Sternhöh heißt die Straße, die sich von Steinbergkirche durch hügelige Felder und Wiesen an die Ostsee schlängelt. Eine Handvoll Häuser, ein paar Kühe, Meerblicke bei jeder leichten Steigung. Herrlich.
Der letzte Hof vorm Strand gehört Wiebke Busch und Stefan Voigt. Auf ihrem Grundstück steht der Bauwagen, den wir für die nächsten Tage beziehen werden. Die beiden haben ihn selbst gebaut. Nach allen Regeln der Baubiologie. Der kleine Garten ist auf diese verwilderte Art angelegt, die nur jemand hinbekommt, der sich echt mit Pflanzen auskennt. Wiebke ist ausgebildete Landwirtin und Gärtnerin.
Begrüßt werden wir von Stefan. Viel zu quatschen gibt es eigentlich nicht, denn alles Wissenswerte über den Bauwagen, haben unsere Gastgeber aufgeschrieben. Eine Broschüre liegt auf dem Mini-Tisch in der voll ausgestatteten Mini-Küche.
Volko fragt nach WLAN.
„Gibt’s hier nicht“, sagt Stefan. „Extra nicht. Es soll ja ein Ort zum Runterkommen sein.“
Bilde ich es mir ein oder schwingt da ein leichter Tadel mit?
Ich bemühe mich, mein totales Entsetzen zu verbergen, als Stefan die Tür zum Badekarren öffnet. Eine astreine Dusche ist eingebaut. Ein Bewegungsmelder sorgt automatisch für Beleuchtung, wenn man nachts mal raus muss. Soweit alles easy-peasy. Aber da gibt´s auch noch etwas, das man eigentlich nur flüstern kann: Eine Komposttoilette.
Aaah. Sage ich. Und ich sehe in seinem Gesicht, dass mein Schrecken offensichtlich ist.
Ich vermute, dass wir unser Etikett jetzt weg haben. So was wie „typisch Hamburger“ oder „typisch Stadtmenschen“ oder „voll verspannt“. Na, sei´s drum. Ist egal. Denn 1.) stimmt es. Und 2.) werden wir Stefan ohnehin nicht noch einmal sehen.
Noch wissen wir es nicht – aber wir werden NIEMANDEN in den nächsten 6 Tagen in unserem Refugium sehen. Auch nicht in der Ferne. Denn da ist nichts. Wirklich nichts.
Erster Eindruck vom Bauwagen: Alles sieht haargenau so aus wie auf der Airbnb-Seite. Macht gar keinen Sinn, das noch mal zu fotografieren. Lieber schnell ab an den Strand.
Hinter dem Schmiedegarten windet sich die Sternhöh noch über zwei Hügel. Nach ein paar hundert Metern geht es rechter Hand ins Dorf Norgaardholz. Links wird die Sternhöh zum Nordstern.
Am Strand von Norgaardholz
Norgaardholz liegt am nördlichen Ende der Geltinger Bucht und somit am Anfang der Flensburger Förde. Spiegelglatt und seicht ist die Ostsee hier. Darüber wölbt sich ein Himmel so blau, dass das Wasser beinahe karibisch wirkt.
Zu sagen, es sei ruhig am Strand von Norgaardholz, wäre die Untertreibung des Jahrhunderts. Still, trifft es besser. Friedlich. Und dass obwohl sich in unserem Rücken ein Campingplatz befindet. Und eine Seebadeanstalt. Dass es so etwas überhaupt noch gibt.
Es ist der schönste Arbeitsplatz der Welt, sagt die Frau vom Kiosk der Seebadeanstalt. Heute sei allerdings ganz schön was los. Es ist Pfingsten. Am Vormittag hat sie bereits 7 (!) neue Wohnmobile in Empfang genommen. Und sie würde noch weitere erwarten. Aber sie freue sich darauf. Sie möge es, wenn die Urlaubssaison beginne. Und schauen Sie mal, direkt gegenüber liegt Sonderburg. An klaren Tagen kann ich das Schloss sehen.
Sonderburg liegt in Dänemark. Die Grenze verläuft mitten durch die Förde. Eigentlich ist es mehr eine Verbindung. Jüten haben hier über Jahrhunderte gelebt. Das sieht man. Und hört man. Angeliter Ortschaften enden auf -by (Dorf), -rup (Siedlung), -gaard (Hof). Die Stimmung ist doet genauso entspannt wie bei unseren dänischen Nachbarn.
Vielleicht liegt es daran, dass Tourismus in Angeln weitgehend auf Hotelanlagen und Erlebnisgastronomie verzichtet. Unterkünfte werden vor allem privat vermietet. Ansonsten kommen in erster Linie Segler und Camper. Also Menschen, die Ruhe und Natur schätzen.
Camper sind ein ruhiges Völckchen, lese ich in einer Touristen-Umsonst-Zeitung, während ich meinen Kiosk-Filterkaffee trinke. Der Artikel hält ein paar Benimm-Regeln für Campingplätze bereit; verfasst von einem Fachmann des Camping-Verbandes. Lärm ist unerwünscht, schreibt er. Doch man dürfe ruhig Musik auf einem Kofferradio hören. Jedenfalls bis zur Abendruhe.
Mit Blick auf die Luxus-Wohnmobile auf dem Campingplatz hinter mir, vermute ich, dass keiner der dortigen Camper ein Kofferradio auftreiben konnte. Jedenfalls kommt kein Pieps vom Platz. Nur das Lachen und Fluchen von vier kleinen Jungs auf dem Fussballfeld nebenan ist zu hören. Und das verhaltene Kreischen einiger älterer Mädchen, die sich in die Ostsee wagen. Gerade mal so leise wie Möwen.
Die beste Seilbahn der Welt steht in der Seebadeanstalt von Norgaardholz.
Ja, gut, ich sitze auf einem Plastikstuhl. Das Polster ist unsagbar gemustert. Aber mir gefällts hier trotzdem besser als in einer Strandbar mit Lounge-Möbeln. Ich erwäge sogar kurz, in der kommenden Tagen die Sanitäranlagen des Campingplatzes zu nutzen. Aber das ist auch keine Alternative zur Komposttoilette. Gewisse Dinge teile ich einfach nicht gern.
Um es mal vorweg zu nehmen: Diese Gedanken werden mich die gesamte Zeit beschäftigen. Ich wünschte, ich wäre anders, aber so ticke ich nun mal. Ich mache zwar irgendwie meinen Frieden damit. Aber nicht so richtig. Ich bin kein cooler Outdoor-Freak.
Ich brauche eine Weile und einen langen Spaziergang am Strand, bis mir in den Kopf kommt, dass ich auf der norwegischen Hüttentour (von der ich seit Jahren träume) ebenfalls ohne Wasserclosett (wunderbares Wort) werde auskommen müssen. Kann man ja schon mal Toleranz entwickeln.
Und dann dauert es noch mal länger bis mir wieder einfällt, wie das in Indien war. Oder in Südamerika. Oder auf französischen Autbahnraststätten. Auf Festvials. Oder irgendwo auf der Reeperbahn.
Mir muss keiner was über Verdrängung erzählen. Aber das Gehirn ist doch eine seltsame Sache. Jedenfalls meins. Und eine Komposttoilette ist wirklich nicht so schlimm. Wenn man nicht ich ist.
Zurück im Bauwagen liegt unser kleiner Garten in der Abendsonne. Der Wagen riecht nach frischem Holz und draußen riecht es nach Gras und Wald und Meer. In ein paar Stunden wird sich ein Sternenhimmel über der Sternhöh auftun, wie ich ihn so in Deutschland noch nicht gesehen habe. Und weil wir weder Kofferradio noch WLAN haben, kommen die Rehe ganz nah.
Ich bekomme eine klitzekleine Ahnung wie Thoreau das gemeint hat in Walden
„Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näher zu treten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hätte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte. Ich wollte nicht das leben, was nicht Leben war; das Leben ist so kostbar. Auch wollte ich keine Entsagung üben, außer es wurde unumgänglich notwendig.“
Also… ich würde natürlich auch gern dem wirklichen Leben näher treten. Und vielleicht kann man Camping ja sogar lernen?!
Mensch, hab ich gelacht.
Das war so typisch!
Das wäre mir natürlich genau so gegangen.
Die Ecke kenn ich natürlich wieder mal nicht, muß ich mir aber angucken.
Hat wieder sehr viel Lust auf mehr gemacht.
Liebe Grüße
Mari
Wer den Schaden hat, nä?!
[…] beide. Vorvergangenen Frühling haben wir eine wunderbare Woche gar nicht weit entfernt in einem Bauwagen verbracht. Damals legten wir uns fest: Angeln ist die schönste Region Schleswig-Holsteins. Und […]
Ich habe erst jetzt diesen Beitrag gelesen. Abgesehen, dass ich Airbnb meide, die mich mehr abschrecken als eine Komposttoilette, habe ich ziemlich schmunzeln müssen. Wenn der Druck groß genug ist, hat man seine beste Gewöhnungsphase:-)
In Norwegen habe ich mich schnell an die Plumpsklos gewöhnt und da ich schon immer viel mit dem spartanischen Bulli unterwegs bin, habe ich wahrscheinlich das richtige Training.
Ein Ort ohne W-Lan, ohne Empfang, das gefällt mir und ich wünsche mir mehr davon. In Norwegen war der/das Laptop komplett aus, leider bekomme ich meine Frau nicht davon überzeugt, ihr Handy auszulassen und einfach mal auf die singbefreiten Nachrichten wie „wann kommt Ihr zurück…“ zu verzichten.
Einfach mal abschalten, wo geht das besser als in so einem Bauwagen? Ist ein Thema, was mich schon lange beschäftigt, weil ich einfach glaube, dass wir es dringend brauchen: einen Ort, abzuschalten, ohne in der Lage zu sein, etwas anzuschalten.
Liebe Gedanken von Kai
Das stimmt, Kai. Ich bin ja ganz old school und guck eh fast nie auf mein Handy. Alles andere meide ich auch, sobald wir die Stadt verlassen. (Doch das mit dem Plumpsklo wird wohl nie so richtig meins werden…) Liebe Grüße, Stefanie
[…] unserem ersten Glamping-Versuch – in einem Bauwagen im wunderbaren Nirgendwo von Norgaardholz – dachte ich noch, Glamping meint nichts als glamouröses Camping in schicken bis […]
[…] Norgaardholz besitzt den schönsten Strand in der Geltinger Bucht, einmal rauf und runter sind wohl ziemlich genau 2.000 Schritte. Wer mehr Bewegung braucht, springt vom einzigen Badesteg der Bucht in die Ostsee oder leiht sich in der Seebadeanstalt ein SUP-Board. Kinder freuen sich über den Spielplatz, der den Schwarzen Raben vom Wasser trennt. Dort hat tagsüber auch ein Kiosk geöffnet. […]
Alternativ leben in Schleswig-Holstein: Ein Dorf voller Zirkuswagen | die nordstory | NDR Dokuhttps://www.youtube.com/watch?v=267aONDK7ic
vg, kv