Beim Stichwort »steigende Meeresspiegel« denke ich immer an die Nordsee. Aber neulich in Arnis wurde mir so richtig bewusst, dass der Klimawandel auch an der Ostseeküste nicht besonders witzig werden wird. Sie ist ja nicht so hermetisch eingedeicht wie die Westküste. Und viele Menschen leben hier dicht am Wasser ohne großartig schützendes Vorland.
Gerade im nördlichen Schleswig-Holstein, also zwischen Flensburg und Kiel, wirkt die Küste ungeheuer filigran. Kleine, zerbrechliche Halbinseln und Landzungen strecken sich ins Meer. Lange, schmale Meeresbuchten, die Förden, ziehen sich weit ins Land hinein. Die längste und schmalste Förde ist mit gut 40 km die Schlei. Man müsste also nicht mal in der Nähe des Meeres wohnen, um von steigenden Wasserständen direkt betroffen zu sein.
Und eben an der Schlei liegt auch Arnis. Viel mehr in der Schlei. Denn die kleinste Stadt Deutschlands ist auf einer Landzunge erbaut. Auf einer historischen Luftaufnahme des virtuellen Klassenzimmers Schleswig kann man es super erkennen. Arnis besteht im Wesentlichen aus einer langen Straße (die konsequent Lange Straße heißt).
Die Häuser in der Langen Straße müssen ganz ohne Vorgarten auskommen. Nach hinten aber reichen die Grundstücke, die alle ungeheuer lang sind und exakt 10 m breit, bis ans Wasser. Ein umlaufender Pfad trennt die Gärten von den privaten Badestellen und Bootsstegen der glücklichen Besitzer.
Efeuumsponnene Dächer
Leuchtend im Lindengrün
Trauliche Wohngemächer,
Gärten, wo Rosen glühn!
Rauschend flattern am Strande
Flaggen und Wimpel frei
Du bist die Schönste im Lande
Arnis, Du Perle der Schlei
Arthur Witt
Normalerweise kann man auf dem erwähnten Pfad „Arnis rund“ laufen. Ich habe das hier schon einmal beschrieben. Aber als ich neulich in Arnis war, hatte es zuvor viel geregnet, so dass die Pfützen sich zu kleinen Seen vereinigten. Und der Wind hatte ordentlich Ostseewasser in die Schlei gedrückt. Ohne Gummistiefel war „Arnis rund“ nicht zu machen.
Arnisser schätzten die Lage an jenem Tag nun sicher nicht als auch nur ansatzweise bedrohlich ein. Man ist hier ganz Anderes gewöhnt. Das las ich am Flutpfahl ab. Das schwerste bekannte Ostseehochwasser war die Sturmflut von 1872. Zwischen Dänemark und Pommern verloren 271 Menschen ihr Leben und die materiellen Schäden waren gewaltig. Am schlimmsten traf es Eckernförde. Die Stadt liegt ganz in der Nähe von Arnis.
Seit 1872 hat der Arnisser Flutpfahl fünf weitere Markierungen erhalten. Sechs Sturmfluten also in knapp 150 Jahren. Das kann man vielleicht noch wegstecken. Verschiedene Studien gehen aber nun davon aus, dass es ab 2050 zu jährlichen Überflutungen kommt. Die Prognosen des Meeresspiegelanstieges liegen zwischen optimistischen 30 Zentimetern und mehr als anderthalb Metern bis zum Ende dieses Jahrhunderts.
Auf interaktiven Überflutungkarten lässt sich auf den ersten Blick erkennen, dass die Lage an Nordseeküste weitaus dramatischer ist als an der Ostsee. Aber wenn man mal näher ranzoomt, werden auch an den Ostseeküsten drastische Veränderungen sichtbar. Den Szenarien nach werden in Angeln zukünftig so gut wie alle meine Lieblingsorte regelmäßig von Ostseehochwassern betroffen sein. Etwa Holnis, Habernis, die Geltinger Birk, Maasholm und natürlich Arnis.
Arnis liegt wie ein Schiff im Wasser
Am Ende saß ich noch eine Weile auf einer Bank an der Spitze der Landzunge. Sie ist an dieser Stelle nicht bebaut und durch eine Kaimauer geschützt. So hat man das Gefühl auf dem Bug eines großen Schiffes zu sitzen. Nur ist eine Stadt natürlich kein Schiff. Und da kam mir das positivste aller Szenarien, also ein Meeresspiegelanstieg von lediglich 30 cm, gar nicht mehr besonders positiv vor.
Zuhause habe ich mal nachgesehen. Würden die zwei größten Kreuzfahrtschiffe der Welt, die Schwestern »Symphony of the Seas« und »Harmony of Seas« hintereinander in Arnis festmachen, wären sie ziemlich exakt so lang wie die Stadt selbst. Nebeneinander sind sie beinahe genauso breit. Das scheint doch ziemlich monströs.
Der Klimawandel macht viele Menschen ratlos. Es ist kompliziert, das eigene Leben umzustellen, um den Irrsinn nicht noch weiter zu befeuern. In manchen Bereichen sogar unmöglich. Aber manchmal ist es auch leicht und damit kann man ja mal anfangen. Wenn ich mir nämlich in einer Sache sehr sicher bin, dann dies: Arnis ist besser als das größte Kreuzfahrtschiff der Welt. Und der Besuch viel weniger klimaschädlich.
Weiterlesen: Tipps für Arnis
Arnis im Sommer oder wie Susanne aus dem Südharz den Norden sieht.
Die Stille von Arnis im Winter beschreibt Ina ganz wunderbar auf ihrem Blog küstennah.
In der Tat: Arnis ist einer der schönsten Flecken an der Schlei zum „Seele baumeln lassen“. Die Inschriften auf den verwitterten Grabsteinen des in der Nähe der Schlei gelegenen Friedhofs erzählen spannende Geschichten. Und die alte Kirche mit dem hölzernen Glockenturm strahlt eine unfassbare Ruhe aus.
Die für mich schönsten Tage in Arnis waren aber immer das August-Wochenende, an dem „Musik am Noor“ stattfand und man zu toller Live Musik in Paulsens Werfthalle oder am Steg sitzen konnte. Leider fand der Event in diesem Jahr zum letzten Mal statt: Stetig steigende Besucherzahlen, zu viele behördliche Auflagen. Sehr schade.
Echt Charlotte? Die Veranstaltung wird wegen zu vieler Besucher beendet? Ist also auch keine Lösung, wenn alle immer in der Nähe bleiben. Die Welt ist echt kompliziert!
Herzlichen Dank für die (wieder einmal) schönen Fotos und den tollen Bericht. Glücklicherweise verfügt die Schlei über einen einzigen Zugang zur Ostsee. Bevor Maasholm und Arnis untergehen, wäre es denkbar, in Schleimünde eine Anlage ähnlich dem Eidersperrwerk zu errichten. Das wäre zwar hässlich und würde die am Nordende der Schlei gelegenen Yachtwerfen und Seglerhäfen beeinträchtigen, könnte aber das Land, seine Bewohner und deren Zuhause schützen.
Wie interessant, Max. (Aber dennoch: mein schönes Schleimünde…. 🙁
Hallo Stefanie,
wie immer ein sehr informativer Reisebericht der Lust auf „nix-wie-hin“ macht, sehr schön.
Deine große Sorge darin kann ich jedoch nicht zu 100% teilen. Die in letzter Zeit extreme Berichts- und Studien-Häufung bzgl. des Klimawandels halte ich für leicht überzogen. Jede neue Studie bringt katastrophalere Ergebnisse hervor, ansonsten würde sie auch wohl zurzeit wenig Beachtung finden oder erst gar nicht wieder beauftragt…
Zum Arnisser Flutpfahl fällt mir noch der Flutpfahl der Hallig Langeneß ein. Der zeigt ähnlich viele (oder wenige Einträge) wie in Arnis, der höchste Wasserstand liegt auf der Hallig schon fast 200 Jahre zurück (1825), der zweithöchste 1976, da gab es das Thema Klimawandel noch garnicht.
Ich sehe das alles ein wenig entspannter, so wie Fiede Nissen und der überwiegende Teil der Halligbewohner es auch heute noch sehen (siehe Video):
http://www.youtube.com/watch?v=xqrmYyrLr6Y
Liebe Stefanie, genieße weiterhin den schönen Norden und erfreue uns immer wieder mit deinen wundervollen Reiseberichten.
Moin von der Hallig Langeneß, Helmut
Ein wahrer Bürgermeister! Tolles Filmchen; vielen Dank.
Wichtiges Thema, das man im Sommertaumel gern verdrängt und danke für’s Verlinken. Grüße aus dem Südharz!
Naja – kommt immer drauf an, wie Du anreist, wenn Du Arnis besuchst 😉 aber insgesamt ist das natürlich richtig, besser als eine Kreuzfahrt ist eh fast alles!
Guckmal, kennst Du dies: https://www.ndr.de/geschichte/schauplaetze/So-wurde-aus-Arnis-Deutschlands-kleinste-Stadt,arnis150.html
gibts auch mit anderen Städten, und die Schieberegler sind toll!!!!! 🙂
Cooler Link, Fjonka – vielen Dank. (Die Reihe kenne ich. Aber Arnis noch nicht.)
Kreuzfahrten sollte man in der Tat meiden, wenn man sich einigermaßen klimafreundlich verhalten möchte:
https://utopia.de/ratgeber/kreuzfahrten-kreuzfahrtschiffe/
Danke für den Link!
Danke für den schönen und interessanten Beitrag! Und für die Links zu Beiträgen Deines Blogs aus der Zeit vor unserer Blogbekanntschaft … LG, Lotte
Holnis… ja, ja… schon 5 Jahre her, dass ich die Halbinsel kennengelernt habe. Könnte da ständig hin. (War auch schon ein paar Mal wieder).
[…] Zeiten war es ausschließlich Holmer Fischern erlaubt, zwischen Arnis und Schleswig zu fischen. Heute lohnt sich das nicht mehr so richtig. Wo früher 120 Männer ihr […]