Von Borkum hatte ich nicht viel mehr erwartet als endlöse Strände und Dünen, wurde aber mit einer kleinen Schockverliebtheit beschenkt. Es geschah im Nieselregen beim ersten Strandspaziergang. Wir waren am Vorabend im Dunklen auf der Insel angekommen. Ich hatte zwar noch versucht, die Nordsee zu begrüßen, war aber nur auf nachtschwarze Dünen gestoßen. So sah ich die Promenade von Borkum zum ersten Mal zur bürgerlichen Morgendämmerung (die wirklich so heißt und die halbe Stunde bezeichnet, bevor die Sonne sich über den Horizont schiebt, was ich vor allem deshalb erwähne, weil bürgerliche Dämmerung so schön zur großbürgerlichen Anmutung der Insel Borkum passt.)
Gefälliger sieht so etwas natürlich bei Sonnenschein aus. Aber mich traf gerade die Stimmung im Januarnieselregen mitten ins Herz. Die Möwen klangen auf die richtige Weise melancholisch und ich fühlte mich wie in Oostende, der Königin aller Seebäder, so etwa um die Jahrhundertwende. (Um sicher zu gehen, dass die Schönheit jeden erreicht, knipps ich hier jetzt aber doch mal das Licht an.)
Auf Katjas Blog „Mädchen mit Herz“ hatte ich aufgeschnappt, dass Borkum überhaupt nicht so hässlich und industriell ist, wie alle behaupten. Und daher hatte ich mir Borkum wie Helgoland vorstellt; also hässlich und industriell – aber dabei ganz charmant. Was hier und da auch stimmt, aber eben nicht flächendeckend. Längst nicht flächendeckend. Ganz im Gegenteil.
Es geschieht mir oft in norddeutschen Urlaubsorten, dass ich vollkommen überrascht werde – obwohl ich mich vor Anreise immer ein wenig belese. Auf der offiziellen Insel-Webseite etwa, gewinnt man zwar den Eindruck herrlichster Nordseenatur – aber nicht den Eindruck wunderbarster Bäderachitektur. Dabei macht gerade die Borkum besonders. Jedenfalls meinem Empfinden nach. Mir ist ein Rätsel, warum es nicht prominenter herausgestellt wird.
Selbst Wikipedia erwähnt nur Norderney, wenn es um Bäderarchitektur an der Westküste geht. Der Bäderstil ist hier grundsätzlich weniger filigran gestaltet als in den Kaiserbädern von Mecklenburg-Vorpommern; die Formen sind massiger, die Proportionen großzügiger. Typisch Nordsee eben.
Ganz was Besonderes: Bäderarchitektur auf Borkum
Weil ich keine aktuellen O-Töne zur Bäderarchitektur auf Borkum fand, lasse ich im Folgenden einfach die Badedirektion der 1920er Jahre zu Wort kommen.
„Der hohe Dünenrand am Strande, der von Hotels und Logierhäusern wie von stolzen Palästen gekrönt wird, ist zur prachtvollen Kaiserstrasse ausgebaut, die in Verbindung mit den Hotel-Veranden eine großartige Meeres-Terrasse bildet ― eine Anlage, wie sie in dieser Ausdehnung und günstigen Lage kein anderes Nordseebad aufzuweisen hat.“
Einen monumental wirkenden Abschluß nach dem tiefer liegenden Strande hin hat diese hochgelegene Terrasse nunmehr durch die Wandelhalle bekommen, die in ihrem wesentlichsten, dem mittleren Teile, schon für die Kurzeit 1911 fertiggestellt war.
Diese ganze neue Anlage umfaßt eine bequeme, geräumige Promenade mit Musikpavillon in unmittelbarer Nähe des Strandes und in Höhe der Strandmauer, die gleichzeitig umfangreich genug ist, um einen ungestörten Verkehr während des Strandkonzerts zu ermöglichen, und außerdem einen überdachten Raum, die eigentliche Wandelhalle, die auch bei weniger freundlichem Wetter einen geschützten Aufenthalt bietet…. In der Wandelhalle sind auf das modernste ausgestattete Garderoben- und Toilettenräume eingerichtet. Ein 250 Quadratmeter großer Mittelraum der Wandelhalle mit Büffetteinrichtung ermöglicht Einnahme von Erfrischungen auch am Strande.
Das gewaltige Bauwerk ist dem früher offen liegenden Dünenabhang unmittelbar vorgebaut und schließt nach dem Strande hin mit der alten Strandmauer ab. Der Gesamtkostenaufwand beträgt eine halbe Million Mark.
Der Musikpavillon war mir als einziges architektonisches Zuckerstückchen bekannt. Klar, den fotografiert man gern. Weil man ihn aber so übermäßig oft auf pinterest etc. trifft, hielt ich ihn für ein Pendant der Standuhr an der Promenade von Wangerooge. Also, ein letztes Relikt zwischen Grausamkeiten aus den 1960er bis 1970er Jahren. Auch wenn das für Borkum so nicht stimmt, hat man natürlich auch hier entsetzliche Kästen in die erste Reihe geklotzt. Es hält sich aber einigermaßen in Grenzen. (Mit einem bisschen guten Willen + weißer Farbe würde der Brutalismus sogar gar nicht weiter ins Gewicht fallen.)
Die neue Promenade mit Wandelhalle liegt etwas tiefer als die Kaiserstraße, die bis dahin schon, wie oben erwähnt, eine unvergleichliche Meeresstraße bildete und nunmehr durch die architektonische wirksame Zinnenkrönung des Daches der Wandelhalle eine Verbindung mit der neuen Anlage erhalten hat, durch die ihr eigener bisheriger Charakter nur noch gehoben wird. Der mittlere zunächst hergestellte Teil von 170 Meter Länge hat zwei seitliche, mächtige Treppenanlagen, die von der Kaiserstraße zum Strande hinunterführen.
Was die Badedirektion in den 1920ern noch nicht beschreiben konnte, war der Ausblick auf die Seehundsbank „Hohes Riff“. Die lag vor 100 Jahren noch weiter von der Insel entfernt, wandert aber immer mehr auf den Strand zu. Im Sommer sollen sich die Robben hier zu Hunderten aalen. Wir haben nur vereinzelte Tiere entdeckt, was ja aber auch schon reicht, um sich halb tot zu freuen.
In den Restaurants der alten Wandelhalle (bzw davor; gewärmt von Decken und Heizpilzen) kann man Stunden und Stunden aufs Meer schauen, ohne dass es langweilig werden würde. Praktischerweise geht hier auch noch die Sonne direkt vor der Nase unter. Das Ganze wirkt wie der Balkon zur Nordsee. Und so komme ich zu dem gleichen Schluß wie die Badedirektion.
Ohne Ueberhebung darf von der neuerbauten Wandelhalle behauptet werden, daß kein deutsches Seebad etwas auch nur annähernd dem zu vergleichendes an die Seite zu stellen hat. Die Wandelhalle hat diese Strandpartie noch mehr, als es bisher der Fall war, zum Mittelpunkt des Badeverkehrs gemacht.
Die Zitate der Badedirekton (und jede Menge andere spannende Sachen) sind zu finden auf www.alt-borkum.strandnelke.de
Wunderschön!!!!
Aber wirklich 🙂
Hat denn niemand die gruselige Fassade der Nordseeklinik gesehen?! Merkwürdig!
Wie herrlich, diese altmodischen Formulierungen! Und eine wirklich schöne Architektur, da war ich genauso überrascht wie Ihr…
Liebe Grüße, Martina
Ja, ein Ding, was?! Dabei weißt Du ja auch eine Menge über den Norden. Und trotzdem hat man noch nichts davon gehört. Vermutlich ist das für die Tourismusmenschen so normal, dass sie es für nichts weiter Besonderes halten. Das geht einem ja meistens so mit Dingen, die man gut kennt. Komm gut in den Tag; Stefanie
Klasse! Stefanie, ich bin ebenfalls überrascht von der Wirkung der Borkum’schen Bäderarchitektur! Was sich mir jedoch gerade besonders einprägt, ist zunächst die offenbar wunderbare Ausrichtung (geographisch) der Insel, dann der herrliche Blick auf die Seehundsbank „Hohes Riff“ und die Kombination aus etwas massigem Charme der Häuser und schier unendlichen Weiten drumherum.
Ich bekomme gerade mächtig Lust … ^^
Sehr speziell auch die Auszüge von 1920! Vor dem inneren Auge entsteht ganz automatisch ein Bild der Promenade samt Wandelhalle und des Badelebens seinerzeit.
Wieder sehr gelungen – und wie immer mit herrlichen Fotos. Danke!
LG Michèle
Vielen Dank, Michèle, das ging mir bei dem Text genau so. Jeder hat ja vermutlich so seine Lieblingsepochen in der Geschichte. Mich interessiert am meisten die Zeit von der Jahrhundertwende bis zum Wirtschaftswunder. Dazu gehört natürlich leider auch – und auch speziell auf Borkum – die Zeit des Bäderantisemitismus. Das treibt mich immer um. Dieses Zusammentreffen von Schönheit und Verrohung. Einen schönen Tag wünsche ich Dir, Stefanie
Am schönsten Dein Satz „Wir haben nur vereinzelte Tiere entdeckt, was ja aber auch schon reicht, um sich halb tot zu freuen.“
🙂
Würde am liebsten gleich aufbrechen um dorthin zufahren!
🙂
Na, das wär doch was!
Moin Stefanie, das klingt ja spannend und macht neugierig auf mehr. ?
Liebe Grüße,
Claudia
Hallo Claudia – Borkum ist wirklich eine schöne Insel. Gut, dass es insgesamt 7 ostfriesische Inseln gibt – da hab ich noch 5 vor mir 😉
Und ich sie noch alle 7. 🙂
Na, hast es gut 🙂 (fragt man so rum, welche die schönste Ostfriesin ist, hört man meistens Spiekeroog oder Juist. Bei mir persönlich steht Baltrum ganz oben auf der Liste, weil sie die Kleinste ist).
[…] von Hamburg entfernt. Inseln sind eben schwer erreichbar. Man muss sie sich eroben. So auch Borkum. Der westlichste Punkt des Landes überraschte mich mit endlosen Stränden und superschöner […]
[…] Strände von Borkum kamen mir im Januar überhaupt nicht so ausgestorben vor wie die Strände von Sylt. In den Borkumer […]