Inzwischen wird im „Alten Westen“ wieder ordentlich investiert.
Aufstrebende Neubauten: Berlin City West
Mal ganz was Ungewöhnliches für Berlin: Das sieht echt gut aus (nachdem es ein paar Jahrzehnte eigentlich unmöglich aussah). Weithin sichtbares Symbol für die Neuerweckung: das Waldorf Astoria, hier fotografiert vom Bikini Berlin.
Das Bikini Berlin errichteten die Amerikaner in den 1950ern für die Berliner Bekleidungsindustrie. Nach ein paar guten Jahren verlotterte das Baudenkmal (zu dem übrigens auch der Zoo-Palast gehört) zusehends. Seit 2014 ist es wieder elegant und beherbergt u.a. ein Einkaufszentrum bzw. eine Concept Mall.
Die Terrasse – ursprünglich ein Laubengang – hat die Berliner zur Namensgebung inspiriert. Bikini: Oben wat, unten wat, in der Mitte nüscht. Wobei „nüscht“ nüscht stimmt. Denn da ist ja dieser tolle Blick auf den Affenfelsen (und andere Gehege) des artenreichsten Zoos der Welt.
Der Zoo ist Teil des Tiergartens, eigentlich Großer Tiergarten, der mitten in der City liegt (was ja längst nicht jeder Stadtpark von sich behaupten kann.)
Mehr als ein Park: der Tiergarten
Quasi alles, was in den letzten 200 Jahren in Deutschland geschah, spiegelt sich irgendwo in der 210 Hektar großen Parkanlage. Etwa beim Schleusenkrug, wo die Mauer zwar nur imaginär verlief; aber wirksam und horizontal.
Der beliebte Biergarten in Zoo-Nähe befindet sich seit den 50er Jahren im Schleusenhaus an einer Brücke über den Landwehrkanal. Kanal und Schleuse selbst standen, wie alle Wasserstraßen, während der Teilung unter DDR-Verwaltung. So schleusten unten am Fluß Genossen die Boote. Und oberhalb der Uferböschung speisten die West-Berliner im Schleusenkrug.
Nur ein paar Schritte entfernt schwappt der der kleinste Ortsteil Berlins in den Tiergarten. Es ist auch der coolste Ortsteil, falls man auf Bauhaus steht. (Falls nicht, findet man das Hansaviertel vermutlich scheußlich.)
Das Hansaviertel
Das Südliche Hansaviertel wurde 1957 im Rahmen der Internationalen Bauausstellung unter Beteiligung des Who-is-Who der Nachkriegsmoderne realisiert. Architekten wie Aalvar Alto, Oscar Niemeyer, Arne Jacobsen und Walter Gropius streuten Bungalows, Blocks und Hochhäuser über die grüne Wiese bzw. den Nachkriegsschutt.
Seit 1995 steht das gesamte Viertel als Demonstrationsobjekt moderner Stadtplanung jener Zeit unter Denkmalschutz. Get your Guide bietet Führungen an durch die Stadt von Morgen. Die inzwischen natürlich eine Stadt von Gestern ist. Denn hier ist nichts genormt oder zu eng zum atmen.
Den Grundgedanken fasst der Kunsthistoriker Edwin Redslob zusammen:
Der freie Mensch will nicht wie in einem Heerlager leben, nicht in Häusern, wohnen, die wie Arbeiterbaracken hintereinander gereiht sind. In natürlicher Lage entstehen die Häuser ähnlich zueinander wie Menschen, die sich unterhaltend zueinander wenden oder sich betrachtend um ein Standbild stellen. Nicht in Reih und Glied, sondern in einer besseren, gelockerten Ordnung.
Man kann also doch alles haben. Mitten in der City leben und gleichzeitig mitten im Grünen. Als Sahnehäubchen auch noch an der Spree. Über den Uferweg sind es Kilometer bis zum nächsten Nachbarn; dem Präsidenten auf Schloß Bellevue.
Das Schloß brannte im Krieg aus und wurde in den 50ern derart ahistorisch renoviert, dass es als Mischung aus Filmstar-Sanatorium und Eisdiele verspottet wurde. Man hat es inzwischen korrigiert; zwei Salons im Fifties-Look aber ihrerseits wieder unter Denkmalschutz gestellt. Muss ich mir unbedingt mal angucken.
Etwa ab der Kongresshalle spaziert man vom Berlin der 50er in das heutige Berlin. Im Vergleich wirkt das Bundeskanzleramt auf mich voll yesterday. Aber wer weiß, vielleicht stürzt es dafür nicht ein?! (Eben das ist der Schwangeren Auster 1980 passiert, weswegen sie seit 36 Jahren renoviert wird. Die Berliner sind wirklich witzig, was Baumaßnahmen betrifft.)
So ein Fluß tut ja viel für seine Stadt, denkt man unten am Spreebogen. Eine Stadt aber nicht immer was für ihren Fluß. Den Uferweg mit Blick zum „neuen“ Hauptbahnhof finde ich noch steril und beliebig. Betonung auf noch.
Es fliegt einen nämlich schon die Ahnung an, dass das alles mit ein bisschen Patina und Abstand irgendwann mal nett werden könnte.
Im Moment ist man noch erleichtert, wenn man hinter der unendlichen, leblosen Wiese, die sich Spreebogenpark nennt, endlich wieder auf Menschen trifft. Das Beste am Selfie-Spot No. 1. von Deutschland: hier hält u.a. die weltberühmte Linie 100. Mit ihren Bussen ist man ruckzuck zurück am Zoo.
Wie witzig Stefanie,
Jetzt habe ich auch den Architekten von der Nußbaumallee gefunden.
Werner Düttmann, der hat auch das Brückemuseum entworfen.
Was Du so alles offenlegst.
Liebe Grüße
Mari
Finde ich natürlich auch ganz besonders spannend. Nächstes Mal will ich unbedingt nach Dahlem (kenne ich eh nicht). Grüße, Grüße!
Du hast recht, Berlin zeigt sich wirklich sehr kontrastreich. Hat sehr schöne Ecken und welche, mit denen ich mich so gar nicht anfreunden kann. Aber ich mag die Berliner total! Sie sind witzig und haben das Herz am rechten Fleck. Jedenfalls die, die ich kenne.
Liebe Grüße, Martina
Geht mir auch so. Entspannte Bande. Liebe Grüße zurück, Stefanie
Liebe Stefanie,
natürlich können die Bilder mit denen von Nord- und Ostsee nicht mithalten, aber die ganze Ecke, die Du beschreibst, ist seit knapp 6 Jahren mein Berliner Kiez, und ein bißchen was Schönes hat er auch. Im Schleusenkrug haben wir schon 2006 das WM-Finale geguckt, das Bikini macht Werbung damit, gegenüber der Gedächtniskirche zu liegen, in der ich mit dem Bach-Chor alle 2 Wochen eine Bach-Kantate singe, und eine Freundin von mir wohnt im Hansaviertel, im Hochhaus Nr. 9 von van den Broek und Bakema. Die Wohnungen sind übrigens super geschnitten, die meisten durchgesteckt von Nord nach Süd, von innen ist alles noch schöner als von außen. (NB: Bis zum nächsten Nachbarn sind es nicht „Kilometer“, sondern ist es nicht einmal ein Kilometer). Was mich am Spreebogen jedes Mal aufs Neue erstaunt und warum ich ihn trotz mancher Häßlichkeit sehr liebe: Es gibt keine Absperrung zum Wasser, und es gibt nicht einmal eine Warnung, obwohl der Weg nur wenige Zentimeter über dem Wasserniveau liegt. Man könnte beim Gehen einfach in die Spree fallen oder mit dem Rad geradewegs hineinfahren.
Liebe Dorothea, „ein bisschen was Schönes“ ist die Untertreibung des Jahrhunderts. Wirklich eine Wahnsinns-Ecke, in der Du da lebst. Und Ihr habt auch so schönes Wetter 🙂 Liebe Grüße, Stefanie
Also ich find diese Neubauten allesamt einfach nur scheußlich (wobei ich Pauschalurteile natürlich STRIKT ablehne).
Und in Berlin anzukommen – selbstverständlich mit der Bahn und ihrem unnachahmlichen Reichsbahngeruch, der dann am Bahnhof Zoo unvermittelt in die von Dir erwähnte „andere Luft“ überging – war nur bis Anfang der 90er-Jahre eine Offenbarung (wobei ich nach spätestens 3 Tagen das Wiederwegfahren auch immer ziemlich klasse fand).
Kurz: Ich nehme das In-der-Nähe-bleiben – zumindest wenn es um Berlin geht – dann doch lieber ganz wörtlich, bleibe in Hamburg und lese Eure Berichte aus der weiten, eigenartigen Welt da draußen.
Grins. Das ist das Schöne an Blogs – man erfährt auch, was man NICHT sehen möchte. Ohnehin bei dem Schnee… da will ja keiner raus. Trotzdem schönen Sonntag!