Der Friederike-Klünder-Weg in Blankenese verläuft quer durch den Hessepark, wo die Klünders im ausgehenden 18. Jahrhundert lebten. Ihr Anwesen war weitläufiger als der heutige Park. Viel, viel weitläufiger. So war es damals üblich für die Reichen. Ganz unüblich allerdings war Friederike Klünder. Denn sie bewahrte tausende Menschen vor Elend und Verderben.
Der Hessepark thront hoch über dem bekannten Treppenviertel. Vom Friederike-Klünder-Weg ist man schnell auf dem Steilen Weg. Dorthin zieht es heute Fotografen. Sie schießen zwischen zwei Traumhäusern hindurch das klassische Blankenese-Foto vom Süllberg . Zu Friederike Klünders Zeiten stieg man hier noch ins Elend hinab. Bzw. tat es eben nicht. Denn wer wollte schon von der Armut und dem Elend in den Fischerhütten wissen?
Laut Kirchenbuch erreichten zum Ende des 18. Jahrhunderts 41% der Jungen und 38% der Mädchen das zehnte Lebensjahr nicht. Sie starben an Unterernährung, Unfällen und Krankheiten – oft an den gefürchteten Pocken. Die wüteten in ganz Europa und traten alle paar Jahre epidemisch auf. Dann schnellte der Anteil der Pockentoten auf ein Fünftel aller Sterbefälle und in den Städten war jedes zweite Opfer ein Kind. Wer überlebte war häufig nicht nur schrecklich entstellt, sondern auch schwerhörig, taub oder erblindet.
Die Pocken wüteten schlimmer als die Cholera
Friederike Klünder half, wo sie konnte. Dabei tat die als »schöne Frau vom Berg« verehrte mehr als bloß mildtätige Gaben verteilen. Nicht nur, dass sie den verarmten Frauen von Blankenese Flachs zum Weben und Spinnen beschaffte und die fertige Leinwand vermarktete. Sie ließe sich auch zur »Impfassistentin« ausbilden, als um die Jahrtausendwende endlich Impfstoffe auftauchten. Imfpgegner gab es schon damals, auch in der Politik. Friederike Klünder brauchte große Überzeugungskraft, um das Misstrauen der Bevölkerung zu zerstreuen. Am Ende rettete sie 2.168 Menschen vor Entstellung oder Tod.
Ich las davon letzte Woche auf den Infotafeln, die kreuz und quer durchs Treppenviertel verteilt sind. Darauf finden sich einige Geschichten, die ich noch nie zuvor gehört habe. Dabei kenne ich Blankenese eigentlich ganz gut. Ich hab hier mal als Studentin eine zeitlang gewohnt. An die Schönheit habe ich mich allerdings nie gewöhnen können. Sie erfreut mich immer wieder neu. Nordische Gemüter finden im Gewirr der kleinen Gassen und Pfade und Treppen genauso ihr Pläsier wie alle, die sich nach Italien sehnen. Das ist so eine Eigenart von Blankenese.
Am besten spaziert man ohne Plan – und wenn es irgend möglich ist, nicht am Wochenende. Je früher man kommt, desto wunderbarer. Morgens verströmt das Treppenviertel noch den verschlafenen Heile-Welt-Charme, den man aktuell ganz gut gebrauchen kann. Dann lässt man sich verzaubern von Fischerkaten und Gründerzeit-Villen, lässt sich überraschen von unerwarteten Aussichtspromenaden, einer Bank mit Elbblick, verschwenderisch blühenden Gärten und Gärtchen oder einer Hinweistafel: In diesem Haus komponierte im Sommer 1863 Johannes Brahms die Kantate Rinaldo.
Der 30jährige Komponist, Pianist und Dirigent arbeitete damals schon in Wien. Er kam für eine Weile in seine Heimatstadt zurück, um an einem Kompositionswettbewerb teilzunehmen. Die Atmosphäre im Elternhaus empfand er als bedrückend, denn die Ehe war zerrüttet. So flüchtete Brahms junior ins dänische Fischerdorf Blankenese. Er nahm Unterkunft im Hause der Familie Schade, Brandts Weg Nummero 3.
Zu dem Strande von Blankenese
So richtig fand Brahms den Beat aber wohl nicht in Blankenese. Er vollendete das Werk erst fünf Jahre später in Bonn. Trotzdem: Wer sein Smartphone dabei hat, kann gleich den Eingangschor „Zu dem Strande! Zu der Barke!“ genießen. Am besten eben vor Ort.
Lange war das Treppenviertel den einfachen Menschen vorbehalten. Neben Fischern hatten sich vor allem Kaufleute angesiedelt. Im Gewirr der 5.000 Stufen boten 80 Läden der Kundschaft alles, was der Herz begehrte. Erst als 1867 die Vorortbahn den Anschluss an Altona brachte, eroberten besser betuchte Angestellte die Hänge von Blankenese. Der Elbstrand wurde zum beliebten Ausflugsziel – zum Liebesstrand, zum Sonntagsbad, zum Tanzlokal der großen Stadt, wie Hans Leip es treffend in seinem Gedicht »Blankenese« beschrieb.
Ein Kleingebirg aus bunten Muscheln,
darüber dick die Wolken kuscheln.
Darunter Flaggen hin und her,
des Stromes Überseeverkehr.
Hoch auf der schlanken Promenade,
Haus über Haus das Grüngestade.
Ein kleines Nest, ein großes Bild.
Die Architekten lächeln mild.
Ein Dorf, das wie ein Eden liegt
Und sanft nach Grog und Flundern riecht.
Von angenehmen Parks verschönt,
von einer Gastwirtsburg gekrönt.
Die stille Zuflucht – im Vertrauen –
zeitmüder Schlemmer, schöner Frauen.
Der Liebesstrand, das Sonntagsbad,
das Tanzlokal der großen Stadt.
Treppauf, treppab die Winkelgänge,
Schlafpuppengärten, Netzgehänge,
Boot, Abendbank und Fliesenkram,
versponnen, blond und tugendsam.
Solide Wäsche bauscht im Wind,
mit fremden Münzen spielt ein Kind,
ein Junge träumt von großer Fahrt,
ein Alter spinnt in seinen Bart.
Hoch über Baum und Schornsteindach
Kommt man zu Atem allgemach.
Es brist herauf so meergeschwellt,
tief unten blitzt die weite Welt.
Ein anderes Werk des Allround-Künstlers Hans Leip kennt übrigens so gut wie Jede*r. Das Soldatenlied Lilli Marleen nämlich. Leip schrieb es 1915 in der Nacht, bevor er an die russiche Front aufbrechen musste. Aber das war in Berlin und ist eine andere Geschichte.
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Noch mehr Geschichten aus dem Treppenviertel von Blankenese verrät Jule von Geheimtipp Hamburg.
Am besten macht man sich natürlich ein eigenes Bild. Wer noch einen letzten Schubs braucht, um sich aufzuraffen, findet bei der Elbgängerin 13 gute Gründe für einen Elbspaziergang.
Daneben gibt auch mehrere gute Gründe, vom Strandweg in Blankenese auf die Elbhöhen zu wechseln – etwa auf einem Spaziergang zum Waldpark Falkenstein.
Vielen Dank für die schönen Bilder. So kann man in diesen Zeiten wenigstens virtuell verreisen 🙂
Bleib gesund
LG Bernhard
Gern geschehen, lieber Bernhard!
Wenn ich mich recht erinnere,wohnte auch die Fernsehfamilie von „Käpten Harmsen“ in diesem Treppenviertel.
Das war eine mehrteilige TV-Serie Ende der 60ger/Anfang der 70ger Jahre.
Wie immer sehr schöne Bilder !!
viele Grüße und bleibt alle gesund
Ralf
Liebe Ralf – von der Serie habe ich noch nie gehört. Würde ich aber gern mal reingucken. Schade eigentlich, dass die Öffis jetzt in der Krise nicht ihre Archive öffnen. Wäre doch toll für uns alle. Grüße in den Westen und einen schönen 1 Mai, Stefanie
Moin Stefanie, in Blankenese, dem ehemaligen Lotsen- und Kapitänsviertel war ich auch schon ein paar Jahre nicht mehr. Obwohl man von der Reeperbahn nur 18 Minuten mit der S-Bahn nach Blankenese braucht und schon ist man in einer anderen Welt……
Wenn man das Foto von dem Fischerhaus von 1570 sieht, könnte man denken, es ist von der Insel Amrum. Aber es steht in einem Hamburger Stadtteil.
Beim NDR gab es mal ne Doku (45 Minuten) über den Briefträger Jochen Engel, der „Engel von Blankenese“. Er braucht jedes Jahr ein paar neues Schuhe.
https://blankenese.de/angesichter-details/jochen-engel.html
https://www.welt.de/print/wams/hamburg/article122941841/Der-Bote-und-die-Treppen.html
https://www.abendblatt.de/nachrichten/article214749655/Der-Brieftraeger-vom-Treppenviertel-sagt-Tschues.html
https://www.zeit.de/2018/32/jochen-engel-blankenese-post-treppenviertel
2018, nach 44 Jahren im Blankeneser Teppenviertel ist Jochen Engel in Rente gegangen.
genieße das Wochenende und bleib gesund, kv
Hej, hej – und Danke für die Links. Hab ich was zum Gucken bei schlechtem Wetter 🙂
Ach, ja, wunderschönes Blankenese, bei den tollen Bildern kommen Erinnerungen auf! Dort habe ich bei einer Heilpraktikerin meine Praxis-Wochenenden absolviert. Damals wohnte ich schon in Dänemark und übernachtete bei Freunden, ausgerechnet in Bergedorf.
Ans Falkensteiner Ufer sind wir immer gerne an den Strand gefahren. Wenn man etwas weiter vom Kiosk wegging, waren da kaum noch Leute. Aber das ist natürlich schon Ewigkeiten her (45 Jahre).
Liebe Birigt – heute ist da ein Campingplatz und „kaum noch Leute“ trifft man höchstens bei sehr schlechtem Wetter. Trotzdem ist das Falkensteiner Ufer ganz lässig geblieben. Man kann da besonders am Abend schön am Strand sitzen und Schiffe gucken. Liebe Grüße ins Lieblingsland, Stefanie