Regen klopft an die Fenster und erinnert mich, dass der Sommer in Schleswig-Holstein nicht ewig ist. Das hatte ich beinahe vergessen. Scheint die Sonne doch in meinem Empfinden seit mindestens Februar. Jetzt aber ist der Himmel düster. Und an der Schlei kann das alles bedeuten. Mag sein, in einer Stunde ist der Himmel wieder blau. Mag genauso gut sein, dass er sich für die nächsten vier Wochen in eine Bleiplatte verwandelt. Eins steht fest: Der Norden ist nix für allzu wetterfühlige Seelen.
Als ich auf der überdachten Terrasse meinen Kaffee trinke, hüpft eine kleine, fette Kröte an mir vorbei auf der Suche nach einem trockenen Plätzchen im Mauerwerk. Das Wetter, so sinniere ich, kann man sich ebenso wenig aussuchen wie seine Familie. Manche Leute müssen sich mit Verwandten arrangieren, denen sie nicht einmal im Mondschein begegnen möchten. Andere haben Leerstellen zu verkraften und schlagen sich ihr Lebtag mit Phantomschmerzen herum.
Ich beispielsweise spüre eine schmerzliche Lücke an der Position, auf die eigentlich eine stinkreiche, kinderlose, umgängliche Erbtante mit Anwesen an der Schlei gehört. Nicht einmal sämtliche meiner Tanten zusammengenommen können alle Attribute auf sich vereinigen. Es fehlt: Das Anwesen an der Schlei.
Aber man muss das auch mal so sehen: Wer kein Haus in Meeresnähe besitzt, kann davon träumen. Träume sind ja manchmal besser als die Realität. Gut möglich, dass das für Port Olpenitz gilt.
Das alte Olpenitz ist ein schnuckeliges Dorf an der Schleimündung. Früher war gleich nebenan die Marine stationiert. Nachdem – eine ökonomische Katastrophe für Kappeln – vor zehn Jahren der Stützpunkt geschlossen wurde, träumten Investoren sich einen Dubai-mässigen Alptraum zurecht.
Mehr als 1.000 Häuser und mehrere Hotels sollten auf dem 16 Hektar großen Gelände zwischen Schlei und Ostsee entstehen. Der Traum zerplatzte. Wird aber in bescheidenerem Umfang weitergesponnen.
In aller-, aller-, allerschönster Lage entstehen im „Port Olpenitz“ seit einigen Jahren Ferienhäuser. Respektive „Wertanlagen“. Wertanlagen scheinen mir persönlich immer eine blöde Sache. Weil sich Wertanleger einen shice-Dreck um Umwelt und Ästhetik zu scheren scheinen. Zumal wir in Olpenitz von einem „Resort“ sprechen. Allein die Begrifflichkeit finde ich derart 90er. Wie auch die Architektur im Ikea-Style.
(Das klang jetzt überheblicher, als ich es meine. Für sich genommen sind einige der Neubauten schon ok. Manche sogar schön. Aber die Zusammenstellung geht gar nicht. Ehrlich. Sie geht gar nicht.)
Unserem Eindruck nach werden Kronjuwelen hier zu gedankenlos verscherbelt. Es handelt sich in Olpenitz nämlich nicht um „ganz normale Grundstücke an der Ostsee“. Es handelt sich um die allerschönsten Grundstücke an Schleswig-Holsteins Ostseeküste. So jedenfalls unsere Meinung. Da hätte etwas Behutsames hingehört. Etwas, das auch noch in fünfzig Jahren seinen Wert hat. Das, was da jetzt entsteht, erinnert uns ein bisschen an Rømø; die Halbinsel hat ihren Zauber ja auch stark eingebüßt.
Noch ist längst nicht alles verbaut. Man kann aber an den Anschlüssen auf den Grundstücken schon erkennen, dass irgendwann mal die Häuser dicht an dicht stehen werden. Ich weiß ja nicht, ob es Menschen gibt, die ans Ende der Welt fahren, um dann ihrem Nachbarn in den Kaffee zu spucken. Ich denke immer, wer so weit in den Norden fährt, ist auch ganz gern mal für sich.
Vielleicht bin ich aber auch nur nostalgisch. In direkter Nachbarschaft zum Port Olpenitz liegt nämlich mein Lieblingsstrand: Weidefeld. Und ich kann mich einfach nicht an den neuen Blick gewöhnen (der längst nicht mehr neu ist). Für mich gehört da nur die Mole hin und der Horizont und ab und zu ein Segelschiff.
In Weidefeld ist die Ostsee wirklich ein Meer (ganz anders als in den Buchten in Holstein). Der Strand ist breit. Der Sand weiß. Es führt keine Straße im Rücken vorbei. Ein perfekter Ort! So perfekt, dass er nicht einmal gutes Wetter benötigt.
Ein Ort, der nach Ansicht vieler Menschen dringend Sonnenschein braucht, wenn man nicht in tiefe Depressionen versinken will, liegt 10 km weiter südlich: Damp.
(Anmerkung: Volko braucht da keine Sonne. Er findet Damp sowieso toll, weil es ihn an die Trabantenquartiere von Prag erinnert. Ein zweifelhaftes Kompliment.)
Jedenfalls: Damp. In Damp kann man ganz gut sehen, was passiert, wenn Städteplanung sich stark am aktuellen Zeitgeist orientiert. Geplant 1968 als „Damp 2000“ war Damp schon bei Fertigstellung vollkommen yesterday. Schade eigentlich, dass man seit den 80ern auf den Zusatz 2000 verzichtet. Man kann die Existenz von Damp nämlich nur verstehen, wenn man es unter dem Gesichtspunkt sieht, dass man sich so in den Siebzigern nun mal das Jahr 2000 vorstellte.
Wie Land und Architektur sich ergänzen, ja bereichern, erfährt man, wenn man von Damp in gerader Linie zurück zur Schlei fährt. Dort wartet Sieseby, das sicherlich schönste aller Schleidörfer.
Jedes (aber auch wirklich jedes) Haus in Sieseby könnte direkt einem Rosamunde Pilcher Roman entsprungen sein. Süß gemacht: Ein kleiner Pilgerweg führt durch den Ort; Tafeln mit Gedichten oder Texten fordern zur inneren Einkehr auf. Und wirklich: Wer ihn aufmerksam geht, wird ganz, ganz ruhig.
Auf dem Kirchhof in Sieseby riechen wir zum ersten Mal in diesem Jahr den Herbst. Und obwohl ich das noch vor zwei Tagen ganz unvorstellbar fand: Ich bin bereit, den Sommer ziehen zu lassen. Denn wie wir seit Rielke wissen: Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr…
Und das ist doch ganz prima. Denn wer kein Haus hat, muss auch auch nicht zuhause bleiben. Der kann reisen. Und wir freuen uns schon auf die Herbstreisen.
Mir fehlen die Worte ob dieses Blogbeitrags, dieser herrlichen Aufnahmen!
Ich bin so eins mit dir/mit euch in deiner/eurer Meinung (z.B. über Port Olpenitz, über Damp).
Wir waren in Port Olpenitz, als es mit der Bebauung gerade erst losgehen sollte und nur 2-3 Musterhäuser standen: die Dame vom Verkaufsbüro war so viele ‚Etagen über uns‘, dass es ein Wunder war, dass sie sich mit uns vermeintlich einfachen und sicher nicht geldkräftigen Menschen überhaupt unterhielt und uns ein Haus besichtigen ließ.
Ob sie heute auch noch so arrogant wäre??
Bitte auch einen Gruß an den Fotografen – wunderbare Fotos! Das mit der Allee hat es mir heute ganz besonders angetan.
Liebe Grüße und einen schönen Sonntag für euch
Eva
Ach, das ist so ärgerlich, wenn Leute sich aufspielen. Vermutlich kommt besagte Dame heute gar nicht mehr in die Verlegenheit arrogant zu sein. Das Verkaufsbüro war jedenfalls geschlossen. Da war nur ein – allerdings sehr netter – Wachmann, der unseren Ausweis sehen wollte – (wir mussten eine Erklärung unterschreiben, dass wir das Gelände auf eigene Verantwortung betreten oder so).
Volko grüßt zurück und freut sich über´s Kompliment.
Dir/ Euch ebenfalls einen schönen Sonntag.
Steffi
Ich liebe es, wie Du shice-Dreck schreibst….
Lg Merle
[…] wie am Strand von Weidefeld bei Kappeln wünscht Volko sich die […]
[…] liegt in Schwansen; im Dreieck zwischen Damp, Sieseby und Olpenitz. Kurz vorm Ortseingang befindet sich rechter Hand ein kleiner Parkplatz mit Ostseeblick. (Damit ist […]
[…] An Schwansens Küste wechseln sich steinige Abschnitte und Steilküsten mit feinsandigen Stränden ab. Da wo´s feinsandig ist, befindet sich garantiert ein Campingplatz (eine Ausnahme ist mein Lieblingsstrand; Weidefeld). […]
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