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Holmsland Klit, Hvide Sande und das Gegenteil von Hygge

Hvide Sande

Als vor einigen Jahren Hygge schwer in Mode kam, war ich schwer erstaunt, dies dänischste aller Gefühle zum übergroßen Teil auf instagramtaugliche Konsumgüter reduziert zu sehen. Denn mein Bild von Dänemark hat sich aus unzähligen Glücksmomenten an der Westküste Jütlands zusammengesetzt. Und da gab´s zwar immer Hygge – aber bis heute kann ich da nicht besonders viele Dinge entdecken, die der Hygge-Karrikatur mancher Magazine entsprechen.

 

Nymindegab

 

Natürlich haben die Dänen Stil. Sind vermutlich sogar Stil-Weltmeister. Ihre Häuser sind durchaus schön eingerichtet. Der Charme liegt jedoch in der Reduktion. Dachte ich. Und dass die Dänen nicht jede Saison neue Stehrümchen, Decken, Kissen und Tassen kaufen. Meinem Eindruck nach haben sie nämlich ganz und gar nichts gegen Gebrauchsspuren. Stehen auf Klassiker. Das ist auch bei Menschen so. Dänische Frauen sind im Alter mindestens genauso schön wie in der Jugend; ich weiß nicht genau, wie sie´s machen. Aber es hat nichts mit Hyaloron oder jugendlichen Accessoires zu tun. Sie wirken einfach, als sei der Nordwind ihr Hairstylist und die Sonne die Make-up-Artistin, die ihnen Lachfalten um die strahlenden Augen zeichnet.

 

Nymindegab

 

Dänische Gärten sind keine eingezäunten Deko-Aufbewahrungsanstalten sondern die reine, auch gern strubbelige, Natur. Gute Restaurants gibt´s nicht an jeder Ecke meiner Erfahrung nach. Und gerade die Ortschaften an der Nordsee sind alles andere als flächendeckend malerisch.

 

Das Gegenteil von Hygge

 

Spontan würde ich sagen, dass man an der Nordsee urbanen Schick nur in bestimmten Ecken von Aalborg findet, pittoreske Jahrhundertwendeanmutung allein in Lønstrup und diese superfeine skandinavische Eleganz gibt’s nur in Skagen; wobei Skagen eben auch nur zur Hälfte zur Westküste zählt. Mit dem anderen Bein stehen Skagener ja immer in der Ostsee. Und die ist insgesamt lieblicher und gefälliger. Die Nordseeküste ist rau. Wenn die Sonne nicht scheint, was im Norden hin und wieder vorkommt, wirkt sie auch mal gottverlassen (auf herrliche Art).

 

Blavand Fyr

Blavandshuk Fyr. Hier geht sie los, die gewaltige Strandlandschaft der Nordsee.

 

Abgesehen von den drei genannten Städten wirken zwischen Blåvand im Süden und Hirtshals im Norden alle Orte immer auch ein bisschen öde auf den ersten Blick. Ja, ja, da gibt es überall diesen einen Lieblingsladen mit unfassbar Schönem. Die Bäckerei zum Träumen und den besten Fisk-Shop von allen. Doch in der Überzahl dreht sich alles um Udsalg (Ausverkauf) von Funktionsklamotten, mittelspannenden Isenkram (Haushaltswaren) und Klotzen (ein Wort, das offenbar niemand mehr kennt, wie mir neulich mal aufgefallen ist – ich meine Cloggs, also Holzschuhe). Kennste einen, kennste alle, könnte man im Prinzip über Westküstenorte sagen. Trotzdem hat jeder treue DK-Urlauber ein, zwei, drei Plätze, die er für gaaaaanz anders und viel schöner als den Rest hält. Allen voran ich.

 

Radweg Nymindegab

 

Henne Strand, das habe ich ja neulich schon erzählt, ist für mich so ein Ort. Zum einen aus beschriebenen Gründen, zum anderen, weil er ganz kurz vor Holmsland Klit liegt, einem schmalen Nehrungsstreifen zwischen Nordsee und Ringkøbing Fjord. Wenn ich durch Nymindegab fahre, das man als Tor zur Holmsland Klit beschreiben könnte, ist mir immer wieder regelrecht feierlich zumute. Es geht eine Anhöhe hinauf und dann ist alles Dünen und Wasser und Himmel. Jütland eben.

 

ringköbing fjord

 

Holmsland Klit (Holmsland Düne) ist an keiner Stelle breiter als 2 km. Im Westen brandet die Nordsee an den Strand, im Osten schimmert der Ringkøbing Fjord und auf Kilometern, Kilometern und Kilometern gibt’s im Grunde nichts als kleine Feriensiedlungen. Das geht gute 20 km so bis zum Hafenort Hvide Sande.

 

Surfschule Hvide Sande

 

Hvide Sande ist bei Surfern recht beliebt und hat ungefähr so viel mit dem Medien-hygge zu tun, wie Surfer mit Hochglanzmagazinen für coole Surferklamotten. Denn auch wenn es in den sozialen Netzwerken so aussieht, geht es Surfern ja gar nicht darum, möglichst stylish angezogen zu sein – sondern um perfekte Wellen.

 

Hvide Sande

 

Also, Hvide Sande ist nicht schön im eigentlichen Sinne. Wenn man aber etwas für eine gewisse Tristesse übrig hat, für Abseitiges und den Norden ist Hvide Sande 1) wie das Gefühl, endlich am Ende der Welt angekommen zu sein und 2) eine Freiluftgalerie.

 

 

Jenseits von Hvide Sande wird´s dann wieder naturschön. Bis man nach 10 km Søndervig erreicht, einem Ort der ebenso Melancholie in sich trägt wie Hvide Sande, wenn auch aus anderen Gründen (u.a. einem Bayerischen Bierlokal). Und in diesem Rhythmus geht es im Grunde die gesamte Nordseeküste hinauf. Wahnsinnsnatur – eine Prise Trostlosigkeit – Wahnsinnsnatur. Über 300 km. Und jeder Ort hat seine Fans. Denn Schönheit liegt ja immer im Auge des Betrachters.

 

Lyngvig Fyr

Lyngvig Fyr bei Hvide Sande

 

Und vielleicht ist das mit Hygge ja genauso. Hygge ist ohnehin so viel, sagt Wiki, z.B. ein Verb, ein Substantiv und ein Adjektiv. Vielleicht ist es also auch instagramtauglicher Konsum. Betonung auf auch.

Wer das braucht, sollte allerdings lieber Urlaub auf Sjælland machen, denke ich. Und dort (glaube ich) auch nur an der Dänischen Riviera oder Kopenhagen. Das ist ja auch total schön  – aber eben auf andere Weise als Jütland.

 

hvide sande

 

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14 Kommentare

  1. Liebe Steffi, ach, endlich schreibt es mal jemand und dann noch so schön. Ein wunderbarer Text über die Hygge-Hysterie. Ich habe mich überall wiedergefunden und an manchen Stellen so geschmunzelt. Und ja, der Nordwind, der die Frauen frisiert und schön macht, wunderbares Bild, ja, die Dänen haben es nicht so mit Schnickschnack und stehen auf Klassiker und Herbes, das mag ich auch, allerdings noch etwas nördlicher beim Limfjord und Bovbjerg ist mein Ort der Einsamkeit. Schön, wenn sich hier noch mehr Dänemarkfans finden. Obwohl: ich denke oft, wenn ich wieder hinfahre: Was will ich eigentlich hier, in diesem kargen, verregneten Land? Und dann bin ich dort, im Haus und alles ist wunderbar.
    Liebe Grüße

    • Hach, der Limfjord – finde ich auch so wunderschön. Mich zieht´s am stärksten ganz noch oben in die Nähe von Hirtshals. Die behaupten da auch immer, sie hätten besseres Wetter, weil Norwegen die Wolken zurückhält (allerdings nicht immer verlässlich, wenn ich dort bin). Vielen Dank für Deinen Kommentar und liebe Grüße, Stefanie

  2. Ich finde Hvide Sande ja SEHR schön. Das liegt daran, dass ich wunderbare Tage dort verbracht habe. Das ist es wohl, was uns über „schön“ und „hässlich“ entscheiden lässt. Über das Sichtbare hinaus … : ) LG, JUtta

  3. Ja, siehste mal, nech?! Ich finds eher schräg. Wobei ich das Schräge ja SEHR liebe. Frohes Neues, Jutta – und liebe Grüße!

  4. Liebe Stefanie, mit Deinem Bericht und den schönen Fotos weckst Du sofort die Westküsten-Sehnsucht in mir. Als wir noch kein Schiff hatten, haben wir nämlich in Holmsland Klit häufig Urlaub gemacht und ich liebe und vermisse die raue See, die Strandspaziergänge und die malerischen Dünenlandschaften sehr.

    Aber man kann schließlich nicht ewig segeln und wer weiß, vielleicht werden wir sogar irgendwann glückliche Besitzer eines Sommerhauses in den Dünen? Träumen darf man doch, oder? 😉

    Liebe Grüße, Martina

    • Na klar, Martina. Träumen muss man immer. (Und wäre doch furchtbar, wenn man gar keinen Wunsch mehr frei hätte.) So ein dänisches Sommerhaus in den Dünen ist übrigens einer der besten Wünschen überhaupt, finde ich. Gern hätte ich ja ein ganz kleines, einfaches mit windgeschützter Veranda und Panoramafenster vorm Kamin. Seufz.

  5. Liebe Stefanie.
    Zunächst mal einen ganz tollen Start ins Neue Jahr! Ich bin ganz neugierig darauf.
    Oh ja, Deinen Artikel kann ich vollumfänglich unterschreiben. Dieser ganze Hygge-Kram geht mir ziemlich gegen den Strich – bei uns wird alles so lange vermarktet, bis es tot ist.. nein, hier muss ich mir selbst widersprechen: was wir vermarkten, ist von Anfang an tot und so werden wir anhand von Hyggeratgebern, Hyggeseminaren und Beratungen, Hyggezeitschriften und Hygge-Einrichtern nie, wirklich nie ansatzweise das erfahren, was wirklich hygge ist.
    Wir sind oft in den Regionen, haben es ja nun auch nicht besonders weit dorthin 🙂 Und wir können es gar nicht benennen, aber wenn wir einfach die 20 Kilometer in den Norden fahren, die Grenze überqueren, dann sind wir richtig glücklich. Dann breitet sich bei uns so ein Gefühl aus, was man gar nicht in Worte und Bilder fassen kann.

    Und doch stört ein wenig unser Konsum das Gefühl, das sind die vielen Plastikteile, die an den dänischen Stränden anlanden. Ich erlaube mir einmal einen Verweis auf meinen Artikel: http://weites.land/kein-plastik-meer/
    Daraufhin wurde ich aus Dänemark angeschrieben, um die Aktion plastikfreie Strände zu unterstützen. Dazu wird derzeit ein Kongress vorbereitet, zu dem sich viele Anreihner von Nord-Und Ostsee zusammen tun.

    Wenn wir ein wenig an diesem Lebensgefühl teilhaben wollen, dann wäre diese konsumige Zurückhaltung und die Achtung vor der Umwelt, die uns gerade in Dänemark so reich beschenkt, ein erster Schritt, der uns innerlich ein wenig hygge macht.

    Liebe Grüße
    Kai

    • Hej Kai, danke für den Link auf Deinen spannenden kein-plastik-meer-Beitrag. Ein trauriges Thema. Solidarität wäre da so wichtig (wobei die Dänen sich in anderer Hinsicht derzeit ja auch nicht gerade mit Ruhm bekleckern, was Solidarität betrifft.) Wo man auch hinschaut, gibt schon eine ganze Menge Trauriges). Trotzdem: das soll ein gutes Jahr werden. Besonders auch für Dich. Liebe Grüße, Stefanie

  6. Liebe Steffi, endlich schreibt mal jemand nieder, was ich schon lange angesichts dieser Hygge-Hysterie fühle, aber noch nie zuende gedacht habe! Du beschreibst es so passend. Hyggelig, das ist einfach ungefragt ein bisschen nett sein, sich das Leben nicht so schwer machen durch unnötige Formalitäten und Hierarchen. Hyggelig sind bewährte Routinen, die Sicherheit und Geborgenheit schaffen… Mir fallen auf einmal so viele hyggelige Momente aus Dänemark ein, ich glaube, ich muss dazu auch bald dringend nochmal bloggen. Danke für die Inspiration und danke fürs Verlinken <3

    • Ja, das wäre schön – Du hast in Deiner DK-Zeit bestimmt jede Menge Hygge-Momente gesammelt. Ich warte gespannt. Liebe Grüße, Stefanie

  7. erika Stumm sagt

    Und sofort habe ich wieder das Gefühl, ganz schnell nach Husby oder Vedersoe oder Norhede fahren zu müssen.Ob das nun Hygge ist oder einfach der Wunsch , in dieser großartigen Landschaft zu sein, egal ob Regen oder Sturm oder gerne auch mal Sonne.Ja, und spätestens in Nymindegap ist es da ,dieses schöne Gefühl, das auch die beste südliche Sonne ,der schönste Mittelmeerstrand eben nicht geben kann.Ein ganz schönes neues Jahr wünsche ich dir,liebeSteffi. Erika

    • Liebe Erika, gerade Husby ist ein Ort, den ich total mit Euch verbinde. Ich hab das Volko vor ein paar Jahren mal gezeigt und auch von Euch erzählt. Da entstand sein Wunsch, beim nächsten DK-Urlaub nicht in den Dünen sondern im Wald zu logieren. (Wobei Husby ja beides eins a unter den Hut kriegt). Auch Dir ein richtig gutes neues Jahr und ganz liebe Grüße, Stefanie

  8. […] Nordeuropas« 1 Mio Gäste pro Jahr anlocken. Wo die überhaupt Platz finden sollen auf Holmsland Klit,  dem schmalen Dünengürtel zwischen Ringkøbing Fjord und Nordsee, ist mir ein Rätsel. Das Land […]

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