Unsere letzten Stunden in Nordengland verbrachten wir in Lytham St. Annes, einem altmodischen Seebad in Lancashire.
Als wir aus dem Auto stiegen, steuerte ein älterer Herr auf mich zu. Er war wie aus dem Ei gepellt. Einer von der Sorte, bei der man denkt, er habe sich ausnahmsweise fein gemacht. Vielleicht Landwirt, dachte ich. Weil er so aussah, als gehöre er zum Ensemble von „Der Doktor und das liebe Vieh“.
Ob ich ihm behilflich sein könne, fragte er und zeigte zum Parkautomaten. „Ich bekomme es leider nicht hin. Ich habe so etwas nämlich noch nie bedient.“
Ich murmelte etwas von „complete stranger myself“ und hoffte inständig, dass das Ding bei mir funktionieren würde. Ich wollte diesen Herren, der noch nie in seinem Leben ein Parkticket gezogen hatte, auf gar keinen Fall enttäuschen.
Er reichte mir die abgezählten Münzen. Seine Hände waren nicht die Hände eines Schreibtisch-Mannes. Das Ticket zu ziehen, bekam ich tiptop geregelt. Es war ein ganz normaler Parkautomat.
Als er mich dafür überschwänglich lobte und mich „my love“ nannte und sagte, ich habe seinen Tag gerettet, denn ohne mich hätte er zweifelsohne den wunderschönen Nachmittag auf dem Parkplatz verbringen müssen – rührte mich das halb zu Tode.
Und ich wurde leicht wehmütig. Weil dies unser letzter Spaziergang in Nordengland war.
Am Strand von St. Annes
Es war wirklich ein wunderschöner Nachmittag. Warm und windstill. Auf der Promenade reckten vereinzelte Herrschaften die Gesichter zur Sonne wie zufriedene Wasserschildkröten.
Ein Schild am Strandzugang verbot das Mitbringen von Alkohol. Blackpool schien nicht Meilen sondern Lichtjahre entfernt.
Und ich dachte an die vielen Mini-Bekanntschaften, die wir in den vergangenen Tagen gemacht hatten. Nur kurze Gespräche zumeist. Doch die hatten uns so seltsam nachdrücklich berührt.
Kürzeste Liebe, hat Ringelnatz das mal genannt.
Vom Pier her wehte gedämpftes Kreischen an mein Ohr. Zunächst dachte ich an aufgeregte Möwen.
Aber im Näherkommen wurde mir klar, dass es sich um Gitarren handelte. Jemand musste dort drinnen die Boxen auf Anschlag gedreht haben. Jemand der Heavy Metall liebte.
Wie beinahe jeder Pier in Nordengland beherbergt auch das Schmuckstück von St. Annes eine überdimensionierte Automatenspielhalle. Sie war vollkommen verwaist.
Und das war wieder so ein typisch englischer & herrlich irritierender Moment, der gleichzeitig seine Logik hat. Das Klientel in St. Annes scheint nicht unbedingt aus Headbangern zu bestehen.
Warum man Engländer lieben muss
Man kann die Engländer natürlich nicht alle über einen Kamm scheren. Das gilt für jedes Volk. Für die Engländer aber ganz besonders. Weil sie über die Maßen individuell sind.
Grundsätzlich hüte ich mich davor, Leute anzustarren. Treffe ich, sagen wir mal, Herbert Grönemeyer auf der Straße, gucke ich in die andere Richtung.
Doch in England habe ich mich immer wieder ertappt, meine Augen einfach nicht abwenden zu können. Manchmal blieb mir sogar der Mund offen stehen. Diese Gesichter. Diese Attitude. Diese Outfits. Ihr gesamtes Leben scheint sich in ihrem Äußeren zu spiegeln. Schön, wäre das falsche Wort.
Aber genau so muss Beethoven das gemeint haben, mit seiner Ode an die Freude: Deine Zauber binden wieder, was die Mode streng geteilt.
Einen guten Eindruck bekommt man immer im April beim Ladies Day in Aintree. (Besonders Frauen gefällt es sicher, das mal anzuklicken.)
Und apropos Ode an die Freude. Vor unserer Englandreise hat mich die Europaskepsis der Briten immer irgendwie empört. Jetzt finde ich es eher schade, dass sie nicht so richtig dazu gehören mögen.
Ich sag nicht mehr: Sollen sie doch austreten. Dann werden sie schon sehen, was sie davon haben. Sondern hoffe das Beste.
Wir möchten auf jeden Fall noch einmal wiederkommen; in den Norden im Westen. Irgendwann.
Bis dahin lese ich bei Steffi mit, die ganz wunderbar über die Erfahrungen einer Berlinerin in Yorkshire schreibt.
Der Vergleich mit den Wasserschildkröten ist ein Traum!
Ja, ja. Wer Glück hat kommt irgendwann ins Wasserschildkröten-Alter.
Liebe Stefanie,
ich bin hingerissen. Ich war auf der Suche nach ein paar Informationen zu Kopenhagen und was man ein paar Tage drum herum so machen kann, bin bei Dir auch fündig geworden und dann entdecke ich das: Mein England. So wie Du weißt, dass Du eigentlich eine Dänin bist, bin ich mir sehr sicher, mein anderes Ich ist eine Engländerin. Deshalb danke ich Dir für diesen Bericht der mich daran erinnert, warum es neben meinem Mann diese andere große Liebe in meinem Leben gibt und ich sie schnellstens einmal wieder besuchen muss.
Hallo Jule, das ist aber ein schöner Kommentar. Vielen Dank. Ich drück die Daumen, dass schnellsten mit Deiner zweiten Liebe klappt (mit der ersten dann im Gepäck ist es ja noch mal besser). Wir zählen auch schon die Tage (17) bis Wales. Vielleicht sehen wir uns ja dann hier wieder?! Würde mich freuen. Liebe Grüße, Stefanie