Ausgehen, Der Mai im Norden, Niedersachsen, Norddeutschland
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In Niedersachsen wird zusammengegessen: Verenas Flying Table

Vor ziemlich genau 4 Jahren erhielt ich eine E-mail mit dem Entwurf eines Entwurf eines Flyerentwurfs. Ob ich mal drüber schauen könnte, fragte Verena. Und was ich so ganz grundsätzlich von ihrer Idee eines Supper Clubs hielte.

Das war im April 2011. In London und Berlin vermehrten sich Underground Restaurants, Home Bistros und Guerilla Diners gerade wie Mücken nach einem Sommergewitter. Dass die Leute Lust drauf hatten, wir mir schon klar. Doch Verena wollte das Ganze nicht in einer Großstadt aufziehen – sondern mitten in Niedersachsen. Ob das Konzept auch im ländlichen Raum aufgehen würde, schien durchaus ein paar Bedenken wert.

Guglhupf

 

Verena ist aber nicht der Typ für Bedenken. Nur 3 Monate später ging My Flying Table in Wildeshausen an den Start. Und bis heute ist nicht ein einziger Platz frei geblieben.

Seit 4 Jahren öffnet Verena 4 mal monatlich ihr Zuhause, um für 10 Gäste zu kochen. Eine Art analoger Food-Blog könnte man sagen. Verenas Dashbord – die Küche – öffnet sich zum Wintergarten, wo die Leute an einer langen Holztafel zusammensitzen. Manchmal kennen sie einander. Meistens nicht.

Anfangs, als Verena noch für möglich hielt, die Anfangseuphorie können sich als Strohfeuer entpuppen, bot sie sogar bis zu 8 Termine im Monat an. Auch die waren stets ausgebucht. Doch das ließ sich auf die Dauer nicht mit ihrem eigentlichen Beruf als Stewardess vereinbaren.

 

Alte Apotheke

 

Letzte Woche hat Volko mal wieder frische Fotos für Verena geschossen. Ganz ohne Foodstylisten-Tricks wie Haarsprayglanz oder Rasierschaum-Creme mussten die beiden zwei Tage im Akkord arbeiten. Echtes Essen sieht ja nicht ewig appetitlich aus.

Und echtes Essen will gegessen werden. Das war dann mein Part. Ansonsten hatte ich nichts anderes zu tun, als ab und zu den Aufheller zu halten. Was soll ich sagen? Ich hatte schon schlechtere Jobs.

 

FlyingTable

 

In der übrigen Zeit ich saß im Garten und machte mir Gedanken. Über Verenas Erfolgsgeschichte im Allgemeinen und Niedersachsen im Speziellen.

Was ist eigentlich mit Niedersachen?

Die norddeutschen Bundesländer sind für mich alle sehr spezifisch. Schleswig-Holstein ist das Schönste, meine Heimat. Hamburg ist die große Freiheit und mein Zuhause. Bremen die kleinere, sensiblere Schwester. Und in Mecklenburg-Vorpommern scheint der Wind die Kindheitserinnerungen meiner ostpreussischen Großmutter zu flüstern. Das nördliche Sachsen-Anhalt ist königlich romantisch. Das nördliche Brandenburg wie ein Spätsommernachmittag am See. Und Berlin ist natürlich Berlin.

Nur bei der Charakterisierung Niedersachsens tue ich mich schwer.

Gartenhaus

 

Niedersachsen ist so wahnsinnig groß und vielfältig, dass ich einfach nicht den Finger drauf legen kann. Fragt man die Niedersachsen selbst, fällt ihnen auch nicht so viel dazu ein. Niedersachsen empfinden sich oft gar nicht in erster Linie als Niedersachsen. Ihr Lokalpatriotismus scheint kleinteiliger.

Niedersachsen sind Altländer, Wendländer, Ostfriesen. Ihre Heimat ist die Lüneburger Heide, der Harz oder das Emsland. Sie leben „in der Nähe von Hannover“, „in der Nähe von Bremen“ oder „in der Nähe von Hamburg“.

Was sie alle verbindet, habe ich mich lange gefragt. Die Niedersachsen sprechen ja nicht einmal einen gemeinsamen Dialekt. Höchstens die, die um Bremen herum wohnen.

 

Jakobsmuscheln

 

Und da befand ich mich ja nun gerade. Wildeshausen, die Kleinstadt an der Hunte, präsentierte sich aufgeräumt und frühlingsfrisch. Sogar die Jugendlichen hatten etwas frisch Gewaschenes. Wie sie sich da mit ihren mit Maigrün geschmückten Bollerwagen durch die Gegend tranken, schien es mir undenkbar, sie könnten jemals absichtlich etwas zerbrechen oder sonstwie marodieren. Die wollen nur spielen, dachte ich.

Und da wurde mir auf einmal klar, dass Verena instinktiv (ganz ohne Marktforschung) genau erfasst hatte, was Niedersachsen wollen: Sie wollen es sich einfach gut gehen lassen. Und sind die dabei die geselligsten Norddeutschen, die ich kenne. Insofern könnte man sie als die Italiener Norddeutschlands bezeichnen.

Das hat Verena genutzt. Statt szenige Gastro-Konzepte aus den Metropolen dieser Welt zu kopieren, hat sie etwas Eigenes kreeiert. Sie hat sich ganz der Gastlichkeit verschrieben. Sie macht, dass man sich bei ihr wohlfühlt. Wie sie das konkret anstellt? Keine Ahnung. Es ist ihr ganz spezielles Talent.

 In Niedersachsen wird zusammen gegessen

Verena Kleffner Ein Abend am My Flying Table hat etwas von einem fröhlichen Festessen in einer italienischen Großfamilie. Und zwar eben nicht der Mafia-Sippe aus der Bronx. Sondern der buntgemischten Truppe auf dem Landsitz. Das sitzt der Knecht neben dem Patron und dem mißratenem Sohn. Bildlich gesprochen.

Eitelkeiten und Gedöns funktionieren vielleicht, wo es massenhaft Laufkundschaft gibt. Aber wenn es auf Stammkunden ankommt, muss die Qualität stimmen. Das Essen muss gut sein. Der Gast muss sich wohlfühlen. Punkt.

Und wo jeder jeden kennt, müssen die Dinge ihre Ordnung haben: Guerilla geht nicht in einer Kleinstadt? Dann wird eben eine Konzession besorgt. Wird den Behördenmitarbeitern so oft & so lange erklärt, was ein Privatrestaurnt ist, bis sie´s ok finden. Und genehmigen. Wird brav eine Hygiene-Schulung bei der IHK absolviert. Wird ein Bad als Kunden-WC umfunktioniert. Wird das Gesundheitsamt empfangen usw. usf.

In Niedersachsen wird gemacht und nicht geredet

Am ersten offiziellen Flying Table versammelten sich noch Freunde und Bekannte. Dann kamen die Bekannten der Bekannten. Und während in Frankfurt und Hamburg und Köln die Leute noch sagten: ach ja, Supper Club, das wollte ich auch schon immer mal ausprobieren… rannten die Bekannten der Bekannten der Bekannten Verena die Tür ein. Und dann kamen die Unbekannten.

Mittlerweile hatte sich die Presse eingeschaltet. Erst der lokale Anzeiger, dann überregionale Zeitungen und Zeitschriften, schließlich Fernsehen und Radio. Heute begrüßt Verena  längst nicht mehr nur Gäste aus Wildeshausen und „um zu“ sondern auch aus allen anderen Gegenden, Städten oder Ländern.

Aber die Wildeshauser kommen trotzdem noch. Allerbestes Zeichen das.

 

Mangomozzarela

Dabei ist ein Abend am My Flying Table kein billiges Vergnügen. 65 Euro kostet es pro Person. Zuzugülich der Getränke. Dafür bekommt man sechs fein abgestimmte Gänge – immer eine Ode an den aktuellen Monat. Man könnte also theoretisch alle 4 Wochen kommen und stets etwas ganz Neues erleben. Praktisch ist das aber nicht möglich. Verena ist in der Regel ein gutes halbes Jahr im Voraus ausgebucht. Auch das war von Anfang an so.

Niedersachsen lassen sich nicht lumpen

Für die Getränke ist Timo zuständig. Wie hinter vielen erfolgreichen Frauen, steht auch hinter Verena ein starker Mann. Konnte er zu Beginn eigentlich keine weiteren Kenntnisse vorweisen, als Fliesen zu verlegen und Airbusse zu steuern, geht er ihr heute als Sommelier zur Hand. Jedenfalls wenn er nicht gerade mit der Pilotenbrille auf der Nase durch die Welt kajukelt.

Ist das nicht seltsam: Verena und Timo fliegen ständig an die schönsten und aufregendsten Orte. Aber sie freuen sich wirklich und ehrlich und am meisten, wenn sie zuhause Gäste bewirten dürfen. Und das merkt man!

Marinierte Heringe

Am My Flying Table is(st) man was Besonderes

Logischerweise habe ich das Ganze auch schon mal ausprobiert. Mit gemischten Gefühlen zunächst. Was Smalltalk angeht bin ich in etwa so begabt wie Ebenezer Scrooge. Vor seiner Läuterung. So ein Essen mit Fremden hatte ich mir ehrlich gesagt irgendwie anstrengend vorgestellt.

Das war es aber ganz und gar nicht. Höchstens für die Gastgeberin. Denn am Ende saßen wir bis nachts um 2.00 Uhr. Der Gesprächsstoff hätte auch noch länger gerreicht.

Unter den Gästen: Ein Springreiter aus Manchester (ich liebe Manchester). Die beste Freundin der Ex-Freundin des Gastgebers (hochspannend). Dann war da ein Paar aus der Gegend, das Milchwirtschaft betreibt (ich hatte 1.000 Fragen). Und ein Paar 70+, das sich im Internet kennengelernt hatte (voll süß). Weiter eine Radiomoderatorin aus Bremen (die an diesem Abend ein Feature produzierte). Und Volko (der für mich ja sowieso was Besonderes ist). Demnach war ich die einzige Normale, Durchschnittliche. Dachte ich. Komischerweise fanden die anderen mich aber genauso interessant wie ich sie.

Merke: Man darf ruhig ein bisschen schüchtern sein, wenn man zu Verena kommt. Die anderen Gäste sind in der Regel offen genug, um Berührungsängste zu nehmen. Und wenn nicht, kümmert sich die Chefin selbst drum.

MyFlyingTable

In diesem Sinne scheint mir My Flying Table ein bisschen zu sein wie Niedersachsen selbst. Ich meine, wenn man in Hamburg einen Supper Club besucht, wird man in der Regel auf Menschen treffen, die in etwa aus den gleichen sozialen Bezügen kommen.

In einem riesigen Bundesland, das zu 82% aus Wald und Weiden besteht, ist es aber nicht so leicht möglich, sich in seiner Komfortzone zu verschanzen. Das bringt Vielfalt statt In-Group-Verhalten. Denke ich mir.

Falls man also Niedersachsen kennenlernen will, ist ein Essen bei Verena & Timo ein guter Anfang. Zum My Flying Table geht´s hier lang: Klick.

Und falls gerade ein echter Niedersachse und/oder Auskenner mitliest, wäre ich sehr interessiert an weiteren Tipps. Was ist speziell und typisch bei Euch da im Süden? Ich kenne nämlich noch viel zu wenig (von) Niedersachsen.

myflyingtable

PS.: Leider hat sich mein fb-Ausbilder nach Sizilien abgesetzt. Jetzt muss ich ganz allein gucken, wie und ob das geht. Falls ich offensichtliche, voll bescheuerte Fehler mache, bin ich für Hinweise sehr dankbar.

13 Kommentare

  1. Was für ein schöner Bericht, liebe Steff! Es freut mich insbesondere, das auch solche Sozialphobiker wie ihr Spaß an meinem Flying Table hattet. Der Tisch lebt durch unsere Gäste und kein Flying Table ist wie der andere. Ich bin gespannt auf das, was kommen mag. Danke für die liebe Beurteilung, die mir die Tränen in die Augen getrieben hat. ❤️❤️❤️

  2. Das ist ein wunderschöner Beitrag mit traumhaft schönen Bildern! Der macht richtig Lust auf den Flying Table! Und was die Niedersachsen angeht – ich denke auch, dass es kaum gemeinsame Merkmale für ganz Niedersachsen gibt. Wenn man mich fragt, wo ich herkomme, würde ich immer erst die Lüneburger Heide nennen. Zu Niedersachsen fällt mir spontan eine Zeile aus dem alten Niedersachsenlied ein: „sturmfest und erdverwachsen“. Heute würde man wohl eher von „gradlinig und naturverbunden“ sprechen, und das finde ich typisch für den ganzen Norden.

    • Danke für Deinen Kommentar, Ulrike. Du bist also aus der Lüneburger Heide. Daher wohl Dein Spezial-Händchen für Tiere (und Pflanzen)!? Gradlinig und naturverbunden klingt schön, finde ich. Ist auch ganz praktisch – so beim Deichbau. Liebe Grüße, Stefanie

  3. Tamara Weishaupt-Bülk sagt

    Bin ich froh, dass ich wieder dabei bin. Das ist ein ganz toller Bericht und ich kann dem nur zustimmen, zumindest was die Gastgeber und das Essen betrifft.
    Die Bilder haben mir wieder solch einen Appetit gemacht!
    Niedersachsen ist mir noch ein wenig fremd, mit Ausnahme des Heidschnuckenweges
    und natürlich Wildeshausen.

    Liebe Grüße
    Mari

    • Ja, sie müssten einem einfach mehr zeigen, die Niedersachen, nech? Und willkommen zurück. Schön, dass Du wieder da bist.

  4. Liebe Stefanie,

    das war ein sehr schöner Beitrag, der mir wirklich gut gefallen hat. Hut ab vor dem Verena da aufzieht.

    Sonnige Meeresgrüße,
    Claudia

    • Natürlich sollte es heißen, Hut ab vor dem „was“ Verena da aufzieht. Wie du siehst, auch andere machen Fehler. 😉

      • Zum Glück wird man durch Fehler ja klug 🙂

        Ich finde es auch irre, wie Verena das hingekriegt hat. „Einfach machen“ war glaube ich das Wichtigste daran.

        Meeresgrüße zurück; hoffe Ihr habt Pfingsten was Schönes vor?
        (Wir werden „kurz hinter Ohrfeld“ logieren.)
        Stefanie

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