Neulich besuchten wir endlich einmal wieder Tornby. Ich hatte mich seit Tagen, ach was, Wochen, gebührend vorgefreut. Gleichzeitig war da diese mikroskopische Anspannung. Würden die Dingen zwischen mir und Tornby noch sein wie früher? Oder hatten wir – hatte einer von uns – sich zu sehr verändert, um noch perfekt miteinander zu harmonieren?
Das geht mir jedes Mal so, wenn ich nach Tornby zurückkehre. Auf dem 1,6 km langen Strandvejen, der sich zwischen Wald und Dünen hinunter an die Nordsee windet, ist mir immer ein bisschen wie im Intro zu Hitchcocks Rebecca. Bloß in herrlich. Weil am Ende nicht Mrs. de Winter auf mich wartet, sondern der Sommer. Bis zur letzten Kurve, ich konnte schon längst das Meer sein, hielt ich den Atem an.
Endlich angekommen, konnte ich gar nicht schnell genug aus dem Auto steigen. Denn es war auf einmal, als wäre ich nur ein paar Wochen nicht hier gewesen. So wie das mit manchen Freunden funktioniert. Mit den wirklich guten.
Munch´s Badehotel nebst Restauration hatte einen frischen Anstrich erhalten. Ameisen okkupierten unsere Lieblingsbank, einen massiven, verwitterten Holzblock in versteckter Dünenlage. Die Sonnenschirme vorm Ishuset leuchteten bunt und neu. Doch ansonsten war alles beim Alten. In den öffentlichen Toiletten zwitscherten die Schwalben genauso, wie ich es gewohnt bin.
Der Zauber der Beständigkeit: Tornby Strand
Frau Munch vom Købmand, die jeder immer nur Britta nennt, nahm den Gesprächsfaden etwa dort auf, wo wir ihn vor Jahren schweren Herzens in der Luft hängen gelassen hatten. Ich meine nicht, dass sie uns wirklich erkannte. Ich glaube, sie hat über die Jahrzehnte einfach einen speziellen Blick dafür entwickelt, wer Tornby Strand neu entdeckt und wer sich auskennt.
Eine Frau mit Hund kam in den Laden, um Britta Tschüß zu sagen. Wir sehen uns dann im September wieder. Und ich dachte: ooooh, die hat´s gut. Denn im September ist Tornby einfach wunderbar. Aber es war natürlich ein ziemlich kindischer Gedanke. Immerhin musste die Frau sich jetzt auf den Heimweg machen, während ich an den Strand laufen konnte.
Diese Wirkung hat Dänemark schon immer auf mich gehabt. Noch während ich da bin, freue ich mich auf´s nächsten Mal. Alle Häuser abzuchecken, die mir dafür theoretisch offen stehen, ist ein wichtiger Teil meines Urlaubsvergnügens. Ich liebe die Suche nach dem perfekten Ferienhaus. Verglichen mit den deutschen Küsten sind die Möglichkeiten in Dänemark unendlich.
Wer schon mal versucht hat, zur Ferienzeit ein Ferienhaus in St. Peter-Ording, auf den Inseln oder an der Ostsee zu mieten, weiß, was ich meine. Es ist frustrierend. Deutschland ist einfach zu teuer. Zu eng. Und daher ist es vielleicht gar nicht so außergewöhnlich, was Liv Hambrett in ihrem (höchst vergnüglichen) Beitrag „What I know about North Germans“ schreibt:
North Germans seem to holiday almost exclusively in Denmark. It is quite extraordinary.
Das ist fein beobachtet. Und hängt sicher mit den glücklichen Erfahrungen zusammen, die Norddeutsche sammeln wie andere Leute Briefmarken. Insbesondere – auch das hat Liv sehr treffend definiert – die Norddeutschen, die zwischen Flensburg und Hamburg groß geworden sind.
Warum (Nord)deutsche so gern in Dänemark Urlaub machen – und wir in Tornby
Wirklich viele Norddeutsche haben Kindheitserinnerungen an diese endlosen Tage an endlosen Stränden. Die Urlaube, in den man die beste Freundin mitnehmen durfte. Denn ein Zimmer mehr oder weniger schlägt in dänischen Ferienhäusern einfach nicht zu Buche – und garantiert – WIN-WIN – den Eltern ein wenig Freiheit. Das erste Mal, wenn man mit Gleichaltrigen für ein Haus zusammenlegt. Das erste Mal in der ersten Beziehung – ein bisschen erwachsen spielen. Später dann wirklich erwachsen werden, schließlich sein und es dann genauso machen, wie die eigenen Eltern. Das gehört zur norddeutschen Sozialisation quasi dazu.
Irgendwann, früher oder später, stößt beinahe jeder Dänemark-Urlauber auf diesen einen Ort, der noch einen Tick schöner ist als alle anderen. Da, wo am Strand noch weniger los ist – oder mehr, wenn man das präferiert. Dort, wo die Dünen noch etwas höher in den Himmel wachsen oder die perfekten Wellen ans Land laufen. Den, wo die schnuckeligsten Ferienhäuser stehen. Der, dem man dann treu bleibt. So wie wir Tornby.
Natürlich, Overtourism macht auch vor Dänemark nicht halt. Im Sommer ist der Grenzübertritt an der A7 längst nicht mehr mit dieser urplötzlichen Entschleunigung verbunden, die manche Leute zur Weißglut treibt und andere innerlich aufatmen läßt. Schon allein, dass die Grenze wieder existiert, kratzt am Glanz unserer nordischen Nachbarn. In der Hochsaison geht es auf dänischen Autobahnen auch nicht mehr freundlicher zu als auf deutschen. Und im Umkreis größerer Städte kommt es zu Staus.
Seit einigen Jahren setzt im Sommer das echte Dänemark-Gefühl für uns erst in Alborg ein. Jenseits des Tunnels wird es deutlich einsamer (und das Wetter besser. Bilden wir uns ein.)
So weit und lang will einfach nicht jeder Urlauber fahren. (Und nach Jütland fliegen, das macht man irgendwie nicht. Auch eine interessante Sache).
Vendsyssel, die äußerste Spitze des kontinentalen Dänemarks liegt 300 Kilometer nördlich der Grenze, 500 km von Hamburg entfernt, 1.250 km von München (plus das Trauma aller Süddeutschen, die in den Norden reisen: der elende Elbtunnel).
Im Winter haben wir die weite Fahrt noch nie auf uns genommen. Dann gibt es genügend einsame Ecken, die viel näher liegen. Selbst Hochburgen wie Henne Strand sind dann so fabelhaft ausgestorben, wie wir es lieben. Und weil wir eben nur zwischen Juni und September so hoch in den Norden reisen, ist Tornby Strand für uns der Sommer selbst.
Als Tornby zum meinem Lieblingsort avancierte, war ich noch nicht einmal halb so alt wie jetzt. Damals verreiste ich noch ganz anders als heute. Urlaub kam für mich nur in exotischer Ferne in Frage. Oder eben in Tornby. Und während mein Fernweh über die Jahrzehnte abgenommen hat, ist mein Gefühl für Tornby immer auf dem gleichen Level geblieben. Es läßt sich am ehesten mit Heimweh beschreiben.
Ein bestimmter (kleiner aber wesentlicher) Teil von mir, inzwischen auch ein bestimmter Teil von meinem Mann und auch ein bestimmter Teil von uns als Paar, findet nur in Tornby statt. Und weil für uns in Tornby immer Sommer ist und immer Urlaub, ist es ein sehr glücklicher Teil. Ich habe schon eine handvoll Ferienhäuser für´s nächste Mal in die engere Wahl gezogen.
Liebe Steffi, ich bin ganz rührselig geworden, als ich deinen wunderschönen Bericht gelesen habe und die Bilder gesehen.Am liebsten wäre ich sofort ins Auto gestiegen und in mein Thornby nach Husby Sommerland gefahren.Ganz liebe Grüße aus Osterby
Liebe Erika, ich habe beim Schreiben auch an Euch gedacht. Vielleicht hast Du das gemerkt. Ganz liebe Grüße zurück, Stefanei
Heimweh, ja das ist ein trefflicher Wort für einen Ort, an den man immer wieder gerne ankommt! Ein schöner Bericht, liebe Stefanie!
Danke Dir, Simone (habe erst überlegt, ob es der portugiesischen Saudade nahe kommt. Aber es ist wohl doch noch etwas norddeutscher).
Wieder einmal ein stimmungsvoller Bericht über einen Ort, den bei nächster Gelegenheit zu besuchen sich offenbar lohnt. Danke für den Tipp!
Zitat: „Im Sommer ist der Grenzübertritt an der A7 längst nicht mehr mit dieser urplötzlichen Entschleunigung verbunden, die …“
Diese Erfahrung haben meine Frau und ich leider auch schon gemacht und von „Entschleunigung“ kann – zumindest auf den Autobahnen – generell keine Rede mehr sein.
Ja, schade, besonders für die Leute, die auf die Schulferien angewiesen sind. Und schau ruhig mal in Tornby-Strand vorbei. Es geht da alles noch ein bisschen langsamer zu, finde ich. Etwa Fließgeschwindigkeit der Este. Vielen Dank für Deinen Kommentar und liebe Grüße
Zitat: „Seit einigen Jahren setzt im Sommer das echte Dänemark-Gefühl für uns erst in Alborg ein. Jenseits des Tunnels wird es deutlich einsamer (und das Wetter besser. Bilden wir uns ein.)“
Ich denke, dass es keine Einbildung ist. Beim Wetter bin ich mir allerdings nicht so sicher.
Lieber Fred, es mag sein, dass es an unserem Gemüt liegt, das hinterm Alborg-Tunnel wie von selbst auf „sonnig“ stellt.
Liebe Stephanie, ich unterschreibe jedes Wort und all die Gefühle, die Du in Deinem Beitrag beschreibst.
Segeln in der dänischen Südsee ist wunderschön, aber die Westküste hat einfach einen ganz besonderen Zauber.
Liebe Sonntagsgrüße, Martina
Liebe Martina, jedes Wort von der Fachfrau unterschrieben! Das freut einen ja sehr 🙂 Liebe Grüße zurück – in die Südsee; Stefanie
Genau so ist es!
Was für ein wunderschöner Bericht. Seit 24 Jahren ist Tornby unsere zweite Heimat. Dort sind unsere Kinder groß geworden. Auch sie lieben diesen Ort noch heute. Im September kommen wir wieder und ich freue mich schon so sehr. Für ibs gibt es einfach keinen schöneren Ort. Immer mit Blick auf meinen geliebten Hirtshals Fyr.
Liebe Kerstin, wunderbar – September. Das ist mein Lieblingsmonat dort oben. Ihr habt dann ja bald schon Silberhochzeit mit Tornby. Ganz liebe Grüße und vielen Dank für Deinen Kommentar, Stefanie
Genau so geht es uns seit weit über 30 Jahren mit Tversted, ein paar Kilometer nördlich von Tornby
Hallo Harry – Tversted, auch so toll.
Und ob! Wir fahren im kommenden Herbst zum achten Mal dorthin.
2004 fand der erste Urlaub da oben in Kjul statt. Irgendwie stießen wir auf Tornby und auf Britta. Nahmen einen Ferienhauskatalog mit und fuhren im Oktober wieder dort hoch. Natürlich nach Tornby. Wir lieben die leeren Strände, die Sicherheit und Geborgenheit, die Britta uns gibt. Die Gänge nach Hirtshals, auf denen natürlich ein Kaffee bei Lillieheden getrunken wird. Die 150 Kilometer mehr von Henne sind die wichtigsten Kilometer, die wir im Jahr fahren. Und wir lieben die Leute, die diese 150 Kilometer mehr nicht fahren.
Lieber Detlef, vielen Dank für diesen Kommentar. Du hast mich direkt gedanklich in Tornby gebeamt. So herrlich. Liebe Grüße, Stefanie
[…] lieber skandinavisch lässig wirken. Und deswegen fahren wir traditionell nicht sofort in unseren Lieblingsort. Sondern zunächst nach Hirtshals. Und es ist mir ein Fest! Über die Jahre ist Hirtshals so für […]